Stellwerk Magazin

EINE KOOPERATION DER UNIVERSITÄT ZU KÖLN MIT DEM SCHAUSPIEL KÖLN 2plus1: Masken, Menschen oder Puppen

Vorwort

Wieder einmal war es soweit: Die Diskussionsreihe 2plus1 bot am 27.01.2015 erneut Raum für eine Zusammenführung von künstlerischen und wissenschaftlichen Zugängen zum Theater. Bei der ersten Diskussionsrunde in diesem Jahr stand das Zusammenspiel von Puppen und Schauspielern im Fokus. Diesmal diskutierten am Schauspiel Köln der Wiener Theaterwissenschaftler Stefan Hulfeld mit den 2plus1 Gastgebern Anja Lemke (Literaturwissenschaftlerin) und Peter W. Marx (Theaterwissenschaftler) über die Frage: “Molières Menschenfeind als Zusammenspiel von Puppen und Schauspielern?” Es wurde thematisiert, ob Molières Theater, das so oft für seine psychologische Beobachtungskunst gerühmt wird, auch dem Erbe der commedia dell’arte mit seinen Masken und Typisierungen gerecht wird.

IRGENDWO ZWISCHEN KOMÖDIE UND HUMANISMUS

Mensch, Maske oder doch Puppe? Die Kölner Inszenierung von Molières DER MENSCHENFEIND von Moritz Sostmann integriert Puppen und Schauspieler gleichermaßen. Doch inwieweit lässt sich diese Theaterkunst auf Molières Stück übertragen und welche Rolle spielen Mensch und Puppe überhaupt? Kann man die commedia dell’ arte Tradition wahren und gleichzeitig Molières psychologische Motive erfüllen? Man kann! war die Antwort des eingeladenen Gastes Stefan Hulfeld und auch Anja Lemke und Peter W. Marx schienen mit ihm d’accord zu sein. Molière war einer der großen Autoren seiner Zeit und gleichzeitig bildet er eine Schnittstelle zwischen Barock und Klassik, indem er die Komödie, speziell die commedia dell’ arte etablierte. Hulfeld lobte Molière schon zu Beginn der Diskussion reichlich, er nannte ihn einen „Komödianten, dem zufälligerweise auch noch Literatur passiert ist.“

Der Theaterwissenschaftler führte dazu weiter aus, dass Molière sich auch noch längerfristig als Literat erwiesen hätte und vor allem verschiedene Publika erobern konnte, was vorher nur den Berufstheatergruppen in Italien und teilweise Spanien gelungen war. Dass Molières Menschenfeind viele übereinstimmende Elemente mit der commedia dell’arte aufzeigt, wie beispielsweise das Motiv der Frau, die verschiedene Liebhaber unterhält, aber auf der anderen Seite auch Alceste als Humanisten fokussiert, lässt erkennen, wie Molière eine Brücke zwischen psychologischen Triebkräften und der commedia dell’ arte zu schlagen versucht. Hulfeld betont vor allem den Widerspruch vom Erzhumanisten, der sich ausgerechnet in eine Frau verliebt, die alles verkörpert, was er ablehnt. Dieses Dilemma mache das Stück zu einer Komödie, so der Theaterwissenschaftler. Da stellt man sich die Frage: Wie viel commedia dell’arte ist in dieser Figurengestaltung von Molière eigentlich drin und wie lässt sich das in Bezug setzen zu der Inszenierung Sostmanns mit der Verwendung von Puppen und Masken?

COMMEDIA DELL’ARTE UND DIE PSYCHOLOGISIERUNG - EIN GEGENSATZ?

Für Prof. Dr. Hulfeld lässt sich die Frage nach Molières psychologischen Motiven in Kombination mit der Maskenhaftigkeit der commedia dell’arte nicht so leicht beantworten. Doch lehnt er es ab, die Thematik zu vereinfachen: nicht alles, wo man keine Masken habe und sich stark auf innere Bewegungsmomente fokussiere, sei psychologisch und umgekehrt sei nicht alles, wo man mit Masken arbeite und sich auf das äußere Verhalten sowie die Gestik des Körpers konzentriere, nicht-psychologisch. Hulfeld betont:

„Jede Theaterform generiert eine Art von Wirklichkeit.“

Prof. Dr. Stefan Hulfeld studierte Germanistik, Philosophie und Latein an der Universität Bern. Anschließend studierte er Theaterwissenschaften. Hulfeld lehrt als Professor für Theater- und Kulturwissenschaften am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaften der Universität zu Wien. Er hat zahlreiche Beiträge zu europäischer Theatergeschichte, Theatertheorie, Commedia all’improvviso sowie Theatergeschichte und Dramaturgie des 18. Jahrhunderts verfasst.

Es lässt sich also kein klarer Gegensatz feststellen - Komödie und die Wiedergabe von psychologischen Vorgängen im Menschen schließen sich nicht aus. Hulfeld stellte dabei jedoch die Vermutung auf, dass Molière ein dramaturgisches Problem gesehen hätte: Wie bringt man lustige Szenen und die Beschreibung interaktionärer und innerer Vorgänge des Menschen überein? Auf die Verschränkung zwischen psychologischen Strukturen und der Typisierungen der commedia dell’arte wurde von Anja Lemke in der Diskussion noch mal eingegangen, sie war jedoch der Meinung, dass man sich bei dieser Inszenierung von Moritz Sostmann ganz bewusst von den psychologischen Momenten distanzieren wollte, hin zu der typischen commedia dell’arte Tradition. Mit Bezugnahme auf ein Interview von Moritz Sostmann erklärt sie, dass der Regisseur durch die Arbeit mit Puppen eine neue Form von Psychologie erschaffen wollte, die es ermöglicht, Komödie mit menschlicher Psychologie zu vereinen. Hat Sostmann also das dramaturgische Problem durch die Arbeit mit seinen Puppen gelöst?

MENSCHEN, MASKEN, PUPPEN?

Hulfeld nennt die Masken bei Sostmann lediglich eine andere ästhetische Lösung - eine andere "Übersetzung"-, um die inneren Vorgänge der Menschen darzustellen. Für ihn sind Masken und Puppen eine Möglichkeit andere Darstellungsformen, wie den inneren Monolog beispielsweise, zu ersetzen, wobei der Sinn und Zweck, nämlich die Psychologisierung, der gleiche bleibt. Die Thematik von Puppe und Mensch in der Kölner Inszenierung, führt automatisch zu der Frage, inwiefern die verschieden Ebenen ineinandergreifen bzw. inwiefern die Grenzen sogar verschwimmen. Für Stefan Hulfeld bestimmt die Inszenierung auf der einen Seite einen negativen Puppenbegriff, denn (typisch humanistisch) werden die Puppen metaphorisch als nicht autonom und regiert dargestellt auf der anderen Seite zeige sich jedoch auch ein sehr hedonistischer Umgang mit den Puppen. Lemke erwidert darauf jedoch, dass sie die Puppen nicht als Marionetten wahrgenommen hätte, sondern ihnen sehr viel Zärtlichkeit zuschreibt und dass es für sie vor allem die Figuren mit den meisten psychologischen Nuancen seien.

Ein nächster Punkt auf der Agenda bildete die Sprachverwendung der Puppen. Mangelnde Aussagekraft schreibt man ihnen zu. Vor allem im Vergleich zu Alceste, der ja in der ganzen Inszenierung grundsätzlich als Mensch auftritt. Kommt der Gehalt der Sprache wirklich an oder nimmt man nur wahr, dass dort jemand spricht? Es herrschte Uneinigkeit bei den Diskutanten. Was Célimene sagt, kam bei Herrn Hulfeld gar nicht an, während Frau Lemke dagegen, abgelenkt durch Alcestes Aktionismus, mehr Zugang zu Célimene fand und bei ihr, trotz des Daseins als Puppe, viel mehr Zwischentöne hören konnte. Eine Frage aus dem Publikum nach der Interaktivität von Puppen und Spielern formte einen schönen Abschluss der Diskussion. Jens Groß, der Dramaturg des Stücks, meldete sich zu Wort und erklärte, dass Puppenspieler und Puppe in ihrer Wichtigkeit vermischt würden und somit dadurch gleichwertig seien. Sostmann intendiere damit eine Einheit von Puppe und Spieler. Auch Hulfeld und Lemke stimmten überein, dass diese gleichberechtigte Interaktion kein Problem für die Beziehung zwischen Puppe und Mensch darstelle, denn die Figuren würden miteinander verschmelzen, so dass eine ständige "Realitätsprüfung" aufhöre. Dadurch, dass die Puppe teilweise von drei Spielern bewegt wird, entfalte sie so viel Eigenkraft, ohne dass dabei jedoch die Beweger verschwinden. Sostmanns Ziel, eine Einheit von Puppe und Mensch zu schaffen, ist ihm also sehr erfolgreich gelungen und wie aus der Diskussion zu entnehmen ist, hat der Regisseur es auch geschafft eine Verbindung zwischen Molières psychologisierenden Theater und der typischen commedia dell’arte Tradition aufzubauen, die ja an sich keine Gegensätze sind.

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