Stellwerk Magazin

Rezension Die Ereignisse

Vorwort

Das im THEATER DER KELLER inszenierte Stück DIE EREIGNISSE von David Greig feierte unter der Regie vom Thetaerchef Heinz Simon Keller am 21. Januar 2016 Premiere. In David Greigs Stück für zwei Schauspieler (Susanne Seuffert und Markus Penne) und einen Chor geht es um Terror, Schuld, Rache und Vergebung. Es verhandelt die allzu aktuelle Frage: Was macht einen jungen Mann zum Mörder?

DAs Stück läuft noch bis zum 24. April 2016 im THEATER DER KELLER in Köln.

"Ich weiß, ein blödes Thema. Ein blödes Stück. Aber wir sind zeitgemäß!", so Heinz Simon Keller über seine Inszenierung DIE EREIGNISSE nach der Premiere im Theater der Keller. Und genau so hat es sich als Betrachter auch angefühlt: Die Rezipienten, eng zusammengepfercht im ausverkauften Keller, und vor ihnen das Bühnenbild: drei Perserteppiche, ein Mikrofon, eine Leinwand im Hintergrund und davor eine alte Untersuchungsliege auf der schon, während sich der Zuschauerraum hektisch füllte, Claire (gespielt von Susanne Seuffert) regungslos aufgebahrt lag. Die Stimmung ist vor Beginn angespannt. Claire war Leiterin eines multikulturellen Chors, auf den ein Attentat verübt wurde. Sie versucht als einzig Überlebende das Motiv des Amokläufers zu verstehen. Sie ist auf der Suche nach Antworten, um einen Weg zurück ins 'normale' Leben finden zu können. Dabei wird bei ihrer Suche weniger Gewicht auf das Psychogramm des jungen Täters gelegt, sondern auf die Folgen, die das Attentat für die Involvierte nach sich zieht. Der Junge (gespielt von Markus Penne) hat keinen Namen. Das lässt ihm auch viel Raum für verschiedene Gesichter. So begegnet er Claire und dem Zuschauer als Psychologe, als Vorsitzender einer rechten Partei, der er sich kurz vor der Tat anschloß, als sein eigener Vater und zuletzt als Täter selbst. Dieser durchlebt wiederum eine Transformation vom frustrierten Vorstadtjungen zum übergroßen Berserker; gefangen zwischen Paranoia und Hybris.

Ich habe Markus Penne gefragt, wie es war, nahtlos und ohne Szenenwechsel, in diese doch sehr kontroversen Rollen zu schlüpfen.

M. Penne: "In einer Inszenierung verschiedene Rollen spielen zu dürfen ist meiner Meinung nach immer ein Geschenk für einen Schauspieler! Man kann in kürzester Zeit verschiedenste Facetten zeigen und taucht in andere Charaktere ein. Aber genau darin liegt auch die Schwierigkeit: In DIE EREIGNISSE sind die Rollenwechsel sehr schnell, ohne jegliche Kostümveränderung und ohne einen wirklichen Szenenabschluss, da diese sehr kurz sind und ineinander übergehen. Für mich als Schauspieler heißt das, dass ich keine Zeit habe, in eine Rolle reinzukommen, sondern dass ich den Charakter auf den Punkt treffen muss!"

Gefühl der Ohnmacht

Neben den zwei Schauspielern steht ein Laienchor von zwölf Sängerinnen und Sängern auf der Bühne, der sowohl gesanglich die unterschiedlichen Dia- und Monologe der beiden Darsteller untermalt wie auch selbst als sakral inszenierter Leichenchor agiert. Heinz Simon Keller verleiht diesem, anders als dem Jungen, eine Identität: Mithilfe von Diaprojektionen und Selbstbeschreibungen der jeweiligen Person erfahren wir Namen, Geburts- und Todestag. Während Bilder von aktuellen Ereignissen – Attentate und Täter, Terrororganisationen, Islamisten, Trauernde und Staatsoberhäupter – über die Leinwand flimmern, stimmt der Chor das alte Volkslied "Es saß ein schneeweiß' Vögelein" an. Das Gefühl der Ohnmacht, angesichts der Wucht der aktuellen Bezüge des Stücks, wird durch das Chorlied als Synonym für Hilflosigkeit, Verzweiflung und Zuversicht der Überlebenden versöhnlich gestimmt.

Chor: Daria Behet, Clemens Ehses, Kirsten Framing, Marianne Kaulen, Sophie Mik, Sabine Müller, Renate Mussmann-Ridder, Anton Rausch, Dagmar Rheinländer, Axel Rudolph, Bernadette Weiler, Patricia Wolf

Markus, wie hast du Probezeit und die Inszenierung selbst, die dann doch so nah am Zeitgeschehen lag, wahrgenommen?

M. Penne: "Das Thema des Stückes ist ein Attentat. Wie verarbeitet eine Überlebende das Geschehene, warum wird ein Mensch zum Attentäter? Als die Proben Anfang November begonnen haben, lagen die Terroranschläge von Paris gerade mal 14 Tage zurück und während unserer Probenzeit wurden wir mit den Kölner Silvesterübergriffen und mit Berichten über Pegida-Aufmärsche und den hirnlosen Parolen der AfD zur Flüchtlingsdebatte konfrontiert. Wir wurden von der Realität eingeholt. Umso mehr haben wir jedoch untereinander über tagesaktuelle Themen während der Proben gesprochen und diese dann ins Spiel miteingebracht. Obwohl es sich in DIE EREIGNISSE um eine ganz furchtbare Geschichte handelt, und die Frage nach dem 'Warum' offenbleibt, birgt die Inszenierung für mich persönlich einen Hoffnungsschimmer, der sich in der Figur der Claire widerspiegelt. Die Stärke dieser Inszenierung ist für mich die Ruhe, mit der wir uns mit diesem Thema auseinandersetzen."

"I will survive"

Claire, die für den Schauspieler Markus Penne den Hoffnungsmoment der Handlung verkörpert, löst sich während des Stückes aus ihrer Ohnmacht und ihre Verwandlung vom Opfer über die exkulpierende und von aller Welt Bewunderte bis hin zur Täterin, die letztendlich doch keinen anderen Ausweg sieht, als den Täter zu ermorden, ist sehr subtil und zugleich doch progressiv skizziert. Vor allem lässt dies genug Freiraum für eigene moralische Überlegungen. Heinz Simon Keller schafft es, mit zwei überragenden Darstellern und den sakral inszenierten Schlagzeilen, die durch ihre Aktualität schockieren, den Zuschauer zu fesseln, ihn aber vice versa versöhnlich zu stimmen und ihn beruhigt in den Abend zu entlassen. Dazu trägt maßgeblich auch der teilweise äußerst rührende Chorgesang bei. Schauspielerisch gesehen bleibt er jedoch ein Laienchor, der in seiner Performance, wenn etwa Popsongs wie "I will survive" angestimmt werden, etwas pathetisch wirkt. Die Stimmung kippt dadurch für einen Moment, es wird klamaukig. Vielleicht spiegelt aber auch genau das Köln wider: den Karneval und die rheinische Art, sich mit den Dingen, auch den ernsten, auseinanderzusetzen. Das Wichtigste dabei: sich nicht unterkriegen zu lassen.

Fotos: Meyer Originals / Theater der Keller

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