Stellwerk Magazin

Interview "Jedes Buch hat ein Gesicht"

Vorwort

“Jedes Buch hat ein Gesicht” - das ist der Titel der Ausstellung, die die Stadtbibliothek anlässlich des 30. Todestages von Heinrich Böll zurzeit präsentiert. Im Fokus steht das Verhältnis der äußeren Gestaltung eines Buches zu seinem Inhalt, dargestellt anhand von Bölls literarischen Texten und deren grafischer Gestaltung durch den Schweizer Grafiker Celestino Piatti (1922-2007). Mit der Ausstellungskuratorin Dr. Gabriele Ewenz habe ich über das Arbeitsverhältnis beider Künstler gesprochen, Aktualität und Bedeutung des Kölner Autors erörtert und Einblicke in die massiven Umwälzungen erhalten, mit denen die Literaturwelt momentan konfrontiert wird.

Warum ist es lohnenswert, das Verhältnis zwischen der Einbandgestaltung eines Buches und seines Inhalts näher zu beleuchten?

Nun, der Einband eines Buches spielt eine sehr wichtige Rolle. Er hat eine extrem große Marketing-Funktion, soll Interesse wecken und potenzielle Käufer anlocken. Die Einbandgestaltung ist daher ein bedeutender Bestandteil bei der Gestaltung und Vermarktung eines Buches. Die Schwierigkeit besteht darin, auf der sehr begrenzten Fläche, die bei einem Buchumschlag, besonders bei einem Taschenbuch, zur Verfügung steht, einen Bezug zum Inhalt herzustellen und diesen auf eine Art und Weise darzustellen, die der Verbreitung des Buches zuträglich ist.
Dem Schweizer Grafiker Celestino Piatti ist das durch seinen großen Ideenreichtum und die Kreativität für die Illustration der Taschenbücher des dtv-Verlags hervorragend gelungen - besonders aber bei den Werken Bölls.

Worin liegt die besondere Dynamik zwischen den Werken Bölls und der grafischen Gestaltung Piattis?

Piatti hat sich sehr intensiv mit den Werken Bölls auseinandergesetzt. Alle Bücher, die er im Rahmen seiner Arbeit für den dtv-Verlag graphisch gestaltet hat, hat er selbst gelesen, darunter natürlich auch die Bücher des Kölner Nobelpreisträgers. Dadurch, dass er sich so umfangreich mit dem Inhalt der einzelnen Texte beschäftigt hat, gelang es Piatti bei der Illustration der Buchumschläge, wesentliche Elemente des Stoffes zur Grundlage seiner Grafiken zu machen und den Werken Bölls einen hohen Wiedererkennungswert zu verleihen. Bis in die jüngste Vergangenheit haben Leser und Rezipienten die Bücher Heinrich Bölls automatisch mit dem Design Piattis in Verbindung gebracht. Dabei ist bemerkenswert, dass der Schweizer Grafiker trotz der charakteristischen Gestaltung den individuellen Charakter jedes einzelnen Buches bewahrt hat. Diese Illustrationen sind kein Einheitsbrei, wie er bei den Einbänden aktueller Neuauflagen und Neuerscheinungen häufig präsentiert wird.

Wodurch zeichnet sich die grafische Gestaltung Piattis aus?

Mit bestimmten künstlerischen Stilmitteln schaffte es Piatti, den hohen Wiedererkennungswert seiner Grafiken und dadurch auch von Bölls Werken zu erzeugen. Dazu gehört zum einen die erwähnte Reduktion des Inhaltes auf wesentliche Elemente, die sich auf dem Einband eines Taschenbuches darstellen lassen. Auch der schlichte weiße Hintergrund ist ein charakteristisches Merkmal der Gestaltung Piattis, ebenso die Typografie. Die tiefschwarze Schrift hebt sich deutlich von dem weißen Hintergrund und den Grafiken ab und ist grundsätzlich rechtsbündig ausgerichtet, immer unter Verwendung der gleichen Schriftart. Diese Mittel bilden die grundlegende Struktur für die Gestaltung aller Bücher durch Piatti und verleihen den Ausgaben Einheitlichkeit, ohne dass die Grafiken selbst langweilig oder einfallslos erscheinen.

Besteht nicht die Gefahr, dass der Inhalt von Bölls Schriftstücken in den Hintergrund gedrängt wird?

Nein, absolut nicht. Dadurch, dass Piatti die Bücher gelesen und sich bei der grafischen Gestaltung eng auf inhaltliche Elemente bezogen hat, bilden die Grafiken eine interessante und wohl durchdachte Ergänzung zum literarischen Text, statt davon abzulenken und die Aufmerksamkeit auf sich selbst zu ziehen. Piatti hat sich in einem Interview mit Albert Kock1Frankfurter Allgemeine Zeitung, Magazin Nr. 6, 1990) dazu folgendermaßen geäußert: "Im günstigsten Fall macht sich der Leser sogar über die Illustrationen Gedanken. […] Grosse Literatur, darüber gibt es keinen Zweifel, setzt sich auch ohne Illustration durch. Vielleicht könnte man sagen, dass die Illustration eine Bereicherung ist."

Die Ausstellung des Heinrich-Böll-Archivs ist noch bis zum 12. September 2015 (Verlängerung in Planung) im 2. Obergeschoss der Stadtbibliothek Köln zu sehen /// Eintritt frei

Welche Bedeutung hat die Arbeit von Böll und Piatti für den dtv-Verlag?

Diese Frage lässt sich am besten beantworten, wenn man einen kurzen Blick auf die Vergangenheit des dtv-Verlages wirft. Der dtv-Verlag wurde 1961 als Zusammenschluss mehrerer großer Verlage gegründet, darunter auch Kiepenheuer & Witsch, die Heinrich Böll in gebundenem Format publizierten. Das Taschenbuch erfreute sich zu dieser Zeit als Medium wachsender Beliebtheit, von der etablierte Verlage ebenfalls profitieren wollten. Die Unternehmung barg allerdings gewisse Risiken: Es gab zu dieser Zeit schon mehrere florierende Taschenbuch-Verlage, zum Beispiel die "rororo"-Taschenbuchreihe des Rowohlt-Verlags, und auch andere große Verlage wie S. Fischer, Suhrkamp, Heyne, Droemer/Knauer und Ullstein publizierten Taschenbücher. Die Konkurrenz war also groß, und obwohl das Taschenbuch durch den günstigen Preis einen großen Vorteil gegenüber dem teuren gebundenen Buch genoss, haftete ihm der Makel der Minderwertigkeit an - zum Teil noch bis heute. Taschenbücher galten und gelten inhaltlich wie formal als qualitativ fragwürdig, sozusagen als Ausgaben zweiter Klasse.
Die Bedingungen für den dtv-Verlag waren also alles andere als einfach, und es haben viele Personen über die Jahre den Verlag geprägt und ihn zu einem erfolgreichen Unternehmen gemacht. Böll und Piatti gehören definitiv zu dieser Gruppe von Personen, aber man sollte über sie nicht die zahlreichen anderen vergessen, die maßgeblich zum Erfolg des Verlags beigetragen haben, darunter die Lizenzgeber der Gründerverlage oder auch Heinz Friedrich, der bald nach der Gründung zum Geschäftsführer des dtv-Verlags avancierte. Friedrich war aufgrund seiner guten Bekanntschaft mit vielen Autoren eine wichtige Instanz bei der Gestaltung des Verlagsprogramms. Er kannte Böll etwas aus der "Gruppe 47", die Friedrich mit begründet hatte. Die beiden waren über die gesamte Zeit ihrer Zusammenarbeit freundschaftlich verbunden, und diese Freundschaft hat durchaus ihre Spuren beim Verlag hinterlassen. So haben Böll und seine Frau Annemarie J. D. Salingers "Der Fänger im Roggen" übersetzt, nachdem Böll sich bei Friedrich für die Publikation des Romans eingesetzt hatte. Auch, dass Bölls "Irisches Tagebuch" bis heute die Nummer 1 auf dem Buchrücken trägt und Auftakt des ursprünglichen Verlagsprogramms war, ist kein Zufall und betont wiederum Bölls Rolle bzw. den Stellenwert seiner Werke für den Verlag. Auch heute noch sind die Bücher des Kölner Autors Verkaufsschlager.

Wie stand Heinz Friedrich denn zu Piatti?

Piatti verstand sich ebenfalls sehr gut mit Friedrich, die beiden standen in regem Kontakt. Der Schweizer Grafiker schickte beispielweise nach einem Irland-Aufenthalt mit seiner Familie einen Brief an Friedrich, indem er eingedenk seiner eigenen Eindrücke seine Illustration des "Irischen Tagebuchs" reflektierte. Aber auch so war Piatti, der als Grafiker 1961 schon Berühmtheit erlangt hatte, eine wichtige Instanz für den Verlag - er gestaltete nicht nur die Umschläge von insgesamt über 6000 Büchern, sondern er entwarf zudem Werbeplakate, Briefköpfe, Programmvorschauen und weitere Druckerzeugnisse für den Verlag. Er war nicht nur Künstler, sondern auch Gebrauchsgrafiker, und das in einem sehr positiven Sinn.

Frau Ewenz, Sie sind nicht nur die Kuratorin dieser Ausstellung, Sie leiten außerdem das gesamte Heinrich-Böll-Archiv der Stadtbibliothek Köln. Was macht Ihre Faszination für diesen Autor und sein literarisches Schaffen aus?

Meine Faszination gilt vielen bemerkenswerten Autoren, aber als Autor und als politisch denkender Mensch nimmt Böll durchaus eine besondere Stellung ein. Er hat mit seinem Werk viele Menschen erreicht und beeinflusst, gerade auch hier in Köln, seiner Heimatstadt, und in der Umgebung, die ja auch oft Kulissen und Vorlagen für Figuren und Geschichten bildeten. Böll hat beispielsweise 1979 die Zentralbibliothek am Neumarkt eröffnet und gewünscht, dass sein Archiv hier eingerichtet wird. Er war ein großer Verfechter des Standpunktes, dass Bildung und Literatur für jedermann zugänglich sein sollten, und damit ein Unterstützer von Bibliotheken, Archiven und Taschenbüchern, die auch für "kleines Geld" zu haben waren. In seinem literarischen und essayistischen Werk beschäftigt er sich mit Fragestellungen und Szenarien, die auch heute noch höchst aktuell sind, und das ist einfach ein Merkmal guter und großer Literatur.

Begleitend zu dieser Ausstellung erschien im Juni dieses Jahres der gleichnamige zweite Band der lik-Schriftenreihe, an deren Entstehung und Publikation Sie ebenfalls maßgeblich beteiligt sind. Was ist der Zweck dieser Publikations-Reihe?

Die einzelnen Bände der lik-Schriftenreihe werden zusammen vom Heinrich-Böll-Archiv und dem Literatur-in-Köln-Archivs (Lik) herausgegeben und dienen vor allem dazu, die verschiedenen Themenbereiche beider Archive miteinander zu verbinden. Während das Heinrich-Böll-Archiv den Schwerpunkt auf den Nobelpreisträger selbst, sein Werk und alles damit im Zusammenhang stehende setzt, beschäftigt sich das LiK mit dem Leben und Schaffen verschiedener literarischer Persönlichkeiten Kölns, darunter auch etwa Irmgard Keun, Rolf Dieter Brinkmann, Hans Bender, Jürgen Beck und Dieter Wellershoff.
Die lik-Schriftenreihe gewährt Einblick in die Schätze der beiden Archive beschäftigt und trägt dadurch dazu bei, das literarische Gedächtnis der Stadt zu bewahren und das literarische Leben und Wirken in und um Köln herum zu dokumentieren.

"Bewahren" und "Dokumentieren" - sind das die vorrangigen Aufgaben der Archive, die beide Ihrer Leitung unterstehen?

Das sind natürlich ganz wesentliche Aufgaben in Archiven, aber darüber hinaus geht es immer auch um Fragen der Vermittlung. Das heißt, Literatur ist lebendig, dadurch, dass es Menschen gibt, die sich damit beschäftigen und auseinandersetzen. Unsere Aufgabe ist es, den Menschen die Literatur nahezubringen und dadurch diesen Diskurs, diese Lebendigkeit, aufrechtzuerhalten. Literatur zum Anfassen und Eintauchen - das ist der eigentliche Sinn von Veranstaltungen, die wir anbieten, sei es nun eine Ausstellung, eine Lesung, eine Podiumsdiskussion oder Ähnliches.

Welche Herausforderung stellt die fortschreitende Digitalisierung im Bereich der Literatur an Sie und Ihre Kollegen? Sehen Sie beispielsweise die Möglichkeit, eine Ausstellung mit dem Fokus auf digitalisierten Schriftstücken auszurichten, oder geht das nur bei Büchern im "klassischen Sinne"?

Die Digitalisierung betrifft ja nicht nur die literarische Welt. Wir können eine zunehmende Digitalisierung aller Lebensbereiche beobachten, die natürlich auch Archive vor neue Aufgaben stellt. Dabei geht es um die Nutzung analoger Archivalien, um Fragen der Langzeitarchivierung, um Präsentationen digitalisierter Findmittel oder die Bereitstellung digitalisierter Archivalien im Internet. Allerdings gibt es hier häufig Probleme mit dem Urheberrecht und Lizenzen; das macht es schwierig, das Internet und die digitale Welt in unsere Veranstaltungen miteinzubeziehen. Digitalisierte Inhalte sind außerdem sehr fern - es fehlt an Anschauungsmaterial, an physisch vorhandenen Gegenständen, die man betrachten und gegebenenfalls sogar berühren kann. Das ist wiederum ein großer Nachteil der Digitalisierung, und hier genießen Handschriften, Typoskripte oder Bücher und andere klassische Druckerzeugnisse wie Plakate, Originalskizzen und -Entwürfe einen großen Vorteil, die man wie hier in der Ausstellung in eine Vitrine legen kann. Wir haben hier Teller, die Piattigestaltet hat, ein Kartenspiel, bei dem die Gesichter der Buben und Damen mit den Gesichtern von Autoren und Autorinnen des dtv-Verlags vertauscht wurden und ein "Goldenes Taschenbuch", von dem der Verlag insgesamt drei an Böll verliehen hat, weil drei seiner Bücher mehr als eine Millionen Mal verkauft wurden. Da kann eine Computer-Datei einfach nicht mithalten – jedenfalls noch nicht.

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