Stellwerk Magazin

Konzerbericht EVVIVA VERDI

Vorwort

Italienische Dramatik unter freiem Himmel: Die große Verdi Operngala beim Eröffnungskonzert der diesjährigen Kurpark Classix begeistert mehr als 2.000 Besucher. Opernchor Aachen, Sinfonischer Chor Aachen und das Sinfonieorchester Aachen schaffen Theaterflair auf den Picknickdecken der Zuschauer. Unter der Leitung von GMD Marcus Bosch und dem Mitwirken von sechs herausragenden Solisten werden an einem warmen Sommerabend Giuseppe Verdis Meisterwerke mit neuem Leben füllen.

Die Blechbläser des Sinfonieorchesters Aachen eröffneten mit sechs kraftvollen Fanfaren die EVVIVA VERDI!-Operngala der diesjährigen Kurpark Classix. Gefolgt von sanften Streichern und einem dramatischen Finale war die Ouvertüre aus "La forza del destino" (Die Macht des Schicksals) der passende Einstieg für einen vielfältigen und kontrastreichen Abend ganz im Zeichen des italienischen Großmeisters Giuseppe Verdi. Auf Einladung von Aachens GMD Kazem Abdullah wurde das Konzert von seinem Vorgänger und Mitbegründer der Kurpark Classix GMD Marcus Bosch geleitet. "Ein Abend mit Verdi ist für so eine Sommernacht immer das Richtige", sagte Bosch in einem Interview. Zum zehnjährigen Jubiläum der Kurpark Classix erneut in Aachen dirigieren zu dürfen, sei für ihn eine große Freude, da Aachen ein Stück Heimat sei.

Dreizehn Stücke aus vier Opern

Mit Witz und historischen Eckdaten zu Verdi führte er das Publikum durch das Programm und leitete in die Stimmung der jeweiligen Oper ein. Es wurden dreizehn Stücke aus vier der bekanntesten Opern Verdis aufgeführt. Auf die Ouvertüre aus "La forza del destino" folgten "Chi mi cerca?" und "Rataplan". Irina Popova (Sopran) und Woong-jo Choi (Bass) überzeugten eindrucksvoll im Duett zwischen der asylsuchenden Leonora und dem Padre Guardiano. Sanja Radišić (Mezzosopran) als Zigeunerin Preziosilla begeisterte das Volk für den Krieg, indem sie lautmalerisch die Kriegstrommel imitierte. Das Volk wurde von den Sängerinnen und Sängern der stark besetzten Chöre Opernchor Aachen und Sinfonischer Chor Aachen vertreten.

Oper mit Picknickdecke

"Wir setzen ein Zeichen für eine solidarische und offene Gesellschaft." (GMD Kazem Abdullah)

Publikumsliebling an diesem Abend war allerdings eindeutig Camille Schnoor (Sopran), die zu Beginn der zweiten Oper ihren ersten Auftritt hatte. Ihre Darbietung von "È strano… sempre libera" aus "La traviata" mündete in dem wohl lautstärksten Beifall des gesamten Abends. In dieser Szene zweifelt die Pariser Kurtisane Violetta an ihren Gefühlen zum Adeligen Alfredo. Kraftvoll und zugleich lieblich sang Schnoor die Arie, als sei die Rolle nur für sie komponiert. Vor der Pause kamen noch zwei weitere Solisten zum Einsatz: Alexey Sayapin (Tenor) performte den jungen Alfredo in "Lunge da lei", der für sein Liebesglück mit Violetta Geld beschaffen muss. Hrólfur Saemundsson (Bariton) trat als Vater von Alfredo im Duett mit Camille Schnoor zu "Pura siccome un angelo" auf. Er beschwört Violetta auf ihr Glück zu verzichten, da seine Tochter nicht heiraten könne, wenn sein Sohn mit einer Kurtisane verkehre. Nach dieser typisch italienischen Dramatik wurde das Publikum in eine 30-minütige Pause entlassen. Erwähnenswert ist die Pause aufgrund der besonderen Umstände der Kurpark Classix. Dass klassische Musik fernab von Theaterräumen Open-Air aufgeführt wird, ist eine Sache. Dass das Publikum neben der Tribüne auf Picknickdecken, mitgebrachten Stühlen und Bänken sitzt und währenddessen Rotwein und selbstgemachte Speisen genießt, ist nicht nur unüblich, sondern auch der absolute Hit unter den Aachenern. Christian Mourad, Veranstalter der Kurpark Classix beschreibt es so: "Für mich ist das wunderbare Musik ohne Schwellenängste. Hier kann jeder hinkommen, egal, ob er Ahnung hat von klassischer Musik oder nicht. Egal, ob er sich einen Anzug anzieht, oder mit Jeans und Sneakers durch die Gegend läuft. […] In Zeiten, wo vielleicht immer weniger Menschen ins Theater gehen, ist es Zeit, dass das Theater zu den Menschen kommt." Da ist es nicht verwunderlich, dass am Abend der Operngala knapp 2.200 Besucher in den Aachener Kurpark kamen.

Auf dem Foto (v.l.n.r.): GMD Marcus Bosch, Camille Schnoor (Sopranistin) und Hrólfur Saemundsson (Bariton).

Die zweite inoffizielle italienische Nationalhymne

Nach der Pause ging es mit Stücken aus den Opern "Nabucco" und "Il trovatore" weiter. Höhepunkt des gesamten Abends war "Va pensiero" (Gefangenenchor) aus "Nabucco". Akzentuiert, authentisch und perfekt aufeinander abgestimmt dirigierte Bosch Chor und Orchester, sodass sich Ehrfurcht und Gänsehaut im Publikum breitmachte. Das Stück, das eine Analogie zum italienischen Publikum zur Zeit der Uraufführung aufweist, wurde und wird zum Teil bis heute als zweite inoffizielle italienische Nationalhymne gehandelt. Das Volk fühlte sich als Teil des Habsburgerreiches unterdrückt und forderte einen souveränen Staat. EVVIVA VERDI! hallte es nach der Uraufführung durch die Straßen Italiens. Auch im Kurpark war nach "Va pensiero" ein leises EVVIVA VERDI! aus den hinteren Reihen zu vernehmen. Mit einem Schmunzeln fragte Bosch nach, ob er richtig gehört habe.

Mit einer klassischen Dreiecksgeschichte und dem großen Finale des ersten Aktes endet der leidenschaftliche Opernabend mit "Deserto sulla terra" aus "Il trovatore" bei Mondschein. Unter tosendem Beifall und sichtlich gerührt verließ GMD Marcus Bosch mit den Worten "Es war schön hier. Vielen, vielen Dank!" die Bühne und schenkte dem Publikum zwei Zugaben, zu denen auch alle sechs Solisten noch einmal auf die Bühne kamen.

Fotos: Rita Heindrichs