Stellwerk Magazin

lit. Cologne "Habe Häuschen. Da würden wir leben."

Vorwort

Kennen und schätzen gelernt haben sich Roger Willemsen und Katrin Bauerfeind im Rahmen der Sendung “Bauerfeind assistiert…”. Einen Tag lang begleitete die Journalistin den Weltenbummler und kaufte ihm nicht nur einen neuen Schlafanzug, sondern unterstützte ihn auch tatkräftig bei einer seiner Lesungen. Nun haben die Beiden für die lit.COLOGNE 2015 einen ganz speziellen Programmpunkt über die urkomische Welt der Kontaktanzeigen entwickelt: “Habe Häuschen. Da würden wir leben.” Am 14.03.2015 fanden sich die beiden im Theater am Tanzbrunnen in Köln ein, um die absurdesten und komischsten Anzeigen vor ausverkauftem Publikum zu präsentieren.

Rund sechs bis sieben Millionen Menschen suchen derzeit deutschlandweit online einen Partner. Sechs bis sieben Millionen Menschen ergeben auch mindestens sechs bis sieben Millionen Kontaktanzeigen. Dass dabei die unterschiedlichsten Anzeigen herauskommen, ist kein Wunder. Für Willemsen Grund genug, Kontaktanzeigen als Literatur zu bezeichnen. Im Zuge der 15. lit.COLOGNE denkt er mit Katrin Bauerfeind über die unterschiedlichen Facetten der "Verpartnerungsprosa" nach. Für diesen Abend verließen die Kontaktanzeigen ihr Schattendasein auf den letzten Seiten der Zeitung – zwischen zu verschenkenden Katzenbabys und Wohnungsmarkt – und den unendlichen Weiten dubioser Partnerbörsen im Internet.

Roger Willemsen (*1955) studierte Kunstgeschichte, Germanistik und Philosophie in Wien, München, Bonn und Florenz. Geprägt von mehreren Auslandsaufenthalten arbeitet er als Essayist, Herausgeber und Übersetzer sowie als Korrespondent für verschiedene Medien. Katrin Bauerfeind ist Journalistin, Schauspielerin, Buchautorin und Moderatorin (*1982), sie studierte Technikjournalismus an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg in Sankt Augustin. Im Jahr 2014 erschien ihr Bestseller "Mir fehlt ein Tag zwischen Sonntag und Montag - Geschichten vom schönen Scheitern" im Fischer Verlag.

Wer denkt, dass Kontaktanzeigen ein Aufkommen der letzten Jahrzehnte seien, liegt falsch. Denn die Suche nach der Liebe hat eine lange Tradition und begann schon im 17. Jahrhundert. Beschrieben wurden in den ersten Anzeigen vor allem finanziellen Vorstellungen, was nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass die Heirat damals mehr eine pragmatische als emotionale Angelegenheit war. Die Liebe ist auch heute oftmals noch ein Geschäft, nicht umsonst gibt es etwa die "Marktwirtschaft Partnerbörse". Nach dieser kurzen geschichtlichen Verortung begannen die Beiden sich genauer mit der Sprache der Kontaktanzeigen auseinander zu setzen. Denn wenn es um Annoncendeutsch geht, werden die Menschen äußerst kreativ. Die Anzeige soll originell sein, jedoch nicht zu auffallend, individuell und nicht langweilig. Schließlich möchte man DIE oder DEN Richtigen finden. Dabei ergeben sich im Endeffekt dann doch einige Gemeinsamkeiten. Fast alle Inserenten sind "schlank, attraktiv, aufgeschlossen, romantisch, humorvoll…". Die Vorstellungen, wie der Wunschpartner sein soll, sind zwar vorhanden, dennoch fällt es den Verfassern jedoch häufig schwer, sich selbst darzustellen. Selten werden die richtigen Worte gefunden und so treffen Minderwertigkeitskomplexe auf maßlose Selbstüberschätzung: "Bin alt, fett und hässlich." Oder aber auch: "Kann mir die Frauen aussuchen."

So kann aus einem vermeintlichen Traumpartner schnell ein Albtraum werden. Die Menschen sind auf der Suche nach einem Ideal, einem Phantom, um der Einsamkeit zu entfliehen und ihren "Seelenverwandten" zu finden. Zu Tage kommen dabei nicht selten Verbitterung über gescheiterte Beziehungen – "Hensel sucht Gretel, die Hexe hatte ich schon",– und die absurdesten Vorlieben – "Mann sucht Frau, 150 Kilogramm, die auf ihm sitzt und Donuts zerquetscht." Während Anzeigen wie "Mann, klein und nicht so hübsch, sucht Frau groß und hübsch" oder "Dummer Bauer sucht Frühkartoffel" das Mitleid des Publikums erwecken, so wird über Aussagen wie "jung geblieben, 84 Jahre, kein Opa-Typ" und "humorvolle Sie mit Gehwagen, geht gerne tanzen" herzhaft gelacht. Da fiel es selbst Frau Bauerfeind schwer, immer ernst zu bleiben. Nicht nur einmal mussten die Darsteller kurze Pausen einlegen, um auf das Ende des Gelächters zu warten. Wer auf der Suche nach Abwechslung ist, der ist bei Kontaktanzeigen definitiv richtig aufgehoben. Von schamlosen, direkten Anzeigen wie "Boynimmerschlapp sucht Viernächteabkommen" über verklärte Romantiker, die eine lebenslängliche Liebe begehren, ist alles mit dabei. Beschränkungen gibt es in dieser Form der Literatur kaum. So kann jeder zum Autor werden und ein Idealbild seiner Selbst erschaffen. Ist die Verpartnerungsprosa also eine Traumwelt? Nicht nur! Immerhin erwachsen aus 42% der Menschen, die sich über eine Kontaktanzeige kennen gelernt haben, auch Paare.

"Das Schreiben ist eine Lebensäußerung,"

sagte Willemsen einmal und nichts trifft wohl deutlicher darauf zu als die Literatur der Kontaktanzeigen. Denn vor allem dort werden die Verlustängste, Hoffnungen und Wünsche der Menschen deutlich. So sind Kontaktanzeigen auf ihre ganz eigene Art und Weise eine Entblößung der eigenen Seele. In dieser ganz individuellen Darstellung der Lyrik des Herzens, ist es Bauerfeind und Willemsen gelungen, einen kurzweiligen und amüsanten, jedoch nicht allzu tiefgründigen Programmpunkt für die lit.COLOGNE 2015 zu präsentieren.

Foto: © Ast/Juergens

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