Stellwerk Magazin

Rezension Kabale und Liebe 2.0

Vorwort

Schillers Drama „Kabale und Liebe“: ein bürgerliches Trauerspiel, das als Gattungsbezeichnung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts etwa 250 Dramen umfasst. Das Hauptthema stellt die Konfrontation zwischen Adel und Bürgertum dar, die mit ihren jeweiligen Problemen auf die Bühne gebracht werden. Das gesellschaftliche System des 18. Jahrhunderts existiert zwar nicht mehr, dennoch ist das Thema einer Art Ständegesellschaft und der unüberwindlichen Distanz zwischen Arm und Reich in unserer heutigen Zeit durchaus relevant.

„Jedesmal, wenn das Gastspiel einer neuen Luise, eines neuen Wurm, Miller oder Ferdinand uns zwingt, einer Wiederholung von Kabale und Liebe beizuwohnen, erschrecken wir zunächst bei dem Gedanken, das oft Gesehene noch einmal sehen zu müssen, aber immer aufs Neue bringt uns das Stück unter seine außerordentliche dramatische Gewalt.“ Theodor Fontane1 Fontane schrieb von 1870 - 1890 als Theaterkritiker für die „Vossische Zeitung“, eine Berliner Zeitung, die die Positionen des liberalen Bürgertums vertrat. Das Zitat von Theodor Fontane stammt dabei aus einer Theaterkritik von ihm zu einer Aufführung von Schillers „Kabale und Liebe“ vom 12. Mai 1874, die am 14. Mai 1874 in der Vossischen Zeitung veröffentlicht wurde.

Fontanes Zitat macht deutlich, wodurch sich das Drama „Kabale und Liebe“ (1784) auch heute noch auszeichnet. Das Stück feierte am 10. Januar im Depot 1 des Schauspiel Köln Premiere. Dem Regisseur Simon Solberg und der Dramaturgin Nina Rühmeier gelang es, das Drama in die heutige Zeit zu transportieren und so der Inszenierung etwas völlig Neues zu verleihen, ohne das Werk Schillers dabei grundlegend zu verändern. Regie und Dramaturgie machen somit auf imposante Weise deutlich, wie aktuell „Kabale und Liebe“ auch heute noch ist. Als Bühnenbild dient eine Lagerhalle des Amazon(.as) Konzerns. Dabei ist von Harlem Shake, Miley Cyrus Szenen, Milford’s next Topmodel, bis hin zu Verweisen auf Immobilienfirmen, die deutsche Bank und den Waffenexport alles dabei, was unsere heutige Zeit ausmacht, prägt und somit auch problematisiert. Auch die Übertragung einzelner Szenen auf Großmonitore verdeutlicht diesen Zeitsprung, dennoch behält das Stück seine ursprüngliche Form und Aussage bei.

Der bürgerliche Stand wird im Stück, so die Dramaturgin Nina Rühmeier, bewusst durch das Familienmodell der alleinerziehenden Mutter ersetzt, welches in unserer heutigen Welt am häufigsten von Armut bedroht ist. Die Rolle des Vaters wurde gestrichen.2Nina Rühmeier, Dramaturgie, bei der Einführung zur Vorstellung von „Kabale und Liebe“ am 16. Januar 2014.

„Es ist ‚Kabale und Liebe‘ von Schiller“ Nina Rühmeier, Dramaturgin

Der Präsident (Wilhelm Eilers), welcher in Schillers Drama den Adel vertritt, mimt in der Inszenierung den Vorsitzenden des Amazon(.as) Konzerns. Die Konfrontation zwischen den Ständen entsteht dabei durch die Liebe zwischen Ferdinand (Marek Harloff) und Luise (Annika Schilling). Während er der Sohn des Geschäftsleiters ist, ist Luise nur die Tochter der im Konzern arbeitenden Angestellten Frau Miller (Sabine Waibel). Der mächtige Konzern Amazon schimmert stets durch das Bühnenbild durch. Es sind eben jene Konzerne, die die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer werden lassen.3Nina Rühmeier, Dramaturgie, ebd. Als Zuschauer fühlt man sich traurig berührt, wenn sich Ferdinand und Luise in Mitten einer Lagerhalle, die ihre wirkliche Welt bestimmt, eine Fantasiewelt aufbauen – eine Welt, die nur den Beiden gehört.

„Für uns zeichnet sich diese Liebe dadurch aus, dass die Beiden in dieser Welt nicht zusammen sein können, aber sie haben eine gemeinsame andere Welt – eine gemeinsame Fantasie.“ Nina Rühmeier, Dramaturgie4Nina Rühmeier, ebd.

In der wirklichen Welt sieht es jedoch anders aus. Dort ist die Distanz zwischen den Gesellschaftsschichten für Ferdinand und Luise nicht zu überwinden. Während Luise schon bald klar wird, dass sie einem Bündnis entsagen muss, „dass die ganze Welt aus den Fugen reisen würde“, stellt sich Ferdinand gegen seinen Vater und gibt somit seinen gesicherte Stellung auf. Sinnbildlich hierfür steht der Wechsel seines Kleidungstils. Während er zu Beginn noch im lockeren Anzug auf der Bühne zu sehen war, trägt er später Jeans und ein weites Oberteil mit der Aufschrift „Team Snowden“ und lebt mit Luise in der gemeinsamen Traumwelt. Ferdinands sozialer Abstieg wird mit Snowdens Vita und dessen Exil zusammenbracht. Das „Team Snowden“ wird in seinem Handeln durch die Wahrheitssuche bestimmt. Spätestens als Ferdinand in den Zuschauerraum läuft und ruft: „Diese Regierung ist nicht von Gott!“ ist klar, dass der Zustand, in dem sich unsere Gesellschaft und unsere Regierung befindet, damals wie heute, ein unnatürlicher ist. Die Flucht der beiden Protagonisten misslingt aufgrund einer Intrige. Eine Intrige, die hauptsächlich von Wurm (Stefko Hanushevsky), dem Sekretär des Präsidenten, ins Leben gerufen und auch in die Tat umgesetzt wird. Wurm gehört selbst keinem hohen Stand an, schmückt sich jedoch mit seiner Stellung beim Präsidenten. Das führt auch dazu, dass er seinen eigenen Stand verrät und seine Stellung ausnutzt, um seine eigenen Interessen zu verfolgen. Eine weitere zentrale Person des Stücks ist Lady Milford, die Mätresse des Fürsten, die der Präsident mit seinem Sohn Ferdinand verheiraten will. Sie weiß bereits früh um die Ausweglosigkeit aus den Zwängen einer Gesellschaft, in der Macht, Ansehen und die persönliche Stellung mehr zählen als Liebe, Wahrheit und die persönliche Freiheit. Lady Milford wird von Sabine Waibel dargestellt, welche ebenfalls die Rolle der Frau Miller übernimmt und in beiden Rollen durch ihre schauspielerische Leistung überzeugt.

„Lass mich aus seinem Mund es vernehmen, dass Tränen der Liebe schöner glänzen in unseren Augen, als die Brillanten in unserem Haar?“ Lady Milford5Friedrich Schiller: Kabale und Liebe, 2. Akt, 1. Szene, Z. 27-29.

Zum Schluss werden die Hoffnungen Aller enttäuscht. Luises Mutter wird entführt und Wurm macht Luise deutlich, dass sie ihre Mutter nur retten kann, wenn sie Ferdinand verlässt. Die Intrige wird so weit geführt, dass Ferdinand schließlich wahnsinnig wird und Luise tötet. Luise schaukelt, in Anlehnung an das Musikvideo von Miley Cyrus, sehr leicht bekleidet auf einer Abrissbirne, während Ferdinand sie mit der „giftigen“ Limonade überschüttet und laute Musik eingespielt wird. Auch wenn man meinen könnte, dass diese höchst moderne Inszenierung nichts mehr mit Schillers Werk zu tun hat, kann man sich der Dramatik dieser Szene dennoch nicht entziehen. Man spürt die Verzweiflung und den Schmerz Ferdinands und ist gleichzeitig ergriffen von der Demütigung, die Luise erfährt. Beide sind unschuldig, doch Macht, Falschheit und die Intrigen der Obrigkeit bringen sie schließlich dazu, sich gegenseitig zu zerstören. Generell trug die imposante Art der Inszenierung und insbesondere auch die lauten Musikeinlagen stark zur dramatischen Stimmung des Stücks bei.

Christian Bös (Kölner Stadtanzeiger) schreibt über Solbergs Inszenierung, dass sie „pragmatisch gesprochen […] der ideale Theaterabend für die ganze Schulklasse“ sei.

„Nur durch das Extreme gelangen wir zur Klarheit.“ Friedrich Schiller

Kann dies nicht durchaus positiv gesehen werden, wenn Solberg durch die moderne Art seiner Inszenierung das Interesse eines jüngeren Publikums weckt? Solberg bringt Schillers Werk neu auf die Bühne und behandelt es dabei -wie auch Bös einräumt - „mit großem Respekt.“6Christian Bös: Alles ist dringlich, alles ist jetzt, Kölner Stadtanzeiger, 13. Januar 2014.
Zugleich hebt Solberg die aktuelle Brisanz des Werks hervor und kritisiert somit auf extreme Weise das politische sowie gesellschaftliche System, in dem wir heute leben. Zusammenfassend kann man über Solbergs neue Inszenierung von KABALE UND LIEBE sagen, dass es sich um eine rundum gelungene Aktualisierung des Werks handelt, welche die heutige Zeit vor der Folie von Schiller bürgerlichem Trauerspiel kritisch reflektiert und dem Publikum in gewisser Weise einen Spiegel vorhält. Das was man sieht, mag nicht Jedem gefallen und in Anbetracht der Erwartungen an das klassische Stück, ist auch eine gewisse Befremdung bei den Zuschauern zu beobachten. Solberg zeigt jedoch wie aktuell Schillers Werk auch heute noch ist und wie Theodor Fontane bereits feststellte, „[bringt uns das Stück] immer aufs Neue […] unter seine außerordentliche dramatische Gewalt.“

Foto: David Baltzer | Schauspiel Köln

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