Stellwerk Magazin

Rezension Der pinkbeinige Human: Huyghe im Ludwig

Vorwort

Pierre Huyghe wurde 1962 in Paris geboren. Er zählt zu den impulsgebenden Ak­teuren in der in­ter­na­tio­nalen, zeitgenössischen Kunst. Seine Ar­beit­en treten in un­ter­schiedlichsten For­men auf – als lebende Sys­teme, Ob­jekte, Filme, Fo­to­gra­fien, Zeich­nun­gen und Musik.

Seine wichtigsten Arbeiten der 1990er und frühen 2000er Jahre - wie etwa “Snow White Lu­cie”, “Time­keep­er”, “No Ghost No Just a Shell” oder “L’Ex­pe­di­tion Scin­til­lante and A Jour­ney That Wasn’t” setzen sich intensiv mit dem Ausstel­lungsprozess au­sei­nan­der.

Seit eini­ger Zeit en­twick­elt Huyghe in sich geschlossene Sys­teme, die Le­be­we­sen und Arte­fakte um­fassen und in unbes­timmtem Rhyth­mus Ereignisse generieren. Dies ist zum einen besonders in “The Host and the Cloud” (2009-2010), als auch in seinem Projekt “Un­tilled” (2012) zu sehen, die auch seinen Bei­trag zur dOC­U­MEN­TA 13 in Kassel stellten.

Pierre Huyghe, Human Pierre Huyghe, Human

Am Sonntagnachmittag ist die Pierre Huyghe Ausstellung im Museum Ludwig in Köln voller Besucher. Zwischen den verschiedenen Filmen, die nur wenige Meter voneinander gezeigt werden, und einer donnernden Stimme, die Besuchernamen in die Halle ruft, herrscht hier ein Heidenlärm. Auf dem Weg durchs Dunkle kann es dann schon mal passieren, dass man einer weißen Hündin mit einem pink gefärbtem Bein und ihrem Herrchen, dem Mann mit der leuchtenden Buchmaske, begegnet. Es kann aber auch sein, dass die Beiden gerade am Rhein Gassi gehen.

Nach Köln importiert

"The Host and the Cloud" konfrontiert eine Gruppe von Menschen unmittelbar mit zufälligen Situationen in einem verlassenen ethnografischen Mu­se­um. Es ist ein Live-Experiment. Die Anwesenden wur­den mit dem laufen­d­en Ex­per­i­ment allein ge­lassen, parallel dazu wurde das Ereig­nis gefilmt. Holger Liebs bezeichnete "The Host and the Cloud" in der Monopol (14.01.2011) auch als eine Art "filmische Mini-Retrospektive zum Werk Huyghes", das daher auch, so Liebs, ein "verklausuliertes Selbstporträt, eine Reise in die Abgründe der Künstlerseele – oder eine schonungslose Analyse des eigenen Rollenselbstverständnisses" darstelle.

Pierre Huyghe ist einer dieser Künstler, die allein durch ihre Anwesenheit für Furore sorgen. Unter seinem Namen verwandelt sich das Opernhaus in Sydney in einen künstlichen Urwald und das ethnographische Museum von Paris wird zum Setting seines rauschhaften Experimentalfilms "The Host and the Cloud". Das Ausmaß seiner Kunst setzt neue Maßstäbe. Ob man sich nun über das Spektakel ärgert oder es gar bezaubernd findet, Huyghes Kombination aus lebender und statischer Kunst ruft bei Menschen eine Reaktion hervor. Dieses Mal ist Köln der Schauplatz für Huyghes besondere Mischung aus abstrakter und lebendiger Kunst.

Im Museum Ludwig hat Pierre Huyghe eine Retrospektive seines Gesamtwerkes installiert und er ist dabei recht gründlich vorgegangen. Von seinen ersten Filmen bis zu seinen neusten Megaprojekten ist hier von allem etwas vertreten. Die Retrospektive umfasst Versatzstücke aus einer Vielzahl von Huyghes Projekten: Von langsam schmelzenden Eisflächen, über taktisch aufgehängte Planen, bis zu einem bewohnten Bienenstock auf dem Kopf eines Frauenaktes in einem Außenbereich der Ausstellung ist so ziemlich alles vertreten. Viele der Ausstellungsgegenstände sind verblüffend simpel. So ist ein Objekt, der zweiseitige Erfahrungsbericht von Huyghes aktueller Ausstellung, lediglich an eine Wand geheftet worden. Bei der leisesten Luftbewegung bäumt sich das Papier auf, als wolle es gleich davonfliegen. Aber ganz im Kontrast zu Konzeptskizzen und eingerahmtem Notenpapier finden sich hier auch die komplexen Projekte, die Huyghe so aufsehenerregend machen. Darunter fällt unter anderem das Abschleifen einer Wand am Eingang der Ausstellung. Wie Baumringe enthüllen sich hier die regenbogenartigen Farbschichten vergangener Jahre. Sogar Teile des vorigen Schauplatzes seiner Retrospektive hat Huyghe mitgebracht. Wände des Pariser Museums sind abmontiert und im Kölner Ausstellungssaal wieder aufgebaut worden. Ihre labyrinthartige Anordnung führt leicht zur Desorientierung. Um dem Museum Ludwig bei allen Neugestaltungen dennoch den eigenen Charakter zu bewahren, hat Huyghe auch einen grauen Teppich aus dem Verwaltungstrakt an den Eingang der Ausstellungshalle verlagert.

Zwischen Archiv und Biotop

Neben Huyghes aufwändigen Ideen ist jedoch vor allem beeindruckend, dass man durch die ausufernde Sammlung von Objekten nicht erschlagen wird. Obwohl die ca. 40 Ausstellungsgegenstände in Form und Komplexität stark variieren, lassen sich doch auch immer wieder Verbindungsglieder finden. Das Auftreten von Gesichtern, von Hüllen und Oberflächen vereint die vielen Aspekte von Huyghes Gesamtwerk.

Eisberge

Eisberge

Im ersten Stock befindet sich eine Eisfläche, die im Verlauf der Ausstellung auftauen soll. Wenn sie schließlich fast geschmolzen ist, wird sie in Eisbrocken zerlegt und erneut eingefroren. Durch diesen Prozess bleibt die Eisfläche nie dieselbe. Wenn sie zu Beginn der Ausstellung vielleicht noch glatt war, so ist sie mittlerweile, fast einen Monat nach Eröffnung, völlig verändert. Man fühlt sich fast an eine eisige Mondlandschaft erinnert, so sehr ist die eisige Oberfläche von Kratern und Hügeln übersät. Zu diesem Projekt finden sich auch an anderer Stelle thematische Verknüpfungen. So ist im unteren Stockwerk zum Beispiel eine weiße Plane in Form eines eisigen Gebirges aufgehängt worden. Die Plane quillt von einem Ausstellungsraum in den nächsten, erzeugt also zum einen den Bezug auf die Eisfläche im Obergeschoss, andererseits stellt sie auch eine physische Verbindung zu anderen Ausstellungsteilen her. Direkt neben diesem Ausstellungsgegenstand befindet sich die Cartoonfigur Ann Lee. Huyghe hat diesen halbfertigen Charakter 1999 für 400 US-Dollar erworben und sie seitdem in verschiedenen Projekten verwendet. Unter dem Filmtitel "One Million Kingdoms" wandert sie in Köln durch eine triste Mondlandschaft ohne Handlung oder erkennbares Ende. Die Themen der Ausstellung sind allgegenwärtig und lassen sich leicht in Verbindung setzen, selbst wenn man sich nicht mit Huyghe auskennt. Sowohl das Begleitprogramm, als auch die Kunstwerke selbst geizen nicht mit Querverweisen. Die kommunikative Atmosphäre zwischen Künstler und Besucher ist in diesem Sinn besonders erfrischend.

Aber wie geht's dem Hund?

Jenseits aller Symbolik scheint für die Besucher jedoch immer wieder wichtig zu sein, wie es um das Wohlbefinden der Tiere steht. Fragen wie "Wie oft kriegt der Hund das Bein nachgefärbt?" oder "Soll der so mager sein?" scheinen zwangsläufig beim Besuch der Ausstellung aufzutauchen. Schon auf der dOCUMENTA 2013 war die Podenco Ibicenco Hündin 'Human' zusammen mit dem Bienenstock ein aufsehenerregendes Konzept. Obwohl ein Museum im Normalfall nicht wirklich für lebende Ausstellungsgegenstände vorgesehen ist, scheint in Köln alles getan worden zu sein, um den Tieren ihren nötigen Freiraum zu gewähren. Human muss die Ausstellung regelmäßig für Spaziergänge verlassen dürfen und ist daher auch nicht notwendigerweise immer vor Ort. Zudem gilt sowohl für die Hündin, als auch für die menschlichen Akteure der Ausstellung: Ansehen, aber keinen Kontakt aufnehmen. Es soll und muss Distanz gewahrt werden. Die Besucher dürfen Zeugen des Geschehens sein, sie dürfen aber nicht aktiv daran teilnehmen. Gerade darin aber besteht ein Bruch zwischen Absicht und Wirkung. Denn obwohl der Besucher Distanz wahren muss, so soll er doch weiterhin eingebunden werden. Über der Leinwand von "The Host and the Cloud" ist zum Beispiel eine kunstvoll angeordnete Reihe von Leuchtröhren angebracht, die sich je nach Helligkeit des Films verändern sollen. Wer einen neueren Flachbildfernseher besitzt, kennt dieses Konzept unter dem Namen Ambilight. Ein eher halbherzig wirkender Versuch, den Besucher vom Beobachter zum Teilnehmer zu erheben. Selbstverständlich sind diese Beschränkungen ohne weiteres nachvollziehbar und auch sinnvoll, jedoch zeigt sich hier, dass Huyghes Vision womöglich in der Ausführung nicht ohne Macken ist.

Im Endeffekt

So eindrucksvoll der Aufwand hinter Huyghes Retrospektive auch ist, so stehen und sitzen Besucher letzten Endes doch wieder nur reihenweise vor unberührbarer Kunst. Sie wenden sich gemeinsam am Ende des einen Filmes zum fluoreszenten Leuchten eines anderen Ausstellungsgegenstandes und scharen sich in respektvollen Kreisen um die Hündin und ihr Herrchen. So sehr man auch vom Spektakel mitgerissen wird, am Ende bleibt man doch außen vor. Huyghes Kunst will bewundert, aber nicht berührt werden. Im Vergleich zur kühlen Distanz der Retrospektive wirkt die geschlossene Ausstellung im Film "The Host and the Cloud" um einiges ansprechender. Im Verlauf des Films bewegen sich Menschen irgendwo zwischen Kunst und Selbsterlebnis immer vor der Kulisse eines verlassenen Museums. Sie interagieren innerhalb kontrollierter Szenarien auf menschliche oder auch auf künstlerische Weise. Der Zuschauer verschwindet dabei, was bleibt sind Akteure und Objekte. Dort scheint Huyghes Projekt vollständig aufgegangen zu sein. Leider ist es unwahrscheinlich, dass man den Film, auf den ungemütlichen Bänken sitzend, oder an die Wände der Ausstellung gelehnt, wirklich in seiner vollen Länge genießen kann. Vielleicht schaut man einige Minuten, aber dann wird es unbequem und man geht weiter.

Die Belebung der Kunst im Museum Ludwig hat einen seltsamen Effekt. Statt die Ausstellung einladender zu machen, wird der Besucher auf Distanz gehalten. Es scheint recht passend, dass die Hündin Human nur hin und wieder die Ausstellung besucht. Als Kunstinteressierter wird man womöglich auch früher oder später aus dem kalten Dunkeln entkommen wollen. Trotz aller Probleme mit der Retrospektive bleibt sie jedoch ein faszinierender Versuch, Kunst zugänglicher zu gestalten. So sehr die Retrospektive auch an ihrer eigenen Ambition krankt: Pierre Huyghe im Museum Ludwig ist selbst mit Schwächen eine spannende und unkonventionelle Ausstellung.

Maskierter

Maskierter

All works: Courtesy the artist; Marian Goodman Gallery, New York/Paris; Esther Schipper, Berlin, © VG Bild-Kunst Bonn, 2014. Die Frauenskulptur ist aus Ishikawa Collection, Okayama, Japan.

Fotos: Akin Meister

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