Stellwerk Magazin

Eine Hommage Komm, wir nehmen ein Taxi!

Vorwort

Ob Vorspielkutsche, Partyexpress oder Beichtstuhlmobil – das Taxi ist in jedem Fall Hort der besten Geschichten. Nicht verwunderlich also, dass Autoren, Musiker und Menschen jüngst immer häufiger ins Taxi steigen. Eine Sammlung von Kuriosem, Legendärem und Persönlichem. Eine Hommage an das Taxi.

Ich möchte bei guten Geschichten im Allgemeinen zwei Sorten unterscheiden: solche, die im Taxi beginnen, und jene, die ebendort enden. Bei der ersten Sorte wird im Taxi gekichert, geknutscht und gefummelt, bei der zweiten bereut, gekotzt und geweint. Die Taxi-Rückbank ist dabei unter wodkadurstigen und erlebnishungrigen Großstädtern so beliebt – für den zwischenmenschlichen Exzess wie das individuelle Drama –, weil sie Samstagnacht zumindest ein klein wenig mehr Privatsphäre bietet als Straße oder Straßenbahn. "Irgendwie schon besser, im Taxi zu weinen als im HVV-Bus, oder nicht?", singt seit 2002 die Hamburger Indie-Rock-Band Kettcar. Oder anders gesagt: Was im Taxi passiert, bleibt im Taxi. Es lebe das Taxi!

Taxi ist nicht gleich Taxi

Eine absonderliche und dringend von der beschriebenen Kotz- und Fummel-Rückbank zu unterscheidende Subform des urbanen Phänomen 'Taxi' ist das sogenannte Großraumtaxi. Allein der Begriff lässt den Kosmopoliten erschaudern. Denn der ein oder andere Zugezogene mag sich erinnern: Was ein "Großraum" im Namen trug, verwies auf tiefste Provinz. Verdrängt wird in Hamburg, Berlin, München und Köln gern eine Dorfjugend, während derer man allsamstäglich aus dem jeweiligen Großraum der Region X mit dem Großraumtaxi zur Großraumdisko pilgerte. In der richtigen Großstadt dagegen fahren im Großraumtaxi nur die Touristen. Frei nach: one's company, two's a crowd, five's a Großraumtaxi.

Björn Kuhligk

Björn Kuhligk | Foto: gezett. Büro für Fotografie

In Großraumtaxi, einer der 62 Berliner Szenen, die Björn Kuhligk in einer gleichnamigen Sammlung veröffentlichte (Verbrecher, 2014), treffen wir auf ebendiese Großraumtaxi-Touristen, die Inkarnation der Provinz in Form von "fünf kofferschleppenden Rheinländern". Ihre provinziellen Vergehen in der Reihenfolge ihres Auftritts lauten: 1. "Fünf kofferschleppende Rheinländer stoppen vor dem Eingang und bitten die Bedienung um ein Taxi." 2. "'Moment mal!', hält der Älteste der Gruppe, ein Schnauzbärtiger, die Bedienung zurück. 'Hier gibt es ja Kölsch, wunderbar, wir nehmen dann mal eine Runde, das haben wir in zwei Minuten aus!'" 3. "Das Großraumtaxi kommt, als das Kölsch kommt. Der Schnauzbart fragt den Taxifahrer, der ein Palästinensertuch um den Kopf gewickelt trägt, ob sie das Bier mit ins Taxi nehmen können." Und hier folgt, was folgen musste. Denn wie sollte ein Berliner Taxifahrer so viel rheinländischer Einfalt und Undankbarkeit auch anders begegnen als mit seiner unterkühltesten aller hauptstädtischen Schnauzen: "Der Taxifahrer schüttelte fassungslos den Kopf und sagte: 'Ey, du bist hier doch nicht in Wuppertal.', und fährt weg." Richtig – Taxifahren können eben nur richtige Großstädter.

Kuhligk in Köln

Am vergangenen Donnerstag, am 10. Dezember 2015, las Kuhligk im Kölner Literaturhaus, unter anderem aus Großraumtaxi. Berliner Szenen. Ich frage ihn - bereits ganz taxi-euphorisch -, ob er denn nicht gern Taxi fahre und wie er zu seinem Titel gekommen sei. Denn Taxi gefahren wird lediglich in zwei der 62 Szenen. Kuhligk erkundet die Stadt in Großraumtaxi vielmehr zu Fuß oder auf dem Fahrrad. So sind seine Szenen häufig in eine Tradition um den Metropolen-Flaneur gestellt worden, welcher im andauernden Berlin-Hype gerade Comeback feiert. David Wagner versammelt in Welche Farbe hat Berlin? (Verbrecher, 2011) beispielsweise persönliche Spazier-Erfahrungen und auch Ilma Rakusa legt in Aufgerissene Blicke (Droschl, 2013), dem sicher intellektuellsten Schlenderbuch dieser Trias, ein Flanier-Journal aus Berlin vor. "Ich habe doch gar keine Zeit zum Flanieren!", wehrt sich Kuhligk gegen diese Vergleiche. Beim Begriff Großraumtaxi habe er einfach an einen sozialen Raum gedacht, in dem Menschen gemeinsam etwas erleben. Und so handeln denn auch die verschiedenen Szenen der Sammlung Großraumtaxi vom Aufspüren jedes noch so kleinen Geschichtchens an den vermeintlich anonymen Nicht-Orten der Großstadt. Auf der Straße, in der U-Bahn, im Kaufhaus und im Bürgeramt hält Kuhligk die Augen weit geöffnet und erzählt, ganz unaufgeregt, manchmal eine Geschichte und manchmal eben keine.

Die Taxifahrt als schillernde Tagebuchnotiz

Sucht man nach Geschichten, die tatsächlich der Taxifahrt huldigen und ausschließlich in Taxen spielen, findet man diese in der am 11. November 2015 veröffentlichten Hanserbox, einer alle zwei Wochen erscheinenden eBook-Reihe des Verlags - Taxi Deutschland. Geschichten von der Straße. Hanser, 2015. Hier tragen 51 Autoren, darunter Clemens Setz, Saša Stanišić oder Nora Bossong, und Literaturblogger sowie deren jeweilige Nachwuchsversionen ihre persönliche Geschichtchen und Anekdoten aus dem Taxi zusammen. Nicht nur hier, auch bei Kuhligk schon waren die Taxi-Beobachtungen mit einer autofiktionalen Schreibhaltung verbunden. Ein besonderer voyeuristischer Reiz, der sicher viele Texte der Gegenwart auszeichnet. Die Taxigeschichten werden zu einer Art schillernder Tagebuchnotiz, wenn auch immer mit charmant augenzwinkernder Pose. Und warum gerade das Genre der Taxigeschichte prädestiniert ist für ein Schweben zwischen kurios-fantastischer Aura und tagebuchartiger Selbstoffenbarung? Niemand könnte es, in holpernd-bayrischem Dialekt, treffender resümieren als ein waschechter Taxifahrer selbst, in diesem Falle jenes Exemplar, das Herausgeber Florian Kessler im Zuge seiner Taxibox-Ankündigung interviewt. "Es gibt drei Sparten, wo die Menschen komplett ihre Maske fallen lassen.", erklärt er uns. "Des isch: Pfarrer, Hure, Taxifahrer."

Taxi Teheran

Mit dem Platznehmen auf der Taxi-Rückbank scheint also ein weit höheres Selbstoffenbarungsrisiko verbunden zu sein als mit dem Fahrersitz hinterm Steuer. So nehmen Geschichtensammler mit Vorliebe denn auch letztere Position ein. Als prominentestes Exempel gesellte sich jüngst zu dem beliebten Klischee vom taxifahrenden Philosophen, Dichter oder Linguisten der taxifahrende Regisseur. Weil der Iraner Jafar Panahi keine Filme mehr drehen darf, setzte er sich ans Steuer eines Taxis, das mit Kameras gespickt war. Die Straße wurde sein Filmset, die Fahrgäste seine Helden in Taxi Teheran (2015). Dabei ist ein Film entstanden, der zeigt, dass ein Taxi nicht nur Kleinkunstbühne für persönliche Schnaps-und-Nebel-Dramen, sondern auch Schauplatz politischer Auseinandersetzungen werden kann.

Hier ist wichtig zu wissen: Taxis sind ein bewährtes Mittel der Fortbewegung in Teheran, denn sie sind flexibel, nicht teuer, stehen immer zur Verfügung und man kann zu anderen Fahrgästen dazu steigen, sich ein wenig unterhalten und wieder aussteigen. So trifft in einer der fließend montierten Szenen des Films beispielsweise die Figur eines Taschendiebs, der sich vehement für die Todesstrafe ausspricht, auf eine Volksschullehrerin, die ebenso vehement widerspricht. Es handelt sich dabei nicht um einen banalen Streit zwischen zwei Menschen, die zufällig aneinandergeraten sind, sondern um eine mit scharfen Argumenten geführte Auseinandersetzung über ein zentrales Thema der iranischen Gesellschaft. Der Iran liegt in der weltweiten Statistik der Hinrichtungen nach China an zweiter Stelle. In Taxi Teheran wird das Taxi zum Ersatz für den öffentlichen Raum, der von der Islamischen Republik kontrolliert wird. Was man draußen nicht sagen kann, sagt man drinnen. So wird ein Teheraner Taxi zur gelebten Freiheit auf Rädern. Und doch gilt leider auch hier: Was im Taxi passiert, bleibt im Taxi.

Ein Abschlussgeständnis

Meine kurioseste Taxigeschichte erlebte ich am 23. Feburar. Es war 08.40 Uhr und ich hatte am Bahnhof Ehrenfeld in strömendem Regen bereits eine halbe Stunde lang vergeblich auf den Bus zur Universität gewartet – den verdammten 142er. Als ich zum gefühlten fünfmilliardensten Mal auf die Uhr sah, fragte mich ein junger Mann von der Seite: "Schreibst Du auch gleich Examen?" Ich bejahte. Klausur war um neun. Gemeinsam fassten wir neuen Mut: Mit prüfungsweichen Knien sprangen wir in das nächstbeste Taxi und wir verfluchten die KVB. Wir waren nicht weit gekommen, da stauten sich auf der inneren Kanalstraße bereits die PKWs zum Schritttempo, und wir verfluchten Köln. Der Taxifahrer, ein solidarischer Afghane, tat es auch. Zwei Minuten vor neun sprangen mein unbekannter Examensgenosse und ich am Albertus-Magnus-Platz aus dem Taxi und hechteten in unsere Prüfungsräume. Er hatte gezahlt und mir im Davonrennen seinen Namen nachgerufen – ich hatte nur vergessen, ihn mir zu merken. Schade eigentlich, denn das hätte eine gute Geschichte werden können. Eine von der Sorte eben, die im Taxi beginnt.

© Miriam Zeh

Foto: David Bradford