Stellwerk Magazin

Filmkritik Love OS

Vorwort

Verliebt in einen Computer, genauer gesagt in die Stimme von Scarlett Johansson. Spike Jonzes neuer Film HER mit Joaquín Phoenix und Scarlett Johansson ist die Computerliebesromanze des Informationszeitalters. Da Scarlett Johanssons Präsenz einzig durch die Stimme des Betriebssystems Samantha in Erscheinung tritt, wurde Johanssons Nominierung bei den Golden Globes abgelehnt, der Film wurde jedoch in der Kategorie “Bestes Drehbuch des Jahres” mit einem Oscar prämiert.

Verliebt in die Stimme eines Betriebssystems: Spike Jonze erzählt in seiner oscarprämierten Romanze "Her" die Liebe im 21. Jahrhundert – als unheimliche Liebesbeziehung zwischen Mensch und Computer.

"Are you social or anti-social?“

Das, und eine Auskunft über das Verhältnis zur eigenen Mutter, mehr muss die App nicht wissen, um dem befragten User eine customized OS zu generieren. Das ultra komplexe, hochintelligente Betriebssystem lernt nicht nur schnell, sondern besitzt auch eine ausgeprägte Persönlichkeit – und vor allem eine Stimme.

Humaner Darsteller der dezent mit Science-Fiction gespickten Romanze ist Joaquín Phoenix. Er spielt Theodore Twombly, der im Jahr 2025 seinen Lebensunterhalt als Auftragsautor verdient. Theodore lebt seit der traumatischen Trennung von seiner Jugendliebe Catherine (Roony Mara) allein. Und wäre da nicht wenigstens seine beste Freundin Amy (Amy Adams), die den Single zum sozialen Umgang drängt, würde sich Theodore in seiner Freizeit vermutlich ausschließlich zwischen Computerspiel-Holographien und Chat-Sphären bewegen. Bis er das neue Betriebssystem erwirbt.

Der Regisseur Spike Jonze wurde 1969 in Rockville, Maryland, USA geboren.Er begann seine Karriere als Regisseur für Musikvideos, u. a. für die Beastie Boys ("Sabotage") und für Fatboy Slims Video "Weapon Of Choice" mit dem unvergesslichen Christopher Walken. Seinen ersten, sehr erfolgreichen und mit drei Oscarnominierungen verzeichneten Spielfilm "Being John Malcovich" produzierte er 1999. Jonze bildete ein Drittel des Triumvirates der genialen Köpfe hinter dem "Dirt Magazine", der kleinen Schwester-Publikation des bahnbrechenden "Sassy Magazine". Er ist außerdem einer der Erfinder der MTV-Show "Jackass" und Mithinhaber des Skateboard-Labels "Girl Skateboard". Für seinen Film "Her" erhielt Jonze bei der Oscarverleihung 2014 den Oscar für das beste Originaldrehbuch

Das sprachgesteuerte, personalisierte OS versendet nicht nur Mails seines Benutzers und verwaltet dessen Festplatte, es kann auch ein Freund werden. Ein Freund, der tröstet, scherzt und jederzeit zur Verfügung steht. In dieser Zukunft ist es deshalb auch gar nicht ungewöhnlich, dass Menschen ihr OS daten. Mittels ultrakleinem Mini-Tablet und Headset in stetem Kontakt stehend, wird das Verhältnis mitunter so intim, dass OS und Mensch sich verlieben, Sex haben, eine Beziehung führen.

Theodore hat in der einzigen Grundeinstellung die weibliche Variante gewählt. Die Software selbst tauft sich schließlich Samantha und beginnt – in der Originalfassung mit der unglaublichen Stimme Scarlett Johanssons – den Dialog mit ihrem zunächst erstaunten, aber schon bald verzücktem Gegenüber. Von da an heißt es: all ears on Samantha, der eigentlichen Hauptfigur. Es ist lediglich eine Stimme, die nicht einmal einen Avatar besitzt, aber eine technisch induzierte Präsenz offenbart. "You helped me to discover my ability to want", sagt sie einmal zu Theodore. Da ist Theodore seinem körperlosen OS schon längst verfallen. Und während die beiden unter kalifornischer Sonne sitzen und herumalbern, will man gerne mehr über die Beschaffenheit dieses Betriebssystems erfahren. "Her" kümmert sich allerdings nur beiläufig um eine ontologische Bestimmung Samanthas. Wo künstliche Intelligenz sonst in vielen Filmen eine Menschwerdung anstrebt, zeigt sich diese in ihrer Nichtmenschlichkeit recht zufrieden.

Die Welt in "Her" scheint zunächst auf werbefilmmäßige Weise warm, wattig und gemütlich, High-Tech Design ist kaum zu sehen. Die Technik hat sich scheinbar geschickt in den Alltag der Menschen eingefügt und sich ihm untergeordnet. Sie ist allgegenwärtig wie Luft, aber auch genauso unsichtbar. Technologisch ist bei "Her" also nicht viel zu holen. Die sichtbare Alltagstechnik ist nur eine geringfügig weiterentwickelte Version bereits jetzt verfügbarer Interfaces und Algorithmen. Und die künstliche Intelligenz Samanthas ist so weit fortgeschritten, dass sie von einem Menschen nicht zu unterscheiden ist. Erklärt wird praktisch nichts. Denn der Film richtet vielmehr den Blick auf unsere Beziehungen und stellt Vorstellungen romantischer Liebe auf die Probe, indem er die Möglichkeiten des Menschseins an einer Maschine scheitern lässt.

Der Film denkt darüber nach, was passiert, wenn der Mensch selbst die Maschine gewissermaßen zum Menschsein erhebt. Wenn er etwa seine Autorität an die Maschine abgibt, eine gleichberechtigte Beziehung eingeht und sich dabei letztlich in ihr verliert. "Her" zeichnet die technologische Parallele zur Entwicklung einer romantischen Beziehung in eine missbräuchliche nach, wenn die gegenseitigen Abhängigkeiten der Partner aus dem Gleichgewicht geraten. Und er stellt die Frage, ob die romantische Liebe dem Menschen vorbehalten ist, oder ob die Zukunft einer universelleren Liebe gehören könnte.

Theodore wird in "Her" zwar ein besserer Mensch, aber gleichzeitig auch zum Menschen erniedrigt. Er verliert den Anschluss und sitzt am Ende des Films verlassen und klein wie ein Kind auf dem Hochhausdach. Er hat sich mit einer Maschine eingelassen und dabei sein mickriges Menschsein erfahren. Er könnte mit ihr einfach noch mehr Mensch, mehr er selbst, ein besseres Selbst sein. Aber er wäre nie mehr als eben das: nur ein Mensch.

Foto: Stellwerk