Stellwerk Magazin

Eine Reportage Kölner Kurzgeschichten Wettbewerb 2017

Vorwort


Es ist Mittwochabend, kurz nach sieben und ich stehe bei eisigen Temperaturen vor der Studiobühne Köln, dem Theater der Universität zu Köln. Ich treffe mich mit einem Freund, um zur Preisverleihung des Kölner Kurzgeschichten Wettbewerbs (KKW) zu gehen. Der KKW wird von der Fachschaft Germanistik organisiert. Die neun Finalisten des Wettbewerbs tragen ihre Texte vor Publikum vor und erhalten sowohl den Publikumspreis, als auch die Auszeichnung der Jury. Es ist bereits die 20. Preisverleihung des KKW – kein kleines Jubiläum. Mein Freund stellt mir Charlotte Coch vor, sie ist seit ein paar Jahren die Organisatorin des Wettbewerbs. – Später werden wir uns noch ein wenig über den Wettbewerb unterhalten.


Langsam füllt sich das Asta-Café. Ich bin überrascht. Die Facebook-Gruppe zur Veranstaltung war überschaubar: sieben Zusagen, zweiunddreißig Interessierte. Die Studiobühne hatte komplett vergessen, auf ihrer Homepage anzuzeigen, dass die Preisverleihung in ihren Räumen stattfindet. Auch auf der Homepage der Universität zu Köln war nichts zu finden. Und auf den Werbeplakaten stand zwar das Datum, doch keine Uhrzeit. Kein guter Start. Umso größer war die Freude, dass um halb acht alle Plätze im Zuschauerraum besetzt waren. 
Gespannt sitze ich auf dem Zuschauer-Podest und blicke auf die Bühne. Ein Tisch, eine Stehlampe, zwei Stühle, ein Mikrofon. Der Rest der Bühne ist schwarz. 
Als erstes betritt Khalid Arif Fayat die Bühne. Er ist Lehramtsstudent und Musiker. Mit seiner Gitarre sitzt er dem Publikum gegenüber und beginnt passend zur Veranstaltung Songs von Singer & Songwriter Neil Young zu interpretieren. Seine Musik begleitet uns durch den Abend. Später wird Fayat verraten, dass er seit einem Jahr nicht mehr vor Publikum aufgetreten sei, spontan heute Abend dazu stieß und einfach improvisiere. 


Nach der musikalischen Einstimmung eröffnet Prof. Dr. Hans Esselborn (Institut für Deutsche Sprache und Literatur I, Uni Köln) den Wettbewerb mit einer Definition des Begriffes Kurzgeschichte: Umgangssprachlich und in knapper Form. Herr Esselborn ist einer der drei Köpfe, die die Jury des KKW bilden. Charlotte Coch und Jonas Linnebank machen das Trio komplett. Das Motto des 20. KKW heißt: „wahr“ - „ver/be-wahr-ung/heiten.“ Jonas Linnebank folgt auf die Bühne und rezitiert das Gedichte eines Freundes: „Was sich reimt, ist gut. Und was sich nicht reimt, ist vermutlich Prosa.“ 
Die Grenzen für den Abend und für die Beiträge sind gezogen: originelle Ideen, ein geübter Umgang mit Sprache, Texte in Prosa. Der KKW ist ja kein Poetry Slam.

DER WETTBEWERB 


Und doch ist es ein Gedicht, das den Auftakt des Abends bildet. Ekaterina Panyutina liest Petri Heil, Petri Dank. Ein Gedicht über gescheiterte Träume und einen Fisch, der davon träumt, an Land zu leben. Die zweite Wettbewerbsteilnehmerin ist Hannah Pyschny mit ihrem Text Kindermund tut Wahrheit kund. Die Geschichte eines Ehebruchs aus der Sicht eines Kindes. Pyschny liest ihren Text selbst. Dies ist kein absolutes Novum beim KKW. Was jedoch neu ist: In diesem Jahr werden alle neun Wettbewerbsbeiträge von ihren Autoren selbst vorgetragen. In den vielen Jahren zuvor hätte dies aus unterschiedlichen Gründen noch nie funktioniert. Zwischendrin berichtet Prof. Dr. Esselborn, wie schwierig es für einen Autor sein kann, den eigenen Text vorzutragen. Als nächster Wettbewerbsteilnehmer tritt Christopher Schlereth auf. Er liest seinen Text Gemeint ist ein Fetisch. Schlereth wird von Prof. Dr. Esselborn anmoderiert, der den Protagonisten der Geschichte mit dem US-Präsidenten Donald Trump vergleicht. Der Fetisch der Geschichte ist die eigene Meinung und das Bedürfnis, diese kundzutun und bestätigt zu wissen. Schlereth schließt den ersten der drei Blöcke des Abends.

Zwischen den Blöcken tritt erneut Khalid Arif Fayat auf. Mit seiner Reibeisenstimme erinnert er zeitweise an Joe Cocker. Bo Franke eröffnet den Mittelteil des Abends mit seiner melancholischen Geschichte Entzogen. Der missglückte Dialog zwischen Mutter und Sohn im Hamburger Exil. 
Nach einem kurzen Exkurs über die bauliche Beschaffenheit der Beamtenstadt Karlsruhe folgt Nils Paffen mit seiner nach eben dieser Stadt benannten Geschichte. Paffens komödiantischer Text stellt die Frage, ob in dieser Stadt wirklich alles so ordentlich ist, wie die Oberfläche vermuten lässt. Der Protagonist hat eine neue Freundin und fährt mit dieser zum Antrittsbesuch in ihre Heimat. Das Verhalten von Mutter und Schwester der neuen Freundin entspricht jedoch so gar nicht dem, was er erwartet hat. 


Charlotte Coch moderiert im Anschluss Sarah Gerlach an und zieht einen Vergleich zu dem berühmten Kinderbuch Hallo Mister Gott, hier spricht Anna des Autors Fynn. Gerlachs rhythmischer Text Abwasser, liebe Anna handelt von der schwierigen Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensplanung. Durch den inneren Monolog und die ständige Wiederholung des Titels im Text, hebt Gerlach sich deutlich von den anderen Teilnehmern ab.

DAS LETZTE DRITTEL 



Nach Gerlachs Text geht es in die Pause. Bei Pizza und Bier fangen die ersten Diskussionen über Favoriten an. Der letzte Text scheidet die Geister. Einige sind begeistert vom Rhythmus des Textes und dem fast Balladenhaften der Wiederholung. Andere lehnen ihn vollkommen ab. Paffens Karlsruhe stößt auf allgemeine Anerkennung aufgrund des Humors, führt jedoch auch zu Verwirrung. Schlereths Text über den Fetisch hat an vielen Ecken Begeisterung geweckt. Nach einem weiteren Auftritt von Fayat geht es weiter.

Jonas Linnebank leitet die erste Geschichte des letzten Blocks mit einem Zitat Nietzsches über die Hoffnung ein. Um Hoffnung geht es auch in Julian Piepers Text Ok, Tschüss. Seine Auseinandersetzung mit Kaffee und Krieg endet mit der Erkenntnis: „ Die Hoffnung stirbt zuletzt – aber sie stirbt.“

Sehr stimmgewaltig, fast schon an ein Hörbuch erinnernd, folgt Sebastian Brinks Kurzgeschichte Familienfrieden. Teils an ein Sittengemälde erinnernd geht es um die Weihnachtsfeiertage mit der Familie bei Oma, im Wandel der Jahre. Seine Sprache ist ähnlich chiffriert, wie die der Gesellschaftsromane des 19. Jahrhunderts. Am Ende wissen wir, dass die jüngste Tante etwas getan hat, was sie zur Persona non grata im Kreis der Familie macht. Was sie tat, erfahren wir jedoch nicht. Mit der Anmerkung, was das Publikum gerade alles im Fernsehen verpasse, moderiert Charlotte Coch den letzten Text des Abends an. Fernsehen ist auch das Thema der Kurzgeschichte Palmers Rechte von Sascha Klein. Der Autor bezeichnet seinen Text als Geschichte einer Unterwerfung. Die Ähnlichkeiten seiner Figuren Palmer und Lachmann zu Markus Lanz und Thomas Gottschalk werden von Zeile zu Zeile deutlicher.


DIE PREISVERLEIHUNG 


Nach Sascha Kleins Vortrag ist es soweit. Die Autoren werden auf die Bühne gebeten und das Publikum muss abstimmen. Per Handzeichen darf jeder zwei Stimmen abgeben. Als eindeutige Favoriten des Saales stechen Gerlachs Geschichte Abwasser, liebe Anna und Schlereths Gemeint ist ein Fetisch hervor. In einer Stichwahl gewinnt Schlereth vor Gerlach den Publikumspreis. Auch Paffen, Brinks und Klein bekommen besonders viele Stimmen vom Publikum. Im Anschluss daran vergibt die Jury ihre Nominierungen. Es gibt vier Prämierungen: Christopher Schlereth, Sarah Gerlach, Sascha Klein und Sebastian Brinks.

Als ich Schlereth später frage, ob er schon länger schreiben würde, verrät er mir, dass er eigentlich in erster Linie Rap- und Hip-Hop-Texte verfasse und Geschichten eher eine Seltenheit seien. Letztes Jahr hätte er schon am Wettbewerb teilgenommen. Er ist überwältigt davon, gewonnen zu haben. Wenn er ein, zwei Menschen mit seiner Geschichte unterhalten könne, würde ihm das reichen. Heute Abend stimmten siebenundzwanzig gut unterhaltene Zuschauer für ihn – die absolute Mehrheit. 
Als Preise für die Gewinner gibt es – passend – verschiedene Buchgutscheine, gestiftet von Der andere Buchladen, den diesjährigen Sponsoren des Wettbewerbs. Der Abend schließt mit Eigenkompositionen von Fayat und der Suche nach dem Motto für den nächsten Kölner Kurzgeschichten Wettbewerb.

IM GESPRÄCH MIT CHARLOTTE COCH

Nach der Preisverleihung sitzen Charlotte Coch und ich noch einen Moment im Asta-Café zusammen und unterhalten uns über den Wettbewerb. Coch ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am IdSL I. Sie hat ihren Master an der Universität zu Köln gemacht und war während dieser Zeit Mitglied der Fachschaft Germanistik, die den Wettbewerb organisiert. Er besteht seit Anfang der 2000er Jahre, damals noch als Teil der Science-Fiction-Nacht des Instituts. 
Circa dreißig Geschichten wurden dieses Jahr eingereicht, erzählt sie uns und, dass man nicht studieren müsse, um teilnehmen zu dürfen. Dieses Semester seien die Einreichungen querbeet gewesen. Aus allen Bereichen hätten Autoren Texte geliefert. Die Finalisten seien jedoch nur Studenten gewesen. Meistens fände der KKW zweimal im Jahr statt – pro Semester also ein Wettbewerb. Die Entscheidung, wer ins Finale käme und wer auf welchem Platz lande, sei dieses Mal nicht einfach gewesen. Es gab Kontroversen, da jeder seinen Liebling unter den Geschichten hatte. Da sie jedoch nur zu dritt in der Jury seien, hätte man sich einigen können. Ihr Jury-Kollege Jonas Linnebank war in früheren Jahren selbst oft Teilnehmer des Wettbewerbs. Linnebank gewann 2014 mit seinem Text die konsequenz fragezeichen den Publikumspreis.


Auf die Frage, wie die Jury auf das aktuelle Thema gekommen sei, schmunzelt sie. In den vorigen Jahren habe man oft sehr konkrete Themen gehabt, wie beispielsweise Freigeist. Diese seien jedoch häufig fehlinterpretiert worden. Daher habe man sich für dieses doch sehr offene Thema entschieden und schon mit dem Design des Plakats auf Wortspiele und Möglichkeiten hinweisen wollen. Die Gestaltung des Plakats ergibt die Wortkombinationen: be-wahr-ung, wahr-heiten, ver-wahr-ung. Das Plakat solle einen dazu anhalten, darüber nachzudenken, was diese Verbindungen für einen bedeuten können. 
Auch im nächsten Semester wird es den Kölner Kurzgeschichten Wettbewerb wieder geben. Die Fachschaft wird ihn erneut organisieren. Über Verstärkung würde sich die Jury freuen. 


Fotos: Claas Lauritzen