Stellwerk Magazin

Steve Reich | Six Pianos Und Steve Reich so: Gääähn!

Vorwort

Wer am 3. Mai 2016 doch lieber Netflix gestreamt hat als Kölner Philharmonie.tv, dem möchte ich sagen: Du hast nichts verpasst! Das ins Bodenlose gehypte Konzert “Six Pianos” mit Gregor Schwellenbach, John Kameel Farah, Erol Sarp, Daniel Brandt, Paul Frick und Hauschka in der Kölner Philharmonie enttäuschte.

Steve Reich: SIX PIANOS 1973 FÜR SECHS KLAVIERE im Rahmen des Musikfestivals ACHT BRÜCKEN in Zusammenarbeit mit KOMPAKT und c/o pop.

Mit: Gregor Schwellenbach, John Kameel Farah, Erol Sarp, Daniel Brandt, Paul Frick und Hauschka

HAUSCHKA | Foto: Mareike Föcking

Gregor Schwellenbach | Foto: Jan Höhe

1.073 Zusagen auf Facebook, 3.174 interessiert. Ausverkauft! Was für ein Popkonzert allenfalls nach mittelgroßem Ausmaß und Tagesgeschäft klingt, ist für Neue Musik exzeptionell. Nahezu undenkbar für ein Konzert in der Kölner Philharmonie! Dass der Euphorie um dieses Konzert weniger die Minimal Music von Steve Reich als ein Aufgebot an Popstars zugrunde liegt, riecht der Klassikfreund drei Meilen gegen den Wind. Die Rede ist vom Konzert "Six Pianos". Das gleichnamige Stück des US-amerikanischen Komponisten Steve Reich (*1936) gab es am 3. Mai 2016 in der Kölner Philharmonie zu hören. Die Interpreten waren sechs renommierte Vertreter der zeitgenössischen Szene zwischen Elektronik, Club-Musik, Jazz und neuer Klassik. Gregor Schwellenbach, Initiator des Projekts, spielte an der Seite von John Kameel Farah und Erol Sarp. Außerdem: Daniel Brandt und Paul Frick vom akustischen Techno-Ensemble "Brandt Brauer Frick" sowie Volker Bertelmann alias Hauschka.

Wir brauchen Bass!

Auf dem Programm stand nicht nur "Six Pianos". Das Stück dauert nämlich gerade mal 19 Minuten – allenfalls 24, wenn man es im Tempo so behäbig nimmt, wie die sechs Herren am Dienstag. Abendfüllend ist es damit nicht. Da musste also noch ein wenig Füllmaterial her. Deshalb gab es vor dem großen Reich-Finale einige Eigenkompositionen der Pianisten. Am sehnlichsten erwartet dabei zweifellos die Soloperformance von Hauschka, der "Elizabeth Bay" (2013) für Klavier und Elektronik von seinem Album "Abandoned City" spielte. Doch die Bühne der Philharmonie wollte Hauschkas präpariertem Klavier keinen dankbaren Resonanzboden bieten. Die nicht ausreichend verstärkten elektronischen Beats des Stückes verloren sich im großen Saal. Die Eindringlichkeit der ansonsten beklemmend, ja klaustrophobischen Komposition konnte sich nicht recht auf die Zuhörer übertragen.

Derselben Problematik begegnete "Ocean Drive (Schamane)" (2013), eine Komposition von "Brandt Brauer Frick", die von einem Trio aus Brandt, Frick und Hauschka gespielt wurde. "Lauter!", wollte man von den oberen Rängen auf die Bühne rufen, "Wir brauchen Bass zum Dancen!" Allenfalls vereinzelt nickten stattdessen wenige Zuhörer auf den roten Klappsesseln der Philharmonie mit ihren Köpfen. Motivisch schlossen am ehesten Schwellenbachs Arrangements "Closer Musik's Maria", "Kaito's Everlasting" und "Geduld/Ungeduld" (alle 2013) zu Reichs Musik auf. Die Stücke stammen von seinem Jubiläumsalbum für das Kölner Plattenlabel "Kompakt“. Hier interpretiert der klassisch ausgebildete Pianist Werke des bedeutenden Elektro-Labels auf dem Klavier (und anderen akustischen Instrumenten) neu. Besonders "Closer Musik's Maria" arbeitete, wie Reichs Musik, mit reizvoll wechselnden Akzentuierungen.

Völlig aus dem Kontext dagegen fielen die Kompositionen "Introitus" (2014) und "Fugal Metamorphosis" (2014) von Kameel Farah. In einer willkürlichen Mixtur aus barocken, liturgischen, romantischen und pseudo-arabischen Klangelementen kamen sie recht effekthascherisch daher. Schnelle Fugenpassagen gingen in großflächige Arppegien über. Eine Anbindung an die vorangegangenen und nachfolgenden elektro-akustischen Kompositionen blieb aus. Vor "Six Pianos" nichtsdestotrotz begeisterter Zwischenapplaus für alle Komponisten und Interpreten.

Das Finale: Man feiert seine Popstars

Endlich das Finale: Steve Reich. "Six Pianos“ komponierte der zu den bekanntesten Komponisten der Gegenwart zählende Mitbegründer der Minimal Music 1973. Die Idee dazu kam Reich in einem Klaviergeschäft. Ein Werk für sämtliche dort zum Verkauf gebotene Instrumente hatte er schreiben wollen. Da ihm dieses Vorhaben jedoch klanglich schnell zu massiv und unpraktikabel schien, entschied sich der Komponist für eine kleinere Version. Sie sollte es den nun sechs Spielern an sechs Klavieren ermöglichen, gut aufeinander zu hören. Denn "Six Pianos" arbeitet, wie so viele von Reichs Stücken, mit Phasenverschiebungen. Den Startpunkt des Stücks setzen dabei zunächst vier der sechs Pianisten, die alle denselben achttaktiken Rhythmus spielen, allerdings mit verschiedenen Tönen. Etwas später setzten die beiden bisher schweigenden Pianisten ein (hier: Farah und Hauschka), um unisono in das exakte Pattern der bereits aktiven Klaviere einzuhaken, dabei aber zwei Taktschläge anders zu akzentuieren. So verschieben sich die Phasenabläufe – erst ganz einfach, dann zunehmend komplexer und variantenreicher. In dem kanonhaften, repetitiven Klanggewebe fallen die Akzente mit dem Verlauf des Stückes immer wieder auf andere Knotenpunkte. Damit das funktioniert, müssen alle Pianisten ihre jeweiligen Patterns über 20 Minuten lang präzise wie ein Uhrwerk halten. Höchste Konzentration wird ihnen abverlangt. Doch nicht nur ihnen. Auch dem Zuhörer. Die sich ständig wiederholenden Muster lullen das Ohr ein, während die feinen Akzentverschiebungen gleichzeitig beständige Aufmerksamkeit einfordern. Man verliert sich zwangsläufig und ist trotzdem immer wieder überrascht von der sich rhythmisch pausenlos neu verzahnenden vollkommenden Präzision – wenn das Stück denn 'einrastet'. Und das tat es am Dienstag in der Kölner Philharmonie eben nicht so richtig. Schwellenbach leitete das Stück, koordinierte vor allem Anfang und Ende. Im Vergleich zu den fünf anderen überzeugte seine Genauigkeit, die sich ebenso bestimmt wie dialogfähig in den Gesamtklang einfügte. Besonders die Einwürfe von Farah fielen stattdessen immer wieder aus der komplexen Klangstruktur heraus. Auch der Einsatz anderer Stimmen erwies sich einige Male als zu hörbar für die so verdichtet gearbeitete Musik Reichs. Deshalb wollte sich dem Hörer zwar stellenweise, nicht jedoch flächendeckend die genauestens durchdachte Logik von Reichs Komposition erschließen. Am Ende des Abends nichtsdestotrotz anhaltender Applaus vom ausverkauften Saal. Man feierte eben seine Popstars.

Ignoranz der Engstirnigen

Wie Esfahani selbst das Konzert erlebte, hat er in diesem Posting aufgeschrieben und reflektiert; einen herrlich scharfzüngigen Kommentar dazu schrieb u.a. auch Axel Brüggemann.

Bei diesem Konzert darf bei aller musikkritschen Härte nicht unvergessen bleiben, dass Reichs Musik an demselben Ort vor wenigen Wochen noch ein ganz anderer Empfang bereitet worden war. Am 28. Februar 2016 musste ein Konzert des Ensembles "Concerto Köln" abgebrochen werden. Hier war Musik von Bach und seinem Sohn Carl Philipp mit Zeitgenössischem, eben unter anderem "Piano Phase" (1967) von Steve Reich kombiniert worden. "Lachen, Klatschen und andere Geräusche des Missfallens", schreibt der Kölner Stadtanzeiger, "erzwangen den Abbruch der Darbietung." Ein halbes Jahrhundert nach Entstehung des Werkes, das der Cembalist Mahan Esfahani zuvor sogar noch in bestem Englisch erklärt hatte. "Reden Sie doch gefälligst Deutsch!", war dem 1984 in Teheran geborenen Musiker da schon zugerufen worden. Nun waren Ende Februar zweifelsfrei andere Konzertbesucher anwesend als vergangenen Dienstag. Zum Eklat kam es, wie Esfahani in seinem klugen Posting beschreibt, unter wütenden alten Männern, Abonnenten, sogenannten Bildungsbürgern. Am Dienstag prägte die Philharmonie ein selten gesehenes, viel jüngeres Publikum. Ihre unvoreingenommene und vielleicht etwas unkritische Euphorie für Reichs Musik ist aber ganz unbestreitbar wünschenswerter als jede Ignoranz der Engstirnigen.

Foto: Jörg Hejkal

Die Redaktion empfiehlt passend zu diesem Artikel:

Hier geht's zum Mitschnitt!