Stellwerk Magazin

Interview Im Gespräch mit Guy Helminger

Vorwort

Guy Helminger (*1963) ist ein Kölner Autor mit luxemburgischen Wurzeln. Nach seinem ersten Gedichtband “Die Gegenwartsspringer”, der 1986 erschien, hat er in den Folgejahren zahlreiche weitere Werke veröffentlicht und viele Preise erhalten, z.B. den Förderpreis für Jugend-Theater des Landes Baden-Württemberg im Jahre 2002, den 3sat-Preis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2004 und den Post-Poetry Preis NRW im letzten Jahr. Am 30. Oktober diesen Jahres wurde er mit dem Dresdner Lyrikpreis ausgezeichnet. Im Interview mit Laura Toussaint sprach er über Heimat, Reisen und - natürlich - das Dasein als Schriftsteller.

“Selbstporträt 116” | © Guy Helminger

Würden Sie sagen, dass Ihre Verbindung zu Köln stärker ist als die zu Ihrer Heimatstadt Esch-sur-Alzette?

Heimat ist für mich etwas, das man überall wieder neu aufbaut, und dementsprechend ist Köln meine Heimat. Das Luxemburgische hingegen, da wo ich groß geworden bin, das ist so etwas wie nationale oder regionale Identität, und das ist etwas, was man nicht neu aufbaut. Aber ich glaube, dass ich, da die ganzen frühen Erlebnisse dort liegen, von dort geprägt bin - so wie von der ersten Liebe. Es ist eine emotionale Bindung, die man auch in andere Länder trägt.

Überlegen Sie, langfristig hier in Köln zu bleiben? Oder geht es irgendwann wieder nach Luxemburg?

Ich glaube eher, dass ich nach Vietnam ziehe (lacht). Köln ist für mich Heimat geworden. Heimat ist für mich da, wo ich meine Brötchen kaufe, wo ich meine Freunde habe, wo meine Stammkneipe liegt, all diese Dinge. Das ist für mich Heimat und die hab ich hier. Diese Heimat aufzugeben, ist nicht so einfach, und wenn ich sie aufgeben würde, dann für einen Ort, wo mich etwas völlig Neues wartet. Alles abbrechen und mal alles ganz neu machen. Aber an den gleichen Ort zurück, das sehe ich nicht ein.

Ihr Beruf des Schriftstellers ermöglich Ihnen viele Reisen. Was bedeutet Ihnen das Reisen und was war Ihre letzte Station?

Das war Südafrika. Reisen ist für mich etwas Elementares und somit sehr wichtig. Nicht nur, weil es mir ermöglicht, selber Erfahrungen zu machen, oder um viel Material zu sammeln, sondern weil es einem auch immer die Möglichkeit gibt, sich selbst in Frage zu stellen. Man reist ja nicht mit dem eigenen Wohnzimmer, sondern gerade, um etwas kennen zu lernen, und gleichzeitig auch, um von sich zu erzählen - das ist Austausch. Wenn man als Autor für das Goethe-Institut unterwegs ist, dann hat man natürlich auch immer jemanden zur Seite, falls man etwas braucht und das ist das Gute daran. Also, ein Beispiel: In Indien wollte ich unbedingt Krankenhäuser für die Unberührbaren, die Ärmsten besuchen. Kasten sollte es ja eigentlich nicht mehr geben, aber es gibt sie doch! Die Krankenhäuser werden alle vom Militär bewacht, damit da nicht so viele reinstürmen. Da kommt man nicht einfach so rein. Somit hat mir das Goethe-Institut jemanden zur Seite gestellt, der selbst schon einmal dort lag und ein bisschen Englisch konnte. Er hat mich dorthin vermittelt und somit konnte ich mir die Krankenhäuser überhaupt erst ansehen. Das ist etwas, an das man vielleicht nicht unbedingt als erstes denkt, aber ich hatte kurze Zeit zuvor meinen ersten Sohn verloren und war daher sehr oft auf Intensiv- und Säuglingsstationen. Ich habe mich daher gefragt, wie es im Krankenhaus zugeht, wenn man überhaupt kein Geld hat, die Infrastruktur nicht stimmt, etc. Dort habe ich mir auch die Säuglingsstationen mit Brutkästen angeschaut - das sind dann so Momente, in denen man auch sehr schnell die eigene Position relativiert.

Gibt es auch Erlebnisse, die Sie am liebsten einfach nur vergessen würden?

Eigentlich nicht. Selbst wenn die Erlebnisse nicht so glücklich waren, sage ich mir, dass das zum Leben dazu gehört und ich sie verwerten kann. Es gibt auch sehr lustige Anekdoten, über die man im Nachhinein lacht. In Mali bin ich einmal mit einem Buschtaxi nach Kangaba gefahren und es wurde immer dunkler und ich dachte, dass wir doch schon längst da sein müssten! Irgendwann habe ich einfach so den Ort vor mich her gesagt und dann brüllte eine Frau plötzlich irgendwas zum Fahrer, der bremste und nahm meinen Rucksack. Ich sah, wie er verschwand und ich stand einfach da - auf einer Straße mitten in der Wüste. Da fragte plötzlich eine Stimme hinter mir "Hotel?". Zwei junge Männer standen hinter mir und ich bin denen dann einfach gefolgt. Wir gingen etwa zwanzig Minuten und ich dachte: Wenn du das überlebst, hast du eine schöne Anekdote! (lacht) Und die haben mich tatsächlich zu einer Karawanserei gebracht - also war alles gut!

Warum haben Sie sich entschlossen, Schriftsteller zu werden?

Da gab es ein Erlebnis in der zwölften Klasse: Unser Deutschlehrer hat eine Art Vorlesung gehalten und wir haben das Gedicht "Die Liebenden" von Brecht und später dann auch Gedichte von Gottfried Benn bearbeitet. Es hat mich so fasziniert, dass man sowas mit Sprache machen kann, dass ich abends selber mein erstes Gedicht geschrieben habe. Ich habe zu meiner damaligen Freundin gesagt: "Irgendwann bin ich bei Suhrkamp!". Ich habe mich damals völlig selbst überschätzt, aber irgendwann war ich ja auch bei Suhrkamp. Es hat nur etwas länger gedauert als ich dachte.

Gibt es einen bestimmten Schriftstellertypen, dem Sie sich selbst zuordnen würden?

Ich nehme ein Thema, das für mich persönlich wichtig ist. Das Schöne an der Schriftstellerei und an der Freiberuflichkeit ist ja, dass keiner einem etwas befiehlt, keiner wartet auf einen. Deshalb mache ich genau das, was ich machen will, und wenn die Verlage etwas nicht nehmen wollen, nehmen sie es halt nicht und dafür werde ich es nicht ändern. Ich bin ein gegenwärtiger Autor und ich will über das reden, was mich jetzt interessiert und was irgendwie mit dieser Zeit zu tun hat. Bei ganz vielen Gedichten von mir geht es immer wieder um wirklich menschliche Sachen, die ich eben dann wiederum als sehr politisch ansehe.

Woher holen Sie sich die Inspiration?

Man fängt nie bei Null an. Wenn man schon so lange im Geschäft ist wie ich, dann hat man eine Unmenge an Dateien, Notizen, Ideen und Lichtbilder auf dem PC. Und jedes Mal, wenn ich irgendwo etwas entdecke, klaue ich das - aber natürlich frage ich vorher die Leute. Von daher habe ich wahnsinnig viel Material. Wenn eine Sache abgeschlossen ist, brauche ich das ganze Material nur durchzugehen und weiß, woran ich als nächstes arbeiten werde.

Wenn Sie sich für die Zukunft etwas wüschen könnten, was wäre das?

Keine Ahnung! (lacht) Viel reisen, jedes Land sehen. Ich muss ehrlich sagen, dass ich keinen so großen Wunsch habe, weil ich schon aufgrund meines Berufes immer so viele interessante Sachen mitkriege. Ich würde mir dann tatsächlich eher wünschen, dass meine Kinder auch eine so ruhige Zeit durchleben können wie ich. Das sind eher Sachen, über die ich mir mehr Gedanken mache, als über mich. Ich finde, selbst wenn ich morgen sterben würde: Was ich hatte, war cool!

Headerbild: "Selbstporträt Guy Helminger im Paradies der Zarah" | © Guy Helminger