Stellwerk Magazin

lit.cologne mit Rainald Goetz und Diedrich Diederichsen Das Super-Duo im Dialog

Vorwort

Diedrich Diederichsen hat mit seinen Büchern über Musik und Popkultur und als Redakteur des Spex-Magazins nicht nur Generationen musikbegeisterter Jugendlicher geprägt, sondern auch den Musikjournalismus und die Popkulturtheorie in Deutschland maßgeblich beeinflusst. Sein neues Werk “Über Pop-Musik” bezeichnen Kritiker schon jetzt als sein Opus Magnum. Im Rahmen der 14. lit.COLOGNE hat Diederichsen mit dem Autor Rainald Goetz über sein Werk gesprochen.

Nervös sei er gewesen, richtig nervös. Den ganzen Abend hätte er sich nicht konzentrieren können, nichts mit sich anzufangen gewusst. Und dann ganz plötzlich war alles vorbei, denn der Preis ging nicht an ihn. Diedrich Diederichsen, der seit den späten 70ern ein von Theorien und subjektiver Erfahrung getränktes und bis heute beispielloses Nachdenken und Schreiben über Pop begründet, beehrt an diesem Samstagabend das Publikum im Depot 1 des Schauspiel Köln, das sich im Rahmen der 14. lit.COLOGNE im Kölner Osten versammelt hat. Noch am Abend zuvor war Diederichsen bei der Verleihung des Leipziger Buchpreises, zitterte seiner Nominierung in der Kategorie "Bestes Sachbuch" entgegen, um am Ende zu sehen, wie der Preis an Helmut Lethen und sein Werk "Der Schatten des Fotografen" geht – so jedenfalls erzählt er.

Er spricht an diesem Abend knapp zwei Stunden über sein neues Buch "Über Pop-Musik". Und diesen Dialog führt er mit keinem Geringeren als dem Autor Rainald Goetz. Dieser hat schon zu Beginn des Gespräches immer wieder mit dem Luftholen zu kämpfen, denn ihm brennen so viele Fragen an seinen Kollegen unter den Nägeln, dass sie förmlich aus ihm herauszuplatzen scheinen. Teilweise überholt er sich selbst schon fast beim Reden und auch seine Gedanken sind in dem Moment, in dem die Worte aus seinem Mund kommen, schon wieder zehn Schritte weiter. Das Super-Duo spricht über die Theorie, die Diederichsen in seinem Werk zum Gegenstand gemacht hat: über Texte, das Sampeln von Texten, über Selbstinszenierung, den Beruf des Popkritikers und zuletzt auch über die Rezeption seines Buches. Diederichsen interessiert sich in "Über Pop-Musik" vor allem für die institutionelle Wahrnehmung des Gegenstandes Pop. Wie er im Gespräch mit Goetz erklärt, wollte er herausfinden, wie das Phänomen von der Gesellschaft organisiert wird.

Diedrich Diederichsen, geboren 1957 in Hamburg, studierte Hispanistik, Literatur und Philosophie. Seit den 80er-Jahren hat er sich einen Namen als ebenso vielseitiger wie scharfsinniger Theoretiker von Pop, Politik und zeitgenössischer Kunst gemacht. Durch seine journalistische Arbeit und vor allem als Redakteur des Spex-Magazins hat er den Musikjournalismus und die Popkulturtheorie in Deutschland maßgeblich beeinflusst. Er lehrt an verschiedenen Hochschulen, seit 2006 an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Er veröffentlicht regelmäßig in "Texte zur Kunst", "Theater heute" und im "Tagesspiegel". Diederichsen lebt in Berlin.

Rainald Goetz, geboren 1954 in München, studierte Medizin, Geschichte und Theaterwissenschaften in München und Paris. Bisher hat er fünf Bücher veröffentlicht; zu den Grundthemen seiner Arbeit zählen der Deutsche Herbst, seine eigenen Erfahrung bei der Arbeit in der Psychiatrie und die Techno-Bewegung in Deutschland. Der Schriftsteller lebt heute in Berlin. Für besondere Aufmerksamkeit sorgte Goetz 1983 durch den sogenannten Klagenfurter Eklat: Während seiner Lesung im Rahmen des Ingeborg-Bachmann-Preises schlitze er sich vor laufenden Kameras die Stirn mit einer Rasierklinge auf, ließ das Blut über seine Hände und das Manuskript laufen und beendete die Lesung schließlich blutüberströmt.

Seine Theorie formte er in verschiedenen Phasen seines Lebens. Schon Ende der 80er war er fasziniert von einer Fernsehdokumentation, in der ein kleiner Junge seinen Musikgeschmack erklärt. "Seither hatte mich das Thema auch nicht mehr losgelassen", erklärt der Theoretiker. Einen zweiten und den viel wichtigeren Denkanstoß entnahm er verschiedenen Vorlesungsreihen, die er leitete. Seit 2006 doziert Diederichsen an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Aus seinen Seminaren und Veranstaltungen dort nahm er auch einen Großteil seiner Ideen mit: "Das sind Menschen, die immer wissen, was sie sagen, wenn sie über Musik sprechen, quasi eine Elite von Kompetenz im Musikalischen. Bessere Voraussetzungen hätten mir für meine Arbeit nicht gegeben sein können", erklärt er. Für ihn seien Hochschulen Institutionen, die Generationen regeln – der Grundpfeiler kulturtheoretischen Denkens, wie Diederichsen meint.

Goetz scheint sich auf seinen Auftritt monatelang vorbereitet zu haben. Zuhauf liegen Zeitungsartikel, Sachbücher und Notizzettel vor ihm, das Material würde vermutlich für ein sieben- bis achtstündiges Gespräch reichen. Immer wieder nippt der Münchner an seinem Wasserglas, rückt hibbelig seinen Stuhl vor und zurück, fährt sich nervös durchs Haar und erscheint am Gespräch mit seinem Kollegen regelrecht ergötzt. Auf einen Großteil des Publikums springt dieser Funke auch über. Immer wieder wird das Gespräch der Beiden von schallendem Gelächter unterbrochen. Allerdings ist auch ein ständiges Kommen und Gehen von Zuhörern zu beobachten. Viele, vor allem die jüngeren Gäste, scheinen den komplexen Gedankengängen und der eloquenten Ausdrucksweise des Duos nicht wirklich folgen zu können.

Wer an diesem Abend eine einfache Buchbesprechung erwartet hatte, der ging vermutlich enttäuscht nach Hause. Zwar hangelte sich Goetz mit seinen Fragen thematisch am Aufbau des Buches entlang, allerdings theoretisierten die beiden Autoren auf so anspruchsvollem Niveau, dass sie dabei den nicht-Goetz-Diederichsen-affinen Teil des Publikums ziemlich auf der Strecke ließen. Für diejenigen, die dem Super-Duo jedoch mit der richtigen Einstellung entgegen getreten sind, war der Abend eine wahre Bereicherung – nicht nur über Pop.

Foto: Stellwerk

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