Stellwerk Magazin

Ein essayistisches Porträt Das Material Werner Schwab

Vorwort

Werner Schwab, der österreichische Schriftsteller und Dramatiker verfolgte eine Demaskierung der Sprache. Der ausbleibende Erfolg im Literaturbetrieb, dem er seine Fäkaliendramen, das Kadaverstück oder etwa Stücke wie MESALLIANCE. ABER WIR FICKEN UNS PRÄCHTIG entgegenstellte, trieb ihn zur körperlichen Arbeit, zur Arbeit an verschiedenen Materialien - an Holz, an Kadavern, an der Sprache.

1.1.1994, 4,1 Promille Alkohol. Fügt man bei Neugeborenen üblicherweise das Gewicht, ergänzt um die Körperlänge und Kopfgröße der Bekanntgabe des Geburtsdatums hinzu, wird der Todeszeitpunkt des österreichischen Objektkünstlers und Schriftstellers Werner Schwab gemeinhin mit dem festgestellten Alkoholwert zusammengedacht. Der immer wieder unter depressiven Schüben leidende, 35-jährige Schwab laborierte gegen Ende des Jahres 1993 an einer Gastritis und einem Zwölffingerdarmgeschwür. Er hatte eine Lungenentzündung beflissentlich ignoriert. Einmal mehr war er am Silvestertag betrunken und orientierungslos durch Graz geirrt, bis seine Lebensgefährtin Elisabeth Krenn ihn fand, er sich in ihrer gemeinsamen Wohnung wiederum an der Bar bediente, einschlief und aufgrund einer Atemlähmung am nächsten Morgen nicht mehr aufwachte.1Vgl. Trenkler, Thomas: Ich bin der Dreck und das Gute. Chronologie eines österreichischen Schicksals. In: Gerhard Fuchs und Paul Pechmann (Hrsg.): Werner Schwab. Graz 2000, S. 265-278, S. 266f.

Schwab hat sich totgesoffen, möchte man unumwunden feststellen, und nur zu gut passt diese Annahme zur Stilisierung seiner Person, zum Mythos des Gesamtkonzeptes ‚Projekt Schwab’, "einer beispiellosen, auf aufgesetztem Zynismus und Arroganz beruhenden Selbstinszenierung [...]."2Orthofer, Ingeborg und Stefan Schwar: Werner Schwab. In: Alo Allkemper und Norbert Otto Eke (Hrsg.): Deutsche Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Berlin 2000, S. 884-899, S. 884. Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte Schwab fernab von Ruhm und Öffentlichkeit. Er, der seinen Vater nie kennen gelernt hatte, wuchs bei seiner streng katholischen Mutter auf, die sich als Haushälterin verdingte und mit ihrem Sohn in Kellerbehausungen und kargen Einzimmerwohnungen lebte. Nach einem vergeblichen Ausbildungsversuch auf der Handelsschule schloss Schwab auch die drei Jahre seines Lernens an der Grazer Kunstgewerbeschule nicht ab, weil er sich weigerte, eine Prüfungsleistung zu erbringen. Trotzdem wurde er 1978 von Bruno Gironcoli in dessen Klasse an der Wiener Akademie der Bildenden Künste aufgenommen. Auch dort spielte er jedoch nur auf Zeit, um bereits nach zwei Jahren mit seiner späteren Ehefrau Ingeborg Orthofer in die Oststeiermark umzusiedeln, im Münzengraben von Kohlberg, der Schattenseite eines Tales, einen Bauernhof zu beziehen und ein Selbstversorgerdasein zu führen.

Während des knappen Jahrzehnts der Einsiedelei schrieb Schwab experimentelle Texte, entwickelte Figuren für seine künftigen Theaterstücke und steuerte damit geradewegs auf eine Krise im eigenen Schaffen und der Beziehung zu Orthofer zu: Denn obwohl er das Geschriebene regelmäßig an Literaturzeitschriften, Radiostationen und Theaterhäuser schickte und sich um Stipendien bewarb, wartete er vergeblich auf positive Resonanz. Erst 1989 bot sich ihm dank eines Bekannten aus Graz die Gelegenheit, bei einem kleinen Festival sein __Kadaverstück. Das Lebendige ist das Leblose und die Musik_ aufzuführen.

Man hatte noch kaum etwas von Schwab gelesen, als man schon zu wissen glaubte, wer er war: ein gefährliches Genie, ein betrunkenes Monster, ein nach bürgerlichen Maßstäben vollkommenes Ekel.3 Schödel, Helmut: Von einem, wie er einer sein mußte. In: Die Zeit Nr. 3 vom 14.1.1994. Abrufbar unter: http://www.zeit.de/1994/03/von-einem-wie-er-einer-sein-musste (2.1.2014). "Management + Legende + Text = Sieg + Spaß."4Orthofer und Schwar: Werner Schwab, S. 884. Schwab erwählte diesen Ausspruch zum Diktum seines ‘Projekts Schwab’.

Das kurze Aufwallen von Beachtung konnte zwar die Trennung von Orthofer nicht verhindern, doch verhalf es Schwab zu weiteren Lesungen und Inszenierungen seiner Stücke. Plötzlich war das Kellerkind gefragt.

1991 kürte ihn Theater heute zum Jungdramatiker des Jahres, darauffolgend erhielt er für Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos den Mülheimer Dramatikerpreis, zum Zeitpunkt seines Todes schließlich galt er als einer der erfolgreichsten und meistgespielten Gegenwartsdramatiker.5Vgl. für diesen Abschnitt Trenkler: Ich bin der Dreck, sowie Orthofer und Schwar: Werner Schwab. Seine Setzung ins Rampenlicht beantworte Schwab mit Legendenbildung. Der hochgewachsene Schlanke, oft in wallendes Schwarz gehüllt, zeigte sich gänzlich uninteressiert an den Debatten um seine Stücke, rief lauthals aus, dass er weder mit dem Theater noch mit dem Habitus des Dichters etwas zu tun habe6Vgl. Schödel, Helmut: Seele brennt. Der Dichter Werner Schwab. Wien 1995, S. 5. und tat damit "seinerseits alles, um das Image des rebellischen Underdogs und Outsiders zu bedienen."7Krause, Günter: Pop und Punk oder die Sprache auf dem Theater. In: Jean-Marie Valentin (Hrsg.): Akten des XI. Internationalen Germanistenkongresses Paris 2005 „Germanistik im Konflikt der Kulturen“. Bern 2007, S. 179-184, S. 179. Die wohl bekannteste Fama strickte er um die Nazi-Vergangenheit seines Vaters, der sich Hitler in Lebensborn als Samenspender zur Erzeugung arischen Nachwuchses zur Verfügung gestellt haben sollte.8Krause, Günter: Pop und Punk oder die Sprache auf dem Theater. In: Jean-Marie Valentin (Hrsg.): Akten des XI. Internationalen Germanistenkongresses Paris 2005 „Germanistik im Konflikt der Kulturen“. Bern 2007, S. 179-184, S. 179.

Theater als metaphysisches Bodenturnen

"Wenn man von einem ‘Thema’ ausgeht, dann wird’s immer ein ganz scheußliches Theaterstück, oder meistens überhaupt keines. Man muß vom Material ausgehen, und sich fragen, was es kann."9 Roland, Koberg, Klaus Nüchtern und Werner Schwab: Vernichten, ohne sich anzupatzen. In: Falter. Stadtzeitung Wien. Beilage zu Nr. 40/1992: Bücher Herbst 92, S. 4.]

Nur zu gut aber passt die Verbindung seines Lebens mit "dem schaurig-schönen Nimbus der alkoholgetränkten Selbstzerstörung"10 Ebd. auch zum Umgang, den Schwab zeitlebens mit seinem künstlerischen Material pflegte, mit den Tierschädeln seiner verwesenden Plastiken, den Figuren seiner Fäkaliendramen und Königskomödien, mit seiner charakteristischen Schriftsprache und – wie hier behauptet werden soll – mit seiner eigenen Persönlichkeit.

Schwab stellte diese Frage nach den Möglichkeiten des Materials bis in die Extreme. Im Hof ihrer Keusche in Kohlberg ließen Orthofer und er die Köpfe und Krallen der von ihnen geschlachteten Tiere verrotten, um zuzusehen, wie Getier und Gewürm, Sonnenstrahlen und Eis über Jahre die Knochen veränderten und das Material auftrieben. In ihrer wachsenden Faszination scheuten sie nicht, die folgenden Rohstoffe dafür eigens vom Fleischer zu besorgen.11Vgl. Trenkler: Ich bin der Dreck, S. 271f. Von den Dorfbewohnern, deren Gesellschaft Schwab in der einzigen Gaststätte des Tales häufig teilte, und seinem Nachbarn und Mostbruder, dem Rossknecht Josef Trink, inspiriert12Vgl. ebd., S. 272f., erschuf er die Personen seiner Theaterstücke – einfache, grob geschnittene Gemüter, deren Taten nicht selten und gleichweise unvermittelt zu Mord und Kannibalismus eskalieren.

"Darum bin ich auch Dramatiker geworden, weil ich als österreichischer Trabantendeutscher als ERSTES und WICHTIGSTES zerstören will: MICH. [...] Das Publikum will eigentlich nicht von kuscheligen Wattestäbchen saubergebohrt werden und auch nicht von kleinen Massagestäbchen gekitzelt werden, ES will einen hell leuchtend glühenden Laternenpfahl als Theater in die deutschen Eingeweide gerammt bekommen. Dies ist eine Behauptung, und alle Behauptungen sind richtig [...]."13Schwab, Werner: Das Grauenvollste – einfach wundervoll. In: Theater heute 12/1991, S. 9.

Durch gezielte Eingriffe in Lexikon und Syntax reizte Schwab sodann die Hochsprache bis zur Erschaffung der ihm eigenen Bühnenzunge des ‚Schwabischen’ aus, die allenthalben als ungesund wuchernder Tumor14Vgl.: Landa, Jutta: „Königskömodien“ oder „Fäkaliendramen“? Zu den Theaterstücken von Werner Schwab. In: Modern Austrian Literature, Vol. 26, Nr. 1, 1993, S. 215-229, S. 222. oder "Metaphernsalat"15Herzog, Andreas: Volksvernichtung oder meine Sprache ist sinnlos. Werner Schwab und die Gewalt der Sprache in der neuesten österreichischen Literatur. In: Angelika Corbineau-Hoffmann und Pascal Nicklas (Hrsg.): Gewalt der Sprache – Sprache der Gewalt. Beispiele aus philologischer Sicht. Hildesheim u.a. 2000, S. 265- 293, S. 274. mit entweder vielschichtigem oder schlicht keinem Bedeutungswert charakterisiert wird. Verdauungsexkremente und Sexualität spielen in ihr eine ausnehmend wichtige Rolle, immer wieder liegt der Versuch einer Gleichsetzung offen: "von Sprache und Scheiße, von Lingualität und Analität, Geist und Körper [...]."16 Stradner, Richard: Punk:Schwab:Artaud oder Fick zurück was die zufickt (die SPRACHE). In: Gerhard Fuchs und Paul Pechmann (Hrsg.): Werner Schwab. Graz 2000, S. 155-173, S. 159.

Er pflegte das "Aufbegehren gegen den eigenen Körper, der ganz im Sinne Schwabs, immer ein normierter, also ein ‚Volkskörper’ [war] (also Sprachkörper, also Scheiße) [...]."17Ebd., S. 168.

Letztlich, denkt man die Idee des Materialraubbaus weiter, forderte Schwab auch für sein eigenes Dasein die Grenzen des Möglichen heraus, lebte, ob in der bevölkerten Großstadt oder im einsamen Tal, am Rande von Hunger und Kälte, Besäufnis und Krankheit. Nicht auszuschließen folglich, dass er aus seinem Leben – wie aus den verwesenden Tierknochen, der dramatis personae und der kodierten Sprache seiner Theaterstücke – Kunst machen wollte, indem er das Material seines Fleisches provozierte, bis es nachgab.

Der hell leuchtend glühende Laternenpfahl muss Schwab selbst sein 18Nicht zuletzt wird die Beschreibung seiner Erscheinung auch von der Nennung seiner hünenhaften Gestalt mit leuchtend rotem Haar begleitet., der mit seinem verfremdeten Ton und dem deftigen Personal seiner Stücke dem Feuilleton und Theaterpublikum einen mittigen Hieb versetzte, und kehrwendend den Schlag zurück erhielt. Stets vom Fleisch aus ging seine Frage nach den Möglichkeiten – vom schwindenden Fleisch der geschlachteten Tiere, von den eigentümlichen Leibern der Dorfbewohner, von der Fleischlichkeit der Sprache. "Vom Leberkäs-Konsum zur Feier des Heiligen Abendmahls ist es [dann] nur ein Schritt." 19Herzmann, Herbert: Volksstückvernichtung oder mein Körper ist sinnlos. Anmerkungen zu den Fäkaliendramen von Werner Schwab. In: Gerhard Fuchs und Paul Pechmann (Hrsg.): Werner Schwab. Graz 2000, S. 106-124, S. 109. Gemäß seiner Forderung sollte auch das Theater reines Menschenfleisch werden20 Vgl. Schwab: Das Grauenvollste, S. 9, damit es modelliert werden könne, wie auch er sein Leben für die Öffentlichkeit formte. "Denn Theater ist so eine Art metaphysisches Bodenturnen. Man braucht bloß einen möglichst einfachen Sachverhalt, zum Beispiel: man versitzt seine Zeit in einer Gastwirtschaft, solange ins Kreuz treten, bis der anwesenden Bedeutung Brechdurchfall zustößt und sich gezwungen sehen muß, möglichst viele Subzusammenhänge zu übergeben. Man modelliert ein totes Tier und hat den Stoffzusammenhang für die Stoffe."21Schwab, Werner: Vorwort zu den Fäkaliendramen. In: Schwab, Werner: Fäkaliendramen. Graz 1991, S. 10.

Sein Fleisch gab der Überformung schließlich nach. Endlich tot. Endlich keine Luft mehr.22So der Titel eines Stückes aus den Königskomödien.

Foto: Joseph Gallus Rittenberg

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Fotokünstler: Joseph Gallus Rittenberg