Stellwerk Magazin

Rezension Kunst-Mythos-Kippenberger

Vorwort

Martin Kippenberger. Der Kleinste und Lauteste unter vier Schwestern, zeitlebens Alkoholiker, begnadeter Witzereißer, Unruhestifter und Flegel. Als Crossover-Künstler bewegte er sich zwischen theatralen Performances, Fotografie, Bildhauerei, Malerei und der Welt des Punk-Rock.

Es ist vermutlich ein heikles Unterfangen. Denn wie kann man einen Künstler, der selber performte, der die Aufmerksamkeit aller gnadenlos an sich riss und im Mittelpunkt des Galerien- und Kunstschauspiels buchstäblich herumaffte, auf die Bühne eines Theaters bringen? Der Regisseurin Angela Richter muss Martin Kippenberger und seine bedeutende Einflussnahme in der Kunstwelt sowohl zu Lebzeiten als auch posthum, mehr als vertraut sein. Die Kunstinsiderin ist Ehefrau von Malerstar Daniel Richter, der durchaus als ein Zögling der Kippenberger-Ära bezeichnet werden kann und der auch hinter den Kulissen seiner Frau gerne mal mitwirkt. Daraus erklärt sich unter anderem das für das Stück konzipierte und im Walther König Verlag erschienene gelbe Begleitbuch, in dem auch Daniel Richter stellenweise seinen "Kippi" gibt und unter Beweis stellt, wie gut er die Lümmelmanieren seines Kollegen mit Stift und Papier beherrscht. Sie geht also das Wagnis ein. Mit naheliegenden Gastgeschenken präsentiert Richter dem Kölner Publikum in feuchtfröhlicher Kölschkneipenstimmung einen ihm bekannten Menschen.

Kippenberger und Köln

In den 80er Jahren, als Köln sich zu einer Kunstmetropole mauserte, war Kippenberger mit von der Partie. Er wirkte und lebte zentral daran mit, was bis heute seinen verdienten Ruhm genießt und zum Beispiel zu den einschlägigen Wörtern "Hetzler-Boys" oder "Die jungen Wilden" führte. Als Crossover-Künstler und Ideenschmiede war Kippenberger universal und besonders. Mit Nonsense und dilletantischen Ambitionen attackierte er die Traditionen des damaligen Kunstbetriebs. Dabei bewegte er sich zwischen theatralen Performances, Fotografie, Bildhauerei, Malerei, der Welt des Punk-Rock oder spielte in Spielfilmen mit.

Ein collagierter Martin

Der Kleinste und Lauteste unter vier Schwestern, zeitlebens Alkoholiker, begnadeter Witzereißer, Unruhestifter und Flegel: KIPPENBERGER! wiederholt noch einmal vieles, was durch Filme, Bücher, Biopics und Retrospektiven eh schon bekannt war. Die fünf Schauspieler durchspringen mit Witz und Leichtigkeit Momente seiner Kindheit, Jugend- und Studentenzeit. Es werden die Hochs und Tiefs seiner künstlerischen Karriere skizziert, bis hin zu seinem Ende als er gerade noch im Eierwagen durch die österreichische Landschaft fuhr und schließlich an den Folgen seiner Leberkrebserkrankung starb. KIPPENBERGER! liefert keine neuen Erkenntnisse über den Ausnahmekünstler, vielmehr sind es Fragmente seines Lebens, die ihn hier collageartig präsentieren und die doch unzulänglich bleiben, um Kippenberger vollständig erfassen zu wollen. Die Strategie des dokumentarischen und recherchierten Herantastens an den Künstler, die über den Weg der interviewten Zeitzeugen zum Schauspiel führt, was dann nur das wiederzugeben vermeint, was Menschen um Kippenberger so über ihn zu sagen hatten - klingt aufregend! - allein dabei kommt auch nicht mehr heraus. Zudem sei hier angemerkt, dass Personen wie Albert Oehlen, Max Hetzler oder Gisela Capitain, die von Beginn an zum engen Freundeskreis von Martin Kippenberger zählten, im Stück gar nicht zu Wort kommen. Schade. Aber vielleicht ist es dem ein oder anderen schlichtweg überdrüssig, Anektdoten über Kippenberger zu liefern beziehungsweise zu wiederholen. Oder aber er erachtet es als sinnlos, denn was nutzt es, wenn man Kippenberger nicht selbst erlebt hat.

Win "Kippi" Win!

KIPPENBERGER! von witzig bis heulend, im schnellen Durchlauf und alles etwas flapsig. Das Exzesshafte und Provokative des in Dortmund geborenen Künstlers wird im Stück vorangestellt und obwohl es natürlich sein Temperament ausmachte, scheint diese Darstellung stellenweise eine zu allgemeine Sichtweise auf Kippenberger zu erzeugen. Es wirkt irgendwie heruntergerockt. Die Schauspieler mitunter gelangweilt und rauchend am Bühnenrand, bis stilsicher abwesend (Melissa Logan), springen immer nur dann in ihre Rollen, wenn es Zeit dafür ist. Dieses Wechselspiel der Momente wird auf die Spitze getrieben, wenn es zu einem castingähnlichen Wettkampf kommt, indem die Akteure, den Regieanweisungen aus dem Off folgend, auf Knopfdruck ihr Bestes geben müssen: witzeln, tanzen, heulen. Mit einer Prise Lächerlichkeit betrachtet man hier nun die Arbeit der Darsteller, die alle darum wetteifern, den besten Kippenberger zu mimen. Spätestens an diesem Punkt wird klar, dass Richter weder ein Geheimnis um Martin Kippenberger zu lüften sucht noch mit einem neuartigen Porträt über ihn brillieren möchten.

Was zeigt uns also Richters Stück?

Vielleicht ist es der bewusste Ansatz der Regisseurin, sich dem Prinzip ‚Erwartungstäuschung‘ zu bedienen, das ja gerade Kippenberger so wunderbar verstand. Also vielleicht besteht eine Logik zwischen dem künstlerischen Konzept Kippenbergers, der gerne mal seine Bilder von anderen malen ließ, und Richters Stück, das ja hauptsächlich aus den Aussagen Dritter zustande gekommen ist. Richters KIPPENBERGER! bestätigt die unlängst gängigen Klischees und Meinungen über den Ausnahmekünstler, der posthum so viel Anerkennung und Verehrung genießt, dass er zur medial verwursteten Figur zu mutieren droht. Angesichts der boomenden Verkaufszahlen seiner Bilder, den vielen Büchern, Shows und Retrospektiven, kann nämlich nicht gerade behauptet werden, dass Kippenberger noch ein Unbekannter ist. KIPPENBERGER! ist ein Stück, das den Kippenbergermythos erneut befördert und ihm nichts Neues hinzufügt – in gewisser Hinsicht ist das auch gut so! In den Museen, Buchhandlungen und jetzt auch auf den Bühnen dieser Welt pflanzen sich die Legenden munter fort. Kippenberger-Stories liefern scheinbar gutes Material für allerlei mediale respektive kommerzielle Remixes. In dem Zusammenhang kommt es nicht von ungefähr, dass das Stück in keiner Pointe, sondern überraschend musikalisch mit einem hitmäßigen Kick endet: Als die wiederkehrende Erneuerung für Etwas, das schon verloren geglaubt war, wo aus Altem Neues entsteht und im frischen Glanz erscheint, performt die wunderbare Chicks on Speed-Sängerin Melissa Logan Daft Punks Interpretation der Phoenix-Legende – ein supergeiles Ende!

Foto: Theresa Reusch