Stellwerk Magazin

Interview „Ich werde nicht müde, den Deutschen ihre Sprache zu erklären“

Vorwort

Malerisch gelegen an der Außenalster liegt die Hamburger Wohnung des deutschlandweit bekannten Autors Bastian Sick. Ich bin nach Uhlenhorst gereist, um mich mit dem deutschen “Sprachpapst“ über sein Schaffen und über ihn zu unterhalten. Als ich an seinem Wohnhaus ankomme und klingele, werde ich freudig durch die Sprechanlage begrüßt: “Sie haben es geschafft!“ Oben empfängt mich ein sichtlich gut gelaunter Bastian Sick und heißt mich herzlich willkommen.

Herr Sick, stellen Sie sich bitte kurz vor.

Mein Name ist Bastian Sick. Ich bin Hamburger und Ostholsteiner; eigentlich Lübecker – da bin ich geboren; und vielen Deutschen bekannt durch meine Buchreihe "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“.

Sprachpurist? Ja oder ja?

Es kommt natürlich auf die Definition an. Es gab einige in früheren Jahrhunderten, die Eiferer waren und die alles ausmerzen wollten, was ihnen nicht in den Kram passte. Ein solcher bin ich fürwahr nicht. Ich bin eher Sprachästhet.

Wie schlimm finden Sie es, "Deutschlehrer der Nation“ genannt zu werden?

Überhaupt nicht schlimm. (lacht) Also man kann schlechtere oder unangenehmere Etiketten haben. "Deutschlehrer der Nation“ ist doch etwas sehr Ehrenvolles.

Neigen Sie dazu, Leute zu terrorisieren, die schlechtes Deutsch sprechen?

Ich halte es sogar für unhöflich, Menschen im Gespräch zu korrigieren. So ein Besserwisser bin ich auch gar nicht. Vielleicht werde ich von einigen als ein solcher erachtet.

Wie halten Sie es mit der gendergerechten Sprache?

Ich bemühe mich, das weibliche Geschlecht zu würdigen und auch sprachlich zur Geltung kommen zu lassen. Wenn es ausartet und man Texte orthografisch mit lauter Schrägstrichen entstellt, da hört dann meine Sympathie für diese Politik auf.

Welche war Ihre schlechteste Deutschnote?

Ich glaube das war eine vier – im Abitur. (lacht)

Glauben Sie, dass der Genitiv aus der deutschen Sprache verschwinden wird?

Er ist ja schon dabei, zu verschwinden. Das ist kein Phänomen der jüngsten Zeit, obwohl man feststellen kann, dass er jetzt auch immer seltener in den Medien seinen Platz findet. Die Leute sagen dann: "Das klingt so komisch.“

Kommen Sie sich nicht manchmal komisch dabei vor, den Deutschen ihre Sprache zu erklären?

Nein. Ich hab am Anfang gar nicht gewusst, dass das unbedingt notwendig ist. Es sind andere gewesen, die gesagt haben: "Mach das mal!“ Es ist ein schöner Beruf, weil ich das Schreiben liebe und weil ich sehr viel Anerkennung bekomme und sehr viel nette Resonanz. Deshalb werde ich nicht müde, den Deutschen ihre Sprache zu erklären.

Befürchten Sie den Verfall der deutschen Sprache, wollen Sie das mit ihren Büchern verhindern?

Schwierige Frage... Nein, die Sprache als solche verfällt nicht. Sie befindet sich natürlich in einem permanenten Wandel. Sprache ist immer ganz klar auch an Bildung gekoppelt. Wenn man sagt, die Sprache verfällt, dann kann man eben auch feststellen, dass die Bildung verfällt.

Wie offen sind Sie für Neuerungen in der Sprache?

Sehr offen. Ich habe immer gerne gescrabbelt. Da ist es ganz klar, dass man eben auch ein Wort zusammensetzt, das vielleicht nicht im Duden steht, das aber möglich wäre.

Haben Sie etwas gegen Dialekte?

Im Gegenteil. Da bin ich bestimmt oft missverstanden worden. Ich liebe Dialekte. Sie sind der Reichtum unserer Sprachkultur.

Was sagen Sie Leuten, die behaupten, dass Sie sich in Ihren Büchern über andere lustig machen?

Denen sage ich, dass das wahrscheinlich zum Teil zutrifft. Es wird ja viel gelacht in meinen Programmen. Ob konkret eine Person dabei ausgelacht wird, das ist noch eine zweite Frage, denn die sieht man ja bei mir nicht.

Wenn ich mich recht erinnere, erzählen Sie in ihren Geschichten aber doch von bestimmten Personen.

Ich zitiere Frau Jackmann, ich zitiere meine Freundin Sybille und meinen Freund Henri. Das sind literarische Gestalten. Es gibt aber viele Menschen, die glauben, es gäbe Sybille und Henri, und haben mich gebeten, sie ganz herzlich zu grüßen. (schmunzelt)

Wie reagieren Sie auf Kritik?

Im ersten Moment macht es mich wütend, im zweiten dann nachdenklich und dann fange ich an, zu schauen, inwieweit die Kritik womöglich zutrifft.

In einer Ihrer E-Mails haben Sie geschrieben, Germanisten zählen nicht zu Ihren größten Fans. Warum ist das so?

Das ist ganz klar. Weil ich als normativ gelte. Und bei den heutigen Linguisten sagen viele:: "Normativ ist bäh!“ Wenn dann so einer kommt und sagt "Leute, es gibt da übrigens auch noch so Regeln und ich erklär die mal eben schnell“, dann gilt der natürlich als konservativ, reaktionär, spießig. Ein bisschen ist es wahrscheinlich auch so, dass ich dem Wandel nicht immer mit offenen Armen entgegenstehe.

Für wen sind Ihre Bücher eigentlich?

Das wurde mir auch erst im Laufe der Zeit bewusst: Es ist eine gebildete Schicht. Es sind also nicht die, die es eigentlich nötig hätten, sondern es sind die, die es ohnehin schon besser können. Überwiegend Frauen. Das ist ein Gesetz der Literatur: Männer schreiben, Frauen lesen.

Haben Sie immer schon geschrieben?

Ich habe, sowie ich schreiben gelernt habe, angefangen, mit dieser Sprache etwas zu machen. Nämlich meine Fantasie, die sehr unbändig war, sehr wild und bunt, in eine Form zu gießen. Mit zehn habe ich den ersten Roman geschrieben: "Die gestohlene Krone“.

Wie sehr regt es Sie auf, wenn man Sie Sebastian nennt?

Es regt mich schon auf. (lacht) Ich hatte früher einen Physiklehrer, der hieß Herr Wolf. Und der hat konsequent Sebastian zu mir gesagt, bis ich dann irgendwann mal erwidert habe: "Ja, Herr Seewolf?“ Da brach die ganze Klasse in brüllendes Gelächter aus. Da hat er’s dann kapiert und seitdem nie wieder falsch gemacht. Aber es regt mich auf, wenn ich es irgendwo in der Presse lese. Wenn man als Journalist einen Text über jemanden schreibt, sollte man doch vorher klar recherchiert haben, wie die Person wirklich heißt.

Wie gehen Sie ans Schreiben Ihrer Bücher heran?

Ich bin bei meinen "Dativ-Bänden“ immer einem gewissen Leserauftrag gefolgt. Aus jeder Geschichte hat sich etwas Neues ergeben durch die Leserreaktionen. Es waren die Leser, die geschrieben haben: "Schreiben Sie doch auch mal was darüber, dass die Leute auch keinen Plural mehr verwenden können und von ‚Antibiotikas‘ und ‚Praktikas‘ reden. Dann hab ich irgendwann eine Geschichte mit dem Titel geschrieben: "Visas – die Mehrzahl gönn ich mir.“

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?

Ich schlafe lange. Ich mache mir Kaffee. So einen Becher (zeigt drauf) mit viel Milch. Und spiele eine Partie Carcassonne – im Bett noch. Und wenn ich dann finde: Na ja, jetzt könntest du mal, dann stehe ich auf. Das ist aber nie vor zehn Uhr. Und es kommt dann drauf an, in welcher Phase ich gerade bin. Je näher der Abgabetermin rückt, desto größer der Druck und desto höher die Kreativität.

Können denn die Leser weiterhin mit Büchern von Ihnen rechnen?

Ich muss ja von etwas leben, deshalb muss ich weiter schreiben. Ich habe ja mein Thema – die Sprache – gefunden. Und ich bin da auf weiter Flur ziemlich allein. Viele von diesen Fachbüchern sind einfach zu bierernst... Und dann wundern die sich, dass die keiner kaufen will. Aber man muss eben auch ein Talent zum Schreiben haben. Und daran sind die ganzen Bastian-Sick-Kritiker gescheitert. Die schauen nur, ob ich die Regel richtig erkläre, aber keinem fällt auf, dass ich eigentlich ein Geschichtenerzähler bin und dass meine Bücher nicht bloß Sachliteratur sind, sondern unterhaltsame Literatur.

Foto: Herbert Schulze