Stellwerk Magazin

Rezension Mein lieber Helmut

Vorwort

Basierend auf dem ausführlichen Briefwechsel zwischen dem jungen Kriegsfreiwilligen Helmut Feiber und seinen Eltern entstand unter der Regie des Intendanten David Heitmann im THEAS Theater in Bergisch Gladbach das Solostück MEIN LIEBER HELMUT. In die Rolle des siebzehnjährigen Frontsoldaten schlüpfte Marc Bender, der bereits von April 2011 bis April 2012 als Mitglied des Jungen Ensembles auf der Bühne stand. Das Stück feierte am 25. Juni 2015 Premiere. Für den Spätsommer 2016, am 10., 11. und am 17. September 2016 ist eine Wiederaufnahme geplant. Original historische Kampfuniform – vergrößerte Abdrucke der hundert Jahre alten Briefe auf dem Bühnenboden – eingespielte Text-Collagen aus dem Off… Heitmann gelang in seiner Inszenierung auf eindrucksvolle Weise die bisweilen ambivalenten Gefühle der Frontsoldaten sowie der Daheimgebliebenen auf die Bühne zu bringen.

WEITERE AUFFÜHRUNGEN:

10./11. und 17. September 2016, jeweils um 20.00 Uhr

Wir schreiben das Jahr 1915: Die zermürbenden Schlachten des Ersten Weltkrieges sind im vollen Gange und auch in der beschaulichen Stadt Bergisch Gladbach hat die anfängliche Kriegseuphorie Einzug gehalten. Der siebzehnjährige Helmut Feiber zieht nach abgeschlossener Ausbildung als Kriegsfreiwilliger an die Front. Seine dortigen Erlebnisse sind durch einen intensiven Briefwechsel mit seinem, sich selbst im Krieg befindenden, Vater sowie seiner, sich zu Hause in Bergisch Gladbach aufhaltenden, Mutter auf detaillierte Weise dokumentiert. Bereits fünf Monate nach seinem Einzug wird Feiber verletzt, kurz darauf erliegt er im Lazarett seiner Verwundung.

Schatten der Vergangenheit

Das Bühnenbild war, den Frontverhältnissen entsprechend, schlicht gehalten und doch wurde jedes Element mit Bedacht und Liebe zum Detail ausgewählt, um den hundert Jahre alten Briefen Leben einzuhauchen. Als Ergänzung zu der klassischen Bühne gingen zwei längliche Stege von der Bühne ab, so dass der, sich während des gesamten Stückes alleine auf der Bühne befindende, Helmut-Darsteller Marc Bender, die Möglichkeit hatte, sich während der Rezitation der Briefe ungehindert zu bewegen. Anstatt mit Mitspielern, konnte er auf diese Weise mit dem Raum interagieren. Der gesamte Bühnenboden war mit vergrößerten Seiten der Original-Briefe bedeckt. Auf diese Weise wurde dem Zuschauer das Gefühl einer Omnipräsenz der Worte der längst verstorbenen Briefschreiber, vermittelt. Ein weißes Bettlaken auf der vom Zuschauerraum aus betrachteten rechten Seite diente als Projektionsfläche für den Schatten des Schauspielers. Dies verhalf zu einer besonders effektvollen Untermalung des Dargestellten: zeitweise überkam einen der wiederkehrende Schatten der Vergangenheit, der sich über den Schatten auf dem Laken legte. Eine Vergangenheit, die uns bis heute nicht los lässt und ohne die wir nicht wären, wer wir sind. Hinten auf der Bühne befanden sich weiterhin ein kleiner roter Tisch sowie ein spartanisch anmutender Holzstuhl. Das Mobiliar vermittelte dem Publikum die karge Ausstattung in den Soldaten-Unterkünften. Komplettiert wurde das Bühnenbild durch diverse Requisiten, die zur überzeugenden Authentizität des Gesamtbildes beitrugen.

Euphorie und Ernüchterung

Wie so viele andere junge Männer seiner Generation und seines gesellschaftlichen Standes ließ sich der junge Feiber von der größtenteils herrschenden Kriegseuphorie mitreißen: er hegt den Wunsch, sich nach dem bestandenem Examen als Kriegsfreiwilliger zu bewähren. Dieser Wunsch wird schon zu Beginn deutlich, wenn er von seinem Stuhl aufsteht und seinen Lebenslauf vorträgt. Der letzte Satz des Lebenslaufes lautet folgendermaßen: „Gestern habe ich glücklich mein Einjähriges bestanden und hoffe, dass ich auch bei den Pionieren angenommen werde.“ Damit tritt er in die Fußstapfen seines Vaters, des Offiziers. In einem Brief ermuntert dieser ihn mit folgenden Worten, es ihm gleich zu tun: „Suche nur Dich hervorzutun durch gute Leistungen. Die Vorgesetzten müssen auf Dich aufmerksam werden, dann kannst Du es schaffen. Wenn Du dann Glück hast, kannst Du als Offizier aus dem Felde zurückkehren.“ Innerhalb dieses inszenierten Briefwechsels wird der schmale Balanceakt zwischen Kriegseuphorie und Vaterlandsliebe einerseits, Angst und Sorge um die Angehörigen an der Front sowie die Realität der Schützengräben andererseits auf nahezu bedrückende, aber dadurch umso eindrucksvollere, Art vermittelt. So lauten die Worte der Mutter in dem Brief vom 21. Januar 1915: „Sieh nur zu, dass Du an dem Motor bleibst, da bist Du sicher geschützt vor Geschossen. Deine Mutter zu Haus denkt immer an Dich in treuester Liebe. Wir Mütter aber müssen jetzt in zweiter Linie stehen, zunächst kommt das Vaterland.“ Diese Zeilen lassen auf prägnante Weise die Ambivalenz erkennen, die in den Gedanken und Gefühlen der Daheimgebliebenen herrschte.

Regisseur Heitmann erstellte während der Produktion Aufnahmen von den Briefen der Eltern Helmuts. Die Mutter, Margarete Feiber, wurde gelesen von Susanne Kemp (Mitglied im Vorstand des Trägervereins THEAS Theaterschule und Theater e.V.). Ein leicht blecherner Ton konnte mit ein wenig Fantasie den Anschein erwecken, es handele sich tatsächlich um alte Aufnahmen, es ertönten in Wirklichkeit längst verstummte Stimmen. Der Vater Helmuts, Richard Feiber, wurde akustisch auf die Bühne gebracht durch Otto Mörsberger (ebenfalls Mitgleid THEAS). Stark wie voluminös erklang mit jedem neuen Brief seine Stimme und der Zuschauer kam nicht um das Gefühl umhin, sich mit einem Patriarchen einer vor hundert Jahren lebenden Familie in einem Raum zu befinden. Die Briefe aus dem Off erweckten durch die Lautstärke ein Gefühl der Nähe zugleich aber aufgrund der fehlenden Präsenz eines visuell greifbaren Menschen eine gewisse Distanz. Dies erweckt die Vorstellung, wie es für die Soldaten gewesen sein musste, Nachrichten aus von den Angehörigen zu erhalten. Einerseits waren diese Briefe aus der Heimat vertraut, gleichzeitig empfanden die jungen Kriegsfreiwilligen aber das Gefühl der Isolation. Die Erlebnisse an der Front ließen ich nur bedingt in Worte fassen – erst recht für jemanden, der nicht vor Ort war, nie im Schützengraben ausharren musste.

„So ganz ohne Mitspieler auf der Bühne zu stehen, ist eine Herausforderung“,

so der Helmut Darsteller Marc Bender. Der Regisseur des Stückes David Heitmann ist mit der Leistung seines Darstellers zufrieden. Insgesamt gelang es dem 21-jährigen Schauspieler den um 1900 in Bergisch Gladbach lebenden Jungen glaubhaft auf die Bühne zu bringen. Bender selber fiel es zwar schwer, die Kriegsbegeisterung Helmuts nachzuvollziehen, doch durch eine intensive Auseinandersetzung mit dem historischen Stoff, gelang es ihm sich vorzustellen, wie sich Feiber – geprägt durch die Umstände der Zeit– gefühlt haben muss. Die in den Briefen des Kriegsfreiwilligen geschilderten Beweggründe und Empfindungen bringt er überzeugend auf die Bühne. In originaler Kriegsmontur und vor allem durch die darstellerische Leistung Marc Benders kam der Zuschauer teilweise nicht umhin, sich bewusst zu werden, dass es sich nicht um einen 1897, sondern um einen 1994 geborenen jungen Mann handelt, der auf der Bühne Briefe rezitierte.

Das Ende des jungen Kriegsfreiwilligen und damit einhergehend das Ende des Stückes wird auf effektvolle und bisweilen beklemmende Weise auf der Bühne inszeniert. Angedeutete Kampfszenen und rote Lichtblitze werden effektvoll untermalt durch dramatische Musik. Die letzten Szenen auf der Bühne zeigen den Darsteller in verschiedenen rasch wechselnden Kampfszenarien, bis schließlich ein weißer Blitz aufleuchtet und er verwundet zu Boden sinkt. Während dieser Szenen werden die letzten Briefe der Eltern, aus dem Off eingespielt. Feibers Antwort auf diese haben sie niemals erhalten. Der allerletzte Brief des Vater ging ungelesen, mit dem kurzen Vermerk „Starb den Heldentod“ zurück. Die drei kurzen Worte „Starb den Heldentod“ sorgen nach Verlassen des Theatersaales noch lange Zeit für Widerhall in den Ohren der Zuschauer.

Mit der Inszenierung des Stückes MEIN LIEBER HELMUT im THEAS Theater wurde ein wichtiges Stück Geschichte auf die Bühne gebracht: Geschichte, die zwar räumlich so nah, jedoch in Bezug auf das Welterleben und die herrschenden Werte und Normen gleichzeitig so fern ist. Einen Teil dieser Historie auf realistische Weise zu inszenieren, zeugt von einer eingehenden Auseinandersetzung mit der Thematik sowie einer beeindruckenden schauspielerischen wie auch dramaturgischen Leistung. Intendant und Regisseur David Heitmann und Darsteller Marc Bender ist es gelungen, das Leben des jungen Kriegsfreiwilligen Helmut Feiber, das exemplarisch wie viele mit einem viel zu frühen, sinnlosen Tod endete, ein würdevolles darstellendes Denkmal zu setzen.

Foto: Rebecca Künkler

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