Stellwerk Magazin

Interview Journalismus in Zeiten von Big Data

Vorwort

Petra Blum hat Anglistik, Amerikanistik und Betriebswirtschaftslehre in Mannheim studiert. Sie absolvierte zahlreiche Praktika und volontierte bei der Verlagsgruppe Handelsblatt. Heute arbeitet sie als freie Journalistin beim WDR in Köln. Des Weiteren hat sie Sachbücher zu den Themen Unternehmenskultur und Kundenorientierung publiziert.

Petra Blum © privat

Was halten Sie von Facebook, Twitter und Co. aus Ihrer beruflichen Perspektive?

Die sozialen Medien haben uns in nie dagewesener Deutlichkeit gezeigt, welche Inhalte bei den Nutzern gut ankommen und welche Inhalte weniger gut angenommen werden. Der Journalismus stellt sich darauf ein – Shares, Likes und Retweets gelten auch bei uns immer mehr als Erfolgsmesser. Jedes soziale Netzwerk hat dabei seinen eigenen Markenkern: Bei Facebook ist es der berühmte Katzencontent, da laufen zum Beispiel komplexe journalistische Texte nicht besonders gut. Man punktet eher mit kurzen und leichteren Inhalten oder Fotos, die schnell vom Gehirn verarbeitet werden können. Ähnlich sind Snapchat und Instagram. Twitter als einziges soziales Medium kann manchmal auch zur Verbreitung von komplexeren Stories interessant sein. Was aber noch viel wichtiger ist – soziale Medien haben einen neuen Rahmen gesetzt, der das Nutzergefühl im Netz prägt: Nämlich den des Privaten. Private Statusnachrichten aus dem Freundes- und Bekanntenkreis sind durch soziale Medien enorm aufgewertet worden. Die Personalisierung von Inhalten hat sich als Trend etabliert. Auch daran passen sich Journalisten an: Es wird dem Publikum viel mehr aus dem privaten Leben berichtet und beispielsweise in den sozialen Medien gepostet. Früher war es unter Journalisten verpönt, sich selbst zum Berichtsgegenstand zu machen, heute ist das ganz normal.

Wie sollten Unternehmen mit Social Media umgehen?

Unternehmen können Social Media natürlich für sich nutzen und versuchen, mit ihren Botschaften in den persönlichen News-Feed der Nutzer reinzukommen. Das Mittel der Wahl ist hier das Storytelling: Beispielsweise verbreitet ein Hersteller von Tiefkühltorten ein Video, in dem jemand von seinen Liebsten mit einer Torte überrascht wird. Der kurze Film wirkt nicht wie ein Fernsehspot sondern erzählt eine ganze Geschichte und Facebook spielt das in den Newsfeed der Nutzer ein, ob man es sehen will oder nicht. Für Unternehmen ist das attraktiv, in diesen quasi privaten Bereich einzudringen, da ihre Botschaften dadurch automatisch aufgewertet werden – im Gegensatz zu einer einfachen Werbeanzeige oder einem Fernsehspot. Selbstverständlich sind soziale Medien auch ein guter Rückkanal, über den sich Unternehmen mit ihren Kunden und Fans in Verbindung setzen können – schneller und unkomplizierter als früher. Die Kehrseite der Medaille sind natürlich die berüchtigten Shitstorms, die sich in den sozialen Medien unerwartet über ein Unternehmen ergießen können und gegen die es nur wenige Gegenmittel gibt.

Möchten sich Kunden eher auf Internetseiten oder doch lieber persönlich über Unternehmen informieren?

Die Menschen informieren sich eher über Produkte, weniger über Unternehmen an sich – es sei denn, sie wollen sich für einen Job bewerben. Nutzer recherchieren inzwischen hauptsächlich online. Es gibt tausende Foren und Preisvergleichsrechner zu den unterschiedlichsten Dingen, und wenn möglich, wird auch online bestellt, weil es bequem ist. Informationen über Unternehmen suchen Nutzer eher dann, wenn sie bereits Kunde bei einer Firma sind, die beispielsweise gerade in den Nachrichten auftaucht – mit Skandalen, drohender Insolvenz oder ähnlichem – und Folgen für die Kunden zu befürchten sind. Ansonsten interessieren sich die Menschen eher wenig für Unternehmensnachrichten.

Ist Öffentlichkeitsarbeit oder Werbung persönlicher geworden, gerade im Hinblick auf Firmendarstellungen dank YouTube, Facebook, Snapchat oder diversen Blogs?

Auf jeden Fall! Früher sind in Deutschland die Produkte stärker hervorgehoben worden. Heute passt man sich dem Rahmen, den die sozialen Medien gesetzt haben, an und personalisiert das Bild, das die Öffentlichkeit von dem Unternehmen haben soll. Beispielsweise macht ein Wursthersteller Werbung mit seinen Angestellten, die die Wurst produzieren, oder eine Bank zeigt Filialangestellte beim Joggen. Das hätte man früher nicht gemacht und man hätte auch nicht gewusst, warum man das machen soll. Heute schlagen die Unternehmen damit sogar zwei Fliegen mit einer Klappe: Durch die Darstellung glücklicher Angestellter transportiert man auch noch eine positive Arbeitgebermarke. Dieser Trend nimmt immer mehr zu.

Was ist Ihre Einschätzung zur aktuellen Big Data-Debatte?

Das kommt ganz auf das Unternehmen und die Branche an. Große Technologiekonzerne wie Apple, Amazon und Google oder soziale Netzwerke wie Facebook haben zum Beispiel sehr umfangreiche Nutzerdaten, und das ist ein Teil ihres Firmenwertes und ihres Geschäftsmodells: Werbetreibenden wird die Möglichkeit geboten, durch die Fülle an Informationen über die jeweiligen Nutzer viel zielgenauer zu werben. Auch die Erfolgsmessung der Werbung ist viel exakter geworden: Bei digitaler Werbung weiß man, ob sie nur angesehen wurde, oder angeklickt, oder ob die Nutzer aufgrund der Werbung anschließend auf der Seite des Werbetreibenden etwas gekauft haben. Über eine solche Datenfülle zu verfügen, bedeutet Marktmacht und – wie man am Wachstum von Google gut sehen kann – auch ordentliche Gewinne. Andere Branchen entdecken das immer mehr: Banken beispielsweise wissen schon ziemlich viel über ihre Kunden, aber sie nutzen es noch nicht im Sinne von Big Data aus. Stellen wir uns aber beispielsweise vor, das Bargeld würde abgeschafft – dann könnte man ohne die Bank keine einzige Zahlung mehr tätigen und unsere Bank wüsste plötzlich sehr viel mehr über uns.

Das macht doch Angst, oder?

Grundsätzlich ist das noch nicht in einem Stadium, wo einem das Angst machen muss. Aber wenn Einzelunternehmen oder Branchen durch Kundendaten plötzlich sehr viel Macht bekommen, wenn Krankenkassen zum Beispiel eine Smartwatch zur Kontrolle einsetzen, um zu checken, ob der Versicherte wirklich Sport macht, oder wenn mein Auto meiner Versicherung meldet, ob ich besonders riskant fahre – diese Vorstellung kann man schon unangenehm finden. Die andere Seite der Medaille ist natürlich, dass auch große Datenmengen von jemandem kopiert werden und in die Öffentlichkeit gelangen können, wir erinnern uns an Wikileaks. Es würde mich als Investigativ-Journalistin wohl auch nicht geben, wenn nicht wie im Falle der Panamapapers eine große Menge brisanter Daten in die Hände von Journalisten gegeben worden wäre.

Wird die Big Data-Debatte zu hysterisch betrieben oder ist sie berechtigt?

Ich finde sie insgesamt nicht übertrieben, wir reden ja über ganz neue Entwicklungen, für die es vielfach auch noch keine vernünftigen gesetzlichen Regelungen gibt. Wir sehen beispielsweise im Moment, wie die Politik sich müht, gegen die Probleme mit Fakenews und Hasskommentaren in sozialen Medien vorzugehen, allerdings bisher mit bescheidenem Erfolg. Ich denke, durch Big Data wird insbesondere die Datenschutz-Debatte in Zukunft an Brisanz zunehmen, und es wird spannend sein zu sehen, wer sie gewinnt.

Vielen Dank für das Interview!