Stellwerk Magazin

Translit-Professur Inflation oder Neuerfindung?

Vorwort

Der renommierte Autor Marcel Beyer ist der erste Inhaber der neuen Poetik-Dozentur an der Universiät zu Köln. Bei TransLit geht es anders als bei den meisten Poetik-Vorlesungen um mehr als ‘nur’ Literatur. Der Name ist Programm (oder sollte es zumindest sein): Im Vordergrund der TransLit steht die Transmedialität von Literatur und ihre Adaption in andere mediale Formen.

In der Beschreibung ihrer neuen Poetikdozentur TransLit gelingt der Universität zu Köln im diesjährigen Wintersemester ein innovatives Konzept der Poetik-Vorlesung. Die praktische Umsetzung zeigt jedoch, dass dieses Konzept mehr Innovationspotential bereithält, als anfangs noch vermutet. Die volle Ausschöpfung ihres Potentials erfordert allerdings den Mut sich von althergebrachten Traditionen loszusagen.

Marcel Beyer, Ulli Lust

Am ersten der insgesamt vier Abende bleibt diese Profilierung jedoch mehr Theorie als Praxis, was die Qualität des vom diesjährigen Inhaber der Poetik-Professur, Marcel Beyer, gehaltenen Vortrags über den Schaffensprozess lyrischer Werke jedoch in keiner Weise schmälert. Ein gänzlich anderes Bild zeigt sich den Besuchern an den drei darauffolgenden Abenden. Diesmal führt ein wöchentlich wechselnder Moderator durch die Veranstaltung, der das Gespräch zwischen Beyer und einem ebenfalls abendlich wechselnden Gegenwartskünstler aus dem Bereich der Comic-Kunst, der Oper und der Hörspiel-Produktion anregt. Auch die Themenauswahl findet ihre Erweiterung, geht es nun nicht mehr um ein einziges, sondern, wie im Titel der Poetikdozentur versprochen, um mehrere Medien, wie die Graphic Novel zu Beyers gleichnamigen Roman Flughunde, der Opernaufführung verschiedener Libretti Beyers und der Umsetzung der literarischen Texte Flughunde und Birding Babylon in jeweils ein Hörspiel.

V.l.n.r.: Marcel Beyer, Claudia Liebrand, Enno Poppe. Foto: Anahita Babakhani

Trend "Poetikdozentur"

"Die TransLit stellt 'im bundesweiten Vergleich ein einmaliges Profil' dar."

"Durch die konsequente Auswahl von AutorenInnen und ExpertInnen aus unterschiedlichen Medienbereichen", so heißt es auf der Homepage der Universität zu Köln, stelle die Poetikdozentur "im bundesweiten Vergleich [ein] einmaliges Profil" dar. Mit dieser Einschätzung liegt Köln keineswegs falsch, denn tatsächlich beschränken sich gegenwärtige Poetik-Vorlesungen meist auf das Medium der Literatur bzw. auf Künstler, die sich mit einem Medium beschäftigen. Doch in all der Euphorie über das Kölner Konzept der Poetik-Vorlesung sollte man nicht außer Acht lassen, dass diese momentan Hochkonjunktur schreibt. In den letzten 15 Jahren scheint sich ein regelrechter Trend hin zur Poetik-Vorlesung entwickelt zu haben: Gegenwärtig praktizieren mindestens dreißig Universitäten dieses Veranstaltungsmodell. Mag eine jährlich zu vergebende Poetikdozentur in den 60er und 80er Jahren noch die Bedeutung eines Alleinstellungsmerkmals gehabt haben, hat sich dieses Situation mittlerweile geändert. Inzwischen scheint die Poetik-Vorlesung zum Inventar einer jeden Universität zu gehören, sodass man nach Universitäten, die keine Poetikdozentur haben, geradezu suchen muss.

Das Neue der TransLit

Köln scheint deshalb gut daran zu tun, sich diesem Trend nicht einfach anzuschließen. Gerade in Zeiten ihres inflationären Aufkommens ist es wichtiger denn je, die Poetik-Vorlesung neu zu erfinden, ihr Format neu auszuloten und ihr Wirkungsfeld so möglicherweise zu erweitern. Zwar rühmt sich Köln für die 'Neuerfindung' des Konzepts der Poetik-Vorlesung, doch kommt dieses noch etwas zaghaft daher. So ganz will man sich vom althergebrachten Modell der Poetik-Vorlesung sicher nicht verabschieden: Die Auftaktveranstaltung verläuft geradezu musterhaft. Erst nach mehr als 45 Minuten scheinbar endloser Begrüßungsformeln und Lobeshymnen durch die Prodekanin und den Prodekan der Philosophischen Fakultät, durch den geschäftsführenden Direktor des Instituts für deutsche Sprache und Literatur I und schließlich durch zwei Verlagsvertreter kommt endlich auch Marcel Beyer zu Wort und erzählt von seinem lyrischen Schaffen. Das Reden über Lyrik im Rahmen einer Poetik-Vorlesung stellt zugegebenermaßen eine Seltenheit dar, denn zumeist thematisieren Autoren die Gattung der Prosa, doch davon abgesehen lässt das proklamierte "einmalige[] Profil" der TransLit zumindest am ersten Abend noch auf sich warten. Erst die drei folgenden Abende lösen schließlich das Versprechen der TransLit ein, indem nun auch die Wechselwirkungen zwischen Text und anderen Medien im Vordergrund stehen.

V.l.n.r.: Marcel Beyer, Ulli Lust, Stefan Börnchen. Foto: Anahita Babakhani

Neues Konzept erfordert neues Label

Lässt sich die TransLit noch unter dem Label einer Poetikvorlesung fassen?

So ergiebig, unterhaltsam und teilweise lehrreich diese Gespräche und die TransLit insgesamt auch waren, stellt sich trotzdem die Frage nach der Art dieser Veranstaltungsreihe. Handelt es sich bei der TransLit um eine konzeptuelle Variante der Poetik-Vorlesung, so wie auch schon die Poetikdozentur für Weltliteratur des internationalen Kollegs Morphomata, das in enger Verbindung zur Kölner Universität steht, oder ist der Unterschied zwischen der TransLit und herkömmlichen Konzepten einer Poetik-Vorlesung so eklatant, dass sie sich gar nicht mehr unter dieses Label fassen lässt? Diese Unterscheidung mag zwar übertrieben pedantisch erscheinen, doch sollte sie gerade im Kontext einer universitären Veranstaltung nicht schlichtweg umgangen werden. Schließlich stellt die Poetik-Vorlesung auch eine Institution dar, die gewisse (normative) Erwartungen hervorruft. In einem solchen Rahmen erhofft man sich vom Autor die Entfaltung seiner wie auch immer gearteten Poetik - die Lehre seiner Dichtkunst also, die seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert vor allem im Bezug auf den Roman keinen einheitlichen Schemata wie Metrik oder Stoffdisposition mehr folgt. Diese Erwartungen konnte und wollte die TransLit jedoch nicht erfüllen. Ein Befund, der weniger kritisch, als vielmehr lobend gemeint ist. Denn obwohl es sich schwierig gestaltet, aus den Künstlergesprächen Aussagen über ihr poetologisches Selbstverständnis zu ziehen, ermöglichten sie den Zuhörern Einblicke in die Werkstätte der verschiedenen Medienproduktionen und legten darüber hinaus Berührungs- sowie Reibungspunkte zwischen den Medien, aber teilweise auch zwischen den Künstlern frei.

TransLit als eigenständiges Format

Was der Kölner Poetikdozentur also fehlt, ist eine klar erkennbare Linie. Will man die Veranstaltung weiterhin unter dem Etikett der Poetik-Vorlesung betreiben, dann sollte man sich in ihrer Ausgestaltung an dem orientieren, was am ersten Abend stattfand, wohl bemerkt, dass man der Inflation der Poetik-Vorlesung dadurch nur zuarbeiten würde. Will man den Künstlern jedoch weiterhin die Möglichkeit bieten, ihre Inszenierung auf der Bühne frei zu gestalten und ihnen ein gewisses Maß an Spontaneität einräumen, dann sollte man auch den Schritt wagen sich von der Idee einer Poetik-Vorlesung gänzlich freizumachen und stattdessen die TransLit als ein eigenständiges Format behandeln.

Fotos: Ronja Rosenow, Anahita Babakhani.

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