Stellwerk Magazin

Rezension Assassinate Assange – Gefallener (Anti-)Held

Vorwort

In ihrem Stück ASSASSINATE ASSANGE – RELOADED baut Angela Richter ein Mosaik aus Gesprächen, Telefonaten, Eindrücken und dokumentarischer Recherche.

Ein gutes Dutzend Affen in hellen Fellanzügen. Manche sind weiß, andere hellrosa. Sie alle tragen Masken. Die Gruppe bleibt anonym. Auf dem Bühnenboden stehen Laptops, Tweets, Hashtags und Anonymus-Parolen wandern von der Bühne an die Wand, verfangen sich dabei in den Fell-Overalls. Auch der Text springt, zwischen Englisch und Deutsch, manchmal sogar mitten im Satz. Das Ziel von Richters Konzept ist schnell klar: Ein Kaleidoskop soll entstehen, das mediale Interesse um den Wikileaks-(Anti)-Helden soll in all seiner Absurdität vorgeführt werden. Das Ergebnis ist ein eigentümlicher Tanz zwischen unscharfem Portrait und persönlicher Annährung: eine szenische Collage.

Im Schnittfeld von Kultur, Pop und Politik

Die Regisseurin, Angela Richter, ist 40 Jahre alt. Ihre Eltern stammen aus Kroatien, sie selbst ist in Stuttgart geboren und aufgewachsen. Sie hat lange Zeit in Hamburg gelebt, wo sie das Off-Theater Fleetstreet aufgebaut hat. Ihr Mann, Daniel Richter, gehört zu den Überfliegern der zeitgenössischen Malerei. Vor zwei Jahren zogen die beiden gemeinsam mit ihrem Sohn nach Berlin. In Richters Stücken geht es oft um brandaktuelle Fragen im Schnittfeld von Kultur, Pop und Politik.

ASSASSINATE ASSANGE hat Richter ihren Abend über den Wikileaks-Gründer genannt, ganz nach der Forderung eines Kolumnisten in der "Washington Post". Sie hat in den vergangenen Monaten viel Zeit mit Julian Assange verbracht. Achtmal ist sie zu ihm gereist. Im Juli 2011 treffen die beiden zum ersten Mal aufeinander. Die Regisseurin ersteigerte die Eintrittskarte zu einem Essen, dessen Gastgeber und Initiator Julian Assange war. Sie fuhr daraufhin acht weitere Male nach London und unterhielt sich stundenlang mit dem Mann, den die USA zum Staatsfeind erklärt haben. In einem beengten Zimmer in der ecuadorianischen Botschaft harrt er aus. Sobald Assange das Gebäude verlässt, wird er verhaftet und muss sich in Schweden gegen Vorwürfe der sexuellen Nötigung wehren.

Zerrissene Kondome und Saddams Gehirn

Die Gesprächsprotokolle - fast 30 Stunden Mitschnitte sind zusammengekommen - hat Richter mit dokumentarischem Material aus dem Netz angereichert. Immer wieder verschwimmen im Stück die Grenzen zwischen Zitat und Erfundenem. Was letztendlich tatsächlich aus Assanges Mund kam, bleibt offen. Dass es aber etwas zu enthüllen gibt, darin sind sich die Regisseurin und ihr Protagonist einig. Da erzählt eine Schauspielerin in der Rolle eines traumatisierten US-Soldaten von der Bergung zweier Kinder nach dem Hubschrauber-Angriff aus dem "Collateral-Murder"-Video. Der Junge mit Bauchschuss, das Mädchen mit Glassplittern im Auge.

Ebenso prominent geht es um die Vergewaltigungsvorwürfe aus Schweden. Zwei Schauspielerinnen schildern ausführlich die Version der beiden Frauen, sprechen über Körpersäfte auf dem Bettlaken und zerrissene Kondome. 1Richter bediente sich dabei an den im Netz veröffentlichten Polizeiberichten. Eigentlich wollte die Regisseurin die Frauen selbst sprechen lassen, diese wollten sich ihr gegenüber aber nicht zu den Vorfällen äußern. Auch wenn Richter an einigen Stellen ihres Stückes offensichtlich Position bezieht, so bleibt klar, dass vor allem hinterfragt werden soll, ob die Vorwürfe gleich Assanges gesamtes Schaffen in Abrede stellen.

Man kann im Stück durchaus Hinweise auf die Selbstüberschätzung Assanges finden, die Richter in den Gesprächen mit ihm immer wieder erlebt haben muss. Er habe einmal geträumt, berichtet der Assange-Darsteller, das Gehirn von Saddam Hussein sei ihm in die Gebärmutter transplantiert worden. Davon habe er Befehle empfangen, die er weitergeben sollte an die Generäle. Er aber habe die Befehle weitergedacht, verbessert, und schließlich kaum noch auf Saddams Stimme in seinem Körper gehört. Zum Schluss habe er im Traum den Irak regiert, als schwangere Frau, mit Saddams Gehirn im Bauch.

Asyl Snowden

Assange – Mensch & Ereignis

ASSASSINATE ASSANGE feierte im September 2012 in Hamburg Premiere. Später folgten Aufführungen in Wien und Berlin. Richter ist allerdings auch nach der Premiere mit Assange in Verbindung geblieben, besuchte ihn weiterhin. Für die Kölner Vorstellung reiste sie Ende Oktober 2013 erneut nach London, sprach mit ihm über die jüngsten Entwicklungen um den NSA-Spionage Skandal, Merkels Handy und die Flucht Edward Snowdens. In Köln feierte also eine neuere, überarbeitete Fassung Premiere: ASSASSINATE ASSANGE – RELOADED. Von vornherein hatte Richter ihr Stück als work-in-progress angelegt, mit austauschbaren Textpassagen und offen für neue Gäste unter den Affenmasken.

Tatsächlich funktioniert das ganze Projekt auch einfach, weil Assanges Leben viele Menschen gleichzeitig interessiert und bewegt. Längst muss man zwischen dem Menschen Assange und dem Ereignis unterscheiden. Richters Stück soll dieses Spannungsfeld aufmachen und die inneren Bilder verschwimmen lassen: Assange, der Ex-Hacker, der radikale Aufklärer und Narzisst, und: der Messias einer demokratischen, weil transparenten Welt.

Dass Richter Julian Assange unterstützt, daran lässt sie keine Zweifel. Nichtsdestotrotz bewahrt sie die nötige Distanz. Der Zuschauer bekommt nicht das Gefühl, dass hier Überzeugungsarbeit geleistet wird, sondern Skepsis geweckt werden soll.

Foto 1: Anat Ben David; Foto 2: Julia Martel

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