Stellwerk Magazin

TransLit-Professur "Die Sprache, die Fremde"

Vorwort

Die erste TransLit-Veranstaltung startete am Dienstag, den 27.10.2015, an der Universität zu Köln. Der renommierte Autor Marcel Beyer hielt als erster Inhaber der Dozentur eine Poetik-Vorlesung unter anderem über “schmackofatz”, die Stadt Magdeburg, den Autor unserer Nationalhymne Hoffmann von Fallersleben und die Beatles.

Den Start der obligatorischen Begrüßungsreden machte Prof. Dr. Manuela Günter, Prorektorin für Gleichstellung an der Universität zu Köln. Sie bedankte sich bei Prof. Dr. Christof Hamann und seinen Mitarbeiterinnen für die Bemühungen, die Gegenwartsliteratur an die Universität zu bringen und kündigte Herrn Beyer als “besonders prädestiniert” für die Eröffnung der TransLit an. Auch Prof. Dr. Stephan Michael Schröder, Prodekan an der Philosophischen Fakultät für Planung und akademische Karriere, bezeichnete diese Veranstaltung als “außergewöhnlich” und profitabel für die gesamte Philosophische Fakultät. Betont wurden seitens des geschäftsführenden Direktors des IdSL I, Prof. Dr. Torsten Hahn, die dadurch auch verstärkt auf den Weg gebrachten Synergeien mit dem Literaturhaus Köln. Dr. Tanja Postpischil, Presseleiterin des Suhrkamp und Insel Verlages bezeichnete die TransLit im Rekurs auf Ingeborg Bachmanns Zitat als eine “neue Gangart” und eine große Bereicherung.

Eine Einführung in die Person und Werke Marcel Beyers gab Maximilian Mengeringhaus, M.A. - Volontär in der Presseableitung des Suhrkamp Verlages. Er ging auf die “Vielschichtigkeit und den Facettenreichtum” Beyers ein.

Foto: Ronja Rosenow

Die TransLit ist eine Poetikdozentur mit Fokus auf den medialen Bezug. Sie widmet sich den medialen Transformationen literarischer Texte und schaut dabei in unterschiedliche künstlerische Bereiche hinein. Bei dieser ersten Dozentur werden die Werke von Marcel Beyer in ihren Übersetzungen als Oper, Graphic Novel und Hörspiel im Fokus der Diskussion stehen. Das jeweils neue Medium agiert dabei geradezu als Co-Autor.

"Eine neue Sprache muss eine neue Gangart haben, und diese Gangart hat sie nur, wenn ein neuer Geist sie bewohnt,"

sagte Ingeborg Bachmann 1959 bei der ersten Poetik-Vorlesung. Marcel Beyer beginnt seinen Vortrag "Die Sprache, die Fremde" zur TransLit-Professur in Köln mit einer Beobachtungen seiner Mitreisenden, mit der Stadt Magdeburg, Jogginghosen sowie mit Hoffmann von Fallersleben und Friederike Mayröcker.

Marcel Beyer | Foto:

Marcel Beyer | Foto: Ronja Rosenow

"Magdeburg hat ein Sprachproblem"

Marcel Beyer beginnt seinen Poetik-Vortrag "Die Sprache, die Fremde" im Zug an einem Bahnhof mit der Beobachtung der Mitreisenden. Der erste Schauplatz befindet sich in Magdeburg. Bereits am Anfang gebraucht der Autor Zitate von Dichtern wie Goethe und Friederike Mayröcker, um seiner Verwirrung am Magdeburger Hauptbahnhof Ausdruck zu verleihen. Denn dort kann man auf Mitreisende stoßen, deren Kleidung merkwürdig beschriftet ist. So erlaubt die heutige Mode, mit Ausdrücken wie "Pro Violence" auf dem Pullover herumzulaufen, ohne, dass es der Außenwelt oder einem selbst wirklich bewusst wäre, was das denn eigentlich bedeutet. Bereits hier baut Beyer intermediale Bezüge ein, indem er von Hoffmann von Fallersleben, dem Autor der deutschen Nationalhymne, berichtet und anmerkt, dass die Stadt Magdeburg doch einen "Anmerkungsapparat" gebrauchen könne.

"Man stelle sich das Gedicht aus einem Phonographen vor"

Jenseits des Gedichtes beginnt das Erzählen. Das Erzählen von einer Vielfalt an gesellschaftlichen, sprachlichen Milieus, das Erzählen einer Sondersprache, wie ein Gedicht oder dem Wort "schmackofatz", das Erzählen von einem Hochschullehrer, der das Lied der Deutschen schrieb und auch das Wörtchen "Yo" benutzte. Jemand, der Gedichte schreibt, prüft sein Umfeld und seine Sprache auf Wörter, die eventuell gedichtstauglich sind. Beyer beschreibt sich selbst als einen "Wörterprüfer", immer und überall: beim Einkaufen, vor dem Fernseher, in Zeitungen oder in Gedichtbänden. Man stößt unweigerlich überall auf Wörter, die einen zum Nachdenken anregen, einen verwundern oder faszinieren. Gedichte können sich jedes "Sprachding" zu Nutze machen.

The Beatles, Frank Sinatra und Jane Fonda

Durch den gesamten Vortrag zieht sich der rote Faden des intermedialen und intertextuellen Spiels sehr deutlich. Immer wieder bringt Marcel Beyer kleine Anekdoten, Songzeilen oder sogar Zitate aus alten Zeitungen in seine Vorlesung mit ein. Vieles erkennt man nicht auf Anhieb und man überlegt auch noch später, welche Dinge einem entgangen sind, aber die Art und Weise, wie der Schriftsteller diesen medialen Bezug immer wieder mit aufnimmt, ist großartig. Sei es ein Zitat aus der Zeit von 1965, "Come fly with me" von Sinatra, der Westernfilm "Cat Ballou" mit Jane Fonda oder auch das Gedicht "Brazil" von Friederike Mayröcker – die verschiedenen Textbezüge mit ihren unterschiedlichen Medien finden nicht nur Erwähnung, sondern werden in einen aktuellen Zusammenhang gebracht. Magdeburg ist dabei nicht nur Bestandteil dieses Vortrages, sondern auch Thema in einem Gedicht von Friederike Mayröcker. Gegen Ende greift Beyer genau das wieder auf und wir sind mit ihm wieder am Magdeburger Hauptbahnhof, bei englischen Fremdwörtern und Reliefbuchstaben auf Denkmälern.

"Was, wenn nicht die Welt, sollte Platz in einem Gedicht finden"

Marcel Beyers Poetik-Vortrag inspiriert dazu, die Welt mit offeneren Augen zu sehen, sensibler einzelne Dinge zu betrachten und genau zu beobachten, was um einen herum geschieht. Wer sein Umfeld einmal bewusst auf gedichtstaugliche Wörter oder Gegenstände überprüft, wird feststellen, dass es viele unbegreifliche Dinge auf dieser Welt gibt, die es Wert sind, eingehender betrachtet zu werden. Sei es in Form eines Gedichtes, eines Textes, eines Gedanken oder eines Dialogs mit anderen Menschen. "Selbst der Inhalt Ihres eigenen Kühlschranks wäre Ihnen vermutlich völlig fremd, würde er in einem Gedicht aufgelistet." Gedichte sind für die meisten Menschen eine komplexe, surreale und unverständliche Aneinanderreihung von Wörtern und Buchstaben, völlig aus dem Zusammenhang gebracht und meist in einem seltsamen Satzbau oder Reimschema. Würden Gedichte aber nur von "Rosen und Urlauben" handeln, wären sie nicht komplex und würden an ihrer Einzigartigkeit und Besonderheit verlieren.

"Gedichte sind keine schwere Kost. Sehen das alle so, sehen sie die Welt nicht richtig."

© Frank Höhler

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