Stellwerk Magazin

Theatralfilm-Festival Part III. Spiel

Vorwort

Das Theatralfilm-Festival vom 7. bis 9. November 2014 in der studiobühneköln ist dem Film gewidmet, der nicht bloß dramatische Texte verfilmt oder Theateraufführungen abfilmt, sondern strukturelle Elemente des Theaters aufgreift und in den Film transferiert. Diskussionen, Kurzfilme und ein Langfilm widmeten sich am letzten Festivalabend dem strukturellen Element Spiel.

Credits: Klassenverhältnisse, Österreichisches Filmmuseum

Als Harun Farocki 1983 Proben- und Dreharbeiten von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet dokumentarisch begleitet, beobachtet er nicht nur seine filmischen Vorbilder, sondern auch sich selbst: Farocki gibt den Delamarche in Straub-Huillets Adaption von Franz Kafkas Romanfragment "Der Verschollene" ("Amerika", in der Betitelung von Max Brod). Alle Schauspieler scheinen bereits in der Probenzeit ihren Text auswendig zu kennen, geprobt wird an jeder Szene äußerst ausführlich: Als ein Versuch streckt Farocki zu Beginn einer Textzeile sein Bein aus und muss dieses Angebot dem Regisseur Straub dann so lange vorspielen, bis es diesem tatsächlich gefällt und er die Geste für die Situation setzt. Mit Hinblick auf eine Theateraufführung wäre eine solch profunde Probenarbeit ein ungemein gängiges Mittel, bei einer Filmproduktion aber verwundert dieser Prozess eher.

Entfremdete Sprache

Farockis Kurzfilm "Jean-Marie Straub und Danièle Huillet bei der Arbeit an einem Film nach Franz Kafkas Romanfragment Amerika" zeigt Straub dabei auch in besonderer Weise um den Klang des Textes bemüht. Bei einem Außendreh lässt er seinen Hauptdarsteller Christian Heinisch das Wort 'Fotografie' in unzähligen takes zerdehnen, betonen und wiederholen, bis er auch daraus einen brauchbaren Vorschlag für sich entnehmen kann. Der eigentümliche Duktus der Schauspieler im fertigen Film, eine durch permanentes Stocken entfremdet wirkende Sprache ist es dann auch, was am dritten Abend des Theatralfilm-Festivals die Besucher auf die Probe stellt. Das am letzten Festivaltag in den Mittelpunkt gerückte Zeichensystem SPIEL setzt die Diskussionen und Filmvorführungen rund um die Nutzung von strukturellen Elementen des Theaters im Film fort.

Über das Spielen schlechthin

Ein Spiel mit der Sprache scheint es nicht zu sein, was Straub-Huillet in "Klassenverhältnisse" (1984) ausstellen wollen, sondern das Spielen schlechthin. Die spärlich ausgestatteten Räume im Film korrelieren mit der Bewegungsarmut der Charaktere – im Verbund mit der künstlichen Sprechweise wird so die im Mainstream-Kino übliche Illusion von Realität aufgebrochen, der Zuschauer ständig an das 'Gemachtsein' der Leinwandprojektion erinnert. Kann man sich in Spielfilmen gewöhnlich leicht in einzelne Figuren einfühlen, lassen die von Straub-Huillet gezeichneten Handelnden erst gar keine Nähe zu, die Distanz zu ihnen potenziert sich stattdessen immer weiter. "Eine mathematische Versuchsanordnung ohne jede Psychologie", nennt es Festivalkuratorin Hannah Dörr in der Podiumsdiskussion zum Film.

v.l.n.r.: Moritz Sostmann, Prof. Dr. Volker Roloff, Prof. Dr. Torsten Hahn, Alexander Weinstock | Foto: Horst Baumann

Der Film im Film

Sie zeigt an diesem Abend noch einen Elfminüter, dessen Kunstgriffe ebenfalls aus dem Theater kommen: Dietrich Brüggemanns "Oneshot" (2011). Seinem Titel gemäß besteht der Film aus nur einer einzigen Einstellung. Zum anfänglich allein vor der Kamera agierenden Türken Kerem, der durch den Ehrenmord an seiner vom Glauben abgefallenen Schwester seine Familie retten soll, kommen nach und nach mehr Personen hinzu. Erst ist es sein deutscher Liebhaber Richard, der mit ins Bild tritt, dann der Tontechniker der Produktion, gefolgt vom Regisseur des vermeintlichen Anti-Rassismus-Werbespots, ergänzt um Statisten verschiedentlicher Nationalitäten. Mit jedem weiteren Charakter deckt der Film eine neue Ebene der Projektion auf, immer wieder reflektieren die Figuren ihre Rollen im Film, der ein Film im Film, der ein Film im Film im Film usw. ist. Die höchste Projektionsebene ist erreicht, als man erfährt, dass Filmstudentin Anna hier einen Hochschulfilm realisiert. Doch auch dann ist die Geschichte noch nicht zu Ende erzählt.

Ist das Film oder Theater?

An der Oberfläche zu kratzen, lautete am ersten Festivalabend der Aufruf des Dortmunder Regisseurs Kay Voges, um in Filmen die Ebenen von Herstellung und Wirkung auseinanderzureißen. Das Festival zeigte dafür die verschiedensten Herangehensweisen: In Lars von Triers "Dogville" trifft ein naturalistisches Spiel auf eine theatrale Szenerie; in Hofmann&Lindholms "Ein Werk verschwindet" finden das Theater und die Illusion Eingang in einen Dokumentarfilm; in Alexander Sokurows "Russian Ark" fallen erzählte Zeit und Erzählzeit in einer filmischen Zeitreise zusammen und in Straub-Huillets "Klassenverhältnisse" ist es der ständige Verweis auf die Kunst, welche die filmisch-übliche Illusion von Realität bricht. Voges' eigener Umkehrschluss ist die Idee, die Medialität von Bildern ins Theater zu bringen und so die Zukunft des Theaters und des Films zu einen. Ist das dann Film? Ist das Theater? Unentscheidbar vielleicht.

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