Stellwerk Magazin

Judith Butler | Albertus-Magnus-Professur 2016 "Verletzlichkeit und Widerstand neu denken"

Vorwort

Nachdem bereits Giorgio Agamben, Noam Chomsky und Bruno Latour im Rahmen der Albertus-Magnus-Professur zu Gast an der Universität zu Köln waren, folgte in diesem Jahr die vielfach ausgezeichnete Professorin für Rhetorik, Vergleichende Literaturwissenschaft und Kritische Theorie an der University of California, Berkeley, - die Ikone der Gender-Forschung: Judith Butler.

Neben den Seminaren mit Studierenden der Universität zu Köln hielt Butler zwei öffentliche Vorträge, - einen zur ETHIK UND POLITIK DER GEWALTLOSIGKEIT (20.06.2016) und einen zweiten Vortrag mit dem Titel VERLETZLICHKEIT UND WIDERSTAND NEU DENKEN. (22.06.2016)

Foto: Silke Feuchtinger (V.l.n.r.: A. Speer, J. Butler, M. Günter)

Indem Butler sich in ihrer zweiten Vorlesung an der Universität zu Köln direkt auf Formen des öffentlichen Widerstands bezieht, vertritt sie in besonderem Maße den Anspruch der AM-Professur, Wissenschaft und öffentlichen Raum zu vereinen. Denn auch in diesem Vortrag kommt zum Ausdruck, dass sie ihre Gender-Theorien auf die politische und gesellschaftliche Ebene erweitert hat, sodass ein Konstrukt von Verletzlichkeit zum öffentlichen Widerstand anhalten soll. Sicherlich stellen ihre Denkmuster schon seit Jahrzehnten einen revolutionären Beitrag dar - vor allem im Bereich der Gender-Studies. Doch wird offensichtlich, dass Butler sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruht, sondern vielmehr ihre Konzeptionen von Körper, Macht und Performativität um neue Einsatzgebiete erweitert.

Aktive Opferrolle: Widerstand

Der Gedanke der Mobilisierung von Widerstand durch Verletzlichkeit ist zentral in Butlers Theorie, wobei das Neudenken von Verletzlichkeit und Widerstand eine entscheidende Rolle spielt. Die kulturell und historisch tradierte Lesart des Begriffs Verletzlichkeit wird von Butler nicht als passive Opferposition verstanden, wie beispielsweise im traditionellen Feminismus, sondern als eine "Form von Macht". Das Risikobewusstsein der demonstrierenden Person, welches Inhaftnahme oder körperlichen Schaden in Betracht zieht, stellt hier einen kalkulierenden Effekt dar, der auf die aktive Rolle des Subjekts verweist, die sich einer passiven Opferrolle widersetzt.

Verletzlichkeit, die sich im Demonstrieren gegen prekäre Zustände äußert, bringt zusätzlich das Politisierungspotential vorpolitischer Bereiche und Gegenstände zum Ausdruck, indem beispielsweise eine Straße als Basis und Plattform der Infrastruktur, aber auch des demonstrativen Aktes fungieren kann. Das Medium des Körpers wirkt unterstützend bei dieser Raumerschließung und opponiert gegen Prekarität, indem es sich physisch anbietet. Butler betont hierbei, dass sich der Körper durch Beziehungen definiert, wobei das Individuum bestehen bleibt. Ein Beispiel hierfür ist der Feminismus, der als Solidaritätsnetzwerk funktioniert und definitiv durch Verletzlichkeit Widerstand mobilisiert. Die essentielle Vorstellung von unserem "Selbst" begründen wir demnach auch durch soziale Normen, auch Gender-Normen, die unsere Verletzlichkeit in Bezug auf einen Sprechakt bestimmen. Diese Eigenart (die Empfänglichkeit für Normen, aber auch Verletzlichkeit gegenüber Namensgebung) hängt mit der Integration der Gender Assignments und den intersubjektiven sowie infrastrukturellen Bedingungen zusammen, wodurch nicht nur Verletzlichkeit, sondern auch Abhängigkeit als performativer Akt, als Teil einer Formation, verstanden werden können. Butler hebt hierbei hervor, dass diese Bedingungen eng mit den Wirkungsformen von Sprachakten verknüpft sind.

Politisierung der Verletzbarkeit als Widerstand

Die mögliche Verletzlichkeit und der daraus resultierende Widerstand sind jedoch nur mit der infrastrukturellen Unterstützung des Subjekts/Körpers umsetzbar, was u.a. Verhandlungs- oder Versammlungsrecht einschließt. Mit einem Verweis auf die Band Pussy Riot betont Judith Butler, dass diese Bedingung nicht selbstverständlich ist und existentiell für den öffentlichen Widerstand. Der Körper als Singuläres sollte somit nach Butler auf seine Abhängigkeitsverhältnisse zu verschiedenen Strukturen untersucht werden, beispielsweise der Infrastruktur. Hierbei fällt auf, dass Verletzlichkeit nicht nur auf soziale Umstände beschränkt ist, sondern auf politische Formen erweitert betrachtet werden muss. Die Verletzlichkeit wird zu einem freiwilligen "Sich der Macht aussetzen" und ist mit Widerstand in Verbindung zu bringen, sofern man dieses "Verletztwerden" zulässt und sich in der jeweiligen Situation in seiner Gruppenzugehörigkeit angesprochen sieht. Nur durch einen so verinnerlichten Sprechakt mit Diskriminierungspotential kann eine öffentliche Form des Widerstands Ausdruck finden. Das Privilegierte diesen Widerstand als Angriff auf ihre eigenen Vorrechte verklären, ist vielleicht darauf zurückzuführen, dass der Widerstand nur als solcher und nicht in Verbindung mit der Verletzlichkeit erkannt wird. Denn die Politisierung der Verletzlichkeit wird durch die traditionelle, passive und negative Konnotation erschwert und kann nur umständlich als Praktik eines politisch oppositionellen Ausdrucks vermittelt werden. Durch feministische Instrumente kann diese Gegensätzlichkeit von Verletzlichkeit und Widerstand abgebaut werden, wie Butler es in ihrem Vortrag vorschlägt.

Folglich ist politischer Widerstand auf Verletzlichkeit angewiesen, denn ohne, dass man sich selbst durch verschiedene Akte, Formen oder Systeme als eingeschränkt oder verletzt versteht, wird man nicht demonstrieren oder sich wehren - sei es sprachlich oder körperlich. So wird deutlich, dass Verletzlichkeit in direkter Beziehung zu Empfänglichkeit und Empfindsamkeit steht, durch welche die Formen des Widerstands nur durch eine potentielle Verletzlichkeit hervorgerufen werden können. Verletzlichkeit wird in Butlers Theorie zum Mittel gegen ungerechte Herrschaft. Wobei wir den "Widerstand gegen die Verletzlichkeit aufgeben [müssen], um Widerstand leisten zu können". (Judith Butler)

Foto: Patric Fouad

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