Stellwerk Magazin

lit.cologne mit Iris Berben und Christoph Maria Herbst Langeweile im Büro?

Vorwort

Am letzten Tag der lit.COLOGNE 2014 bereiteten Iris Berben und Christoph Maria Herbst das Publikum wieder auf den Alltag, genauer gesagt, den Büroalltag vor. Bekannt aus Comedy-Fernsehserien, die sich rund um das Thema Büro drehen, leisteten die Beiden Aufklärung darüber, was der Chef will, was die Angestellten zu wollen haben und wie sich alles unter einen Hut bringen lässt.

Affären, Sex und Mobbing

Klatsch und Tratsch im Büro zählen zu den Dingen, an denen gerade der Chef großes Interesse zu haben scheint, denn sie wirken einem anderen, weit größeren Übel entgegen: der Langeweile. So sieht der Chef in den kleinen Unterbrechungen der oft "drögen Angestelltenarbeit" ein Mittel gegen die Langeweile im Büro und die Gefahr, durch diese verrückt zu werden. Daher scheinen diese nicht nur gebilligt, sondern sogar regelrecht erwünscht zu sein. Zu Beginn lieferten sich Berben und Herbst einen Dialog, der veranschaulichte, dass nicht nur der Chef zum Problem werden kann – nein – es sind vor allem die ‚lieben’ Kollegen. Nach dem Motto Ich weiß was, was du nicht weißt wurden vordergründige Nettigkeiten ausgetauscht, während die eigentlichen Gedanken doch alles andere als nett waren, und nicht ohne "Arschloch" und "Wichser" auskamen. So wachgerüttelt, denn die Lacher als Reaktion auf den derben Humor waren sicher, wurde das Publikum behutsam auf das nächste Thema der Lesung, dem wohl größten Büro-Problem, vorbereitet:

Langeweile, der "Urzustand des Büros“

Das Beobachten der Zeiger, die sich einfach nicht weiterdrehen wollen. Zeit, die nicht vergeht. Passend dazu, wurden Auszüge aus Robert Walsers "Im Bureau" (2011) und David Foster Wallaces "Der bleiche König" (2013), gleichmäßig ruhig wie auch in die Monotonie abdriftend, gelesen. So wurde dem Zuschauer das Gefühl der Langeweile eindrücklich vermittelt, gleichzeitig hatte dies aber auch den Vorteil, dass sich die Komik einzig aus diesen Textstellen heraus entfalten konnte. Die Ruhe hielt nicht lange an. Es dauerte nicht lange bis der Chef, alias Andreas Platthaus, anfängt, seine Chefposition gegen Christoph Maria Herbst zu demonstrieren, als dieser gerade dabei ist, Hintergrundinformationen zu Walser herauszugeben. Platthaus macht seinen Standpunkt eindeutig: eine klare Hierarchie im Büro ist unabdingbar, und der Chef steht an oberster Stelle. Er erklärt dem Publikum, was im Büro möglich ist und was nicht. Die Devise lautet hier: Hauptsache diskret.

Eigentlich sei alles erlaubt. Konzentrierte Schreibtischarbeit sei sowieso ein Mythos. Nicht-Arbeiten, Affären, Sex und Mobbing – solange es nur diskret geschieht – alles kein Problem! Der zivile Ungehorsam ist durchaus erwünscht, denn er wirkt der Langeweile der Angestellten entgegen und bewahrt sie davor, verrückt zu werden. Er dient als Strategie, um den Büroalltag unbeschadet zu überstehen. Das scheinen auch die meisten literarischen Figuren zu wissen. Nachdem im ersten Teil das Grundproblem des Büroalltags dargestellt wurde, folgten im zweiten Teil Möglichkeiten, dieses Problem zu beseitigen. Auch die Lesung passte sich der neuen Gangart an - Iris Berben und Christoph Maria Herbst liefen zur Höchstform auf.

Iris Berben (*1950), die eigentlich aus dem Schauspielmetier stammt, übernahm 1982 die Rolle der Annette Münzner in der Fernseh-Comedyserie "Büro Büro", weshalb sie im Bereich Büro kein Neuling mehr ist. Seit 2005 ist sie regelmäßig bei der lit.COLOGNE als Sprecherin zu Gast und hat bereits mehrere Hörbücher vertont. Auch Christoph Maria Herbst (*1966) ist bei der lit.COLOGNE kein neues Gesicht. Den meisten ist er bekannt als Büro-Fiesling der Serie "Stromberg". Neben der Schauspielerei hat er 2010 auch sein Buch "Ein Traum von einem Schiff" veröffentlicht und tourt immer wieder mit Lesungen durchs Land.

Berben las ihre Rolle als Gilgi aus Irmgard Keuns gleichnamigen Roman von 1931 ausgezeichnet. Kokett und mit viel Witz stellte sie die Passage mit der adretten, jungen Frau dar, die am liebsten so schnell wie möglich wieder aus dem Büro raus will. Dass es meist nicht der Chef ist, der sich langweilt, sondern die Angestellten, zeigt sich auch in Giglis Fall. Vor zu viel Provokation sei also gewarnt. Ein "zu viel" kostet den Job. So auch für Gigli, die die sexuellen Avancen ihres Chefs provoziert, diese dann jedoch realiter kategorisch ablehnt.

Auch Herbst glänzte bei der Lektüre von Tucholskys Kurzgeschichte "Abends nach sechs" (1924):

"[...] und auf den Wegen gehen die eingeklammerten Liebespaare und töten die Chefs",

– das Publikum applaudierte und lachte, aber Herbst wiegelte clever ab, denn "die Stelle war gut, aber es geht noch weiter!" Gesagt, getan: denn es gibt noch allerhand andere Charaktere, die es bewusst darauf ankommen lassen, sich mit dem Chef anzulegen. Und das ist auch gut so. Denn das Aufbegehren gegen den Chef hilft nicht nur gegen Langeweile, nein, es gibt dem Angestellten auch ein Gefühl der Macht über den Vorgesetzten. Doch alles nur in Maßen, denn am Ende des Tages sitzt der Chef immer noch am längeren Hebel. Dass Büroklammern gestohlen oder illegale Kopien gemacht werden, müsse man als Chef akzeptieren, schließlich diene dies einem höheren Zweck: zufriedenen Angestellten.

Dagegen sei aber die direkte Konfrontation mit dem Chef nicht empfehlenswert. Deshalb rät der Chef Platthaus dem Publikum auch davon ab, sich an J.J. Voskuils Herr Veerman aus "Das Büro. Direktor Beerta" (1996) zu orientieren. Dem Chef gegenüber die überzogene Mittagspause mit dem flapsigen Satz - "Genies haben ihre eigene Zeit!“ - zu kommentieren, kann für Veerman nur böse enden. Besser stelle sich da schon Herr Hornung in Wilhelm Genazinos "Abschaffel" (1977/78/79) an. Der kettenrauchende und trinkende Hornung lässt sich von Verboten nicht abschrecken. Auch am Schreibtisch will er sein Gläßchen Wein nicht missen müssen. Dies sorgt nicht nur bei ihm für Ablenkung, sondern auch bei seinen Kollegen im Großraumbüro. Tut er es? Tut er es nicht? Am Ende tut er es doch. Schenkt er sich dabei zwar das Glas Wein auf seinem Schreibtisch ein, so landet die Weinflasche jedoch diskret im Papierkorb. Und so funktioniert der Büroalltag für alle Beteiligten reibungslos.

Zum wirklichen Vorbild der Angestellten sollte man sich jedoch Melvilles "Bartleby, der Schreiber" (1853) nehmen, der, wenn er etwas nicht tun will, dies freundlich, aber bestimmt kommuniziert:

"Ich würde vorziehen, es nicht zu tun."

Auch der Chef nimmt sich Bartleby als Vorbild. Er könne zwar noch viele weitere Tipps zum Besten geben, er ziehe es jedoch vor, es nicht zu tun. So konnte das Publikum für die kommende Bürowoche einiges lernen: Es gibt Mittel und Wege sich von der Arbeit abzulenken, solange man es nur diskret macht. Und sich gegen den Chef aufzulehnen, ist in gewissem Maße nicht nur erlaubt, sondern auch erwünscht. Sorgt ja schließlich für Ablenkung im gesamten Büro. Und die Angestellten können dadurch überhaupt erst den Büroalltag überleben, ohne verrückt zu werden.

Foto: Jasmin Grossmann