Stellwerk Magazin

Rezension Ansichten eines Clowns

Vorwort

Mit Heinrich Böll wurde 1917 in Köln ein Schriftsteller geboren, der die spätere Bundesrepublik durch sein Schreiben maßgeblich prägte. Wie kein Zweiter hat er seinen Zeitgenossen ihre eigenen Erfahrungen greifbar und transparent gemacht, indem er sie fiktional aufbereitete. Köln, seine Heimatstadt, zu der er Zeit seines Lebens ein ambivalentes Verhältnis hatte, feiert nun den 100. Geburtstag des Nobelpreisträgers. Das SCHAUSPIEL KÖLN erinnert an Heinrich Böll mit Thomas Jonigks Bühnenadaption des Romans Ansichten eines Clowns.

Jonigk, der selbst Regie führte, zeigte in der Premiere am 11. Februar 2017 auf eindrucksvolle Weise ein Deutschland, dessen Demokratie gerade den Kinderschuhen entwachsen war, das vom Wirtschaftswunder geprägt war und in dem man sich den Zwängen der kirchlichen Institution zu beugen hatte. Hans Schnier, gespielt von Jörg Ratjen, präsentierte dem Publikum am Samstag erstmalig die Ansichten eines Clowns, in denen abgerechnet wird mit der verlogenen Moral der katholischen Kirche sowie der nur oberflächlich erfolgten Bewältigung der nationalsozialistischen Vergangenheit.

Bölls Roman „Ansichten eines Clowns“ behandelt das Schicksal Hans Schniers: Protestant, Sohn großbürgerlicher Eltern und von Beruf her Clown. Jahrelang hat er mit Marie, einem katholischen Mädchen aus einfachen Verhältnissen, in wilder Ehe zusammengelebt. Als sie ihn verlässt, um sich schließlich doch den Zwängen der katholischen Kirche zu beugen und den für sie vorgesehenen Platz einzunehmen und einen Katholiken zu heiraten, zerbricht der an Kopfschmerzen und Melancholie leidende Clown. Ein durch übermäßigen Alkoholkonsum selbst verschuldeter Unfall führt dazu, dass seine Karriere beendet ist. Von nun an gibt er sich vollends seinem gebrochenen Herzen hin. Zugleich macht ihm die Nachkriegsgesellschaft zu schaffen, in der sich alte Nazis immer noch frei bewegen.

Ab in den Schrank

Den ihm so oft erteilten Ratschlag, sich mit dem Fortgang Maries abzufinden, kann er nicht annehmen und so entwickelt er sich nicht weiter, sondern lebt im ständigen Konflikt mit der Vergangenheit. Er wird von Figuren seines früheren Lebens heimgesucht, mit denen er sich in einem ständigen Zwiegespräch befindet. Nachvollziehbar, aber zugleich auf unangenehm selbstgerechte Art und Weise steht er für seine Meinung ein. Er wettert gegen die bigotten katholischen Amtsträger und Bibelkreis-Mitglieder, die Kulturbranche, in der er nun nicht mehr erfolgreich ist, gegen den Opportunismus der Eltern und im Grunde genommen gegen die gesamte bundesdeutsche Restaurationsgesellschaft. Die Repräsentanten dieser Gesellschaft schickt der Hans Schnier auf der Bühne in regelmäßigen Abständen in den Schrank. Dieser Versuch, sie aus der Gegenwart in die Vergangenheit zu verbannen, scheitert. Deutlich wird dies, wenn sie alle schon kurze Zeit später wieder auf der Bühne stehen, als sei nichts geschehen. Von opportunistischen Anwandlungen ebenfalls nicht gänzlich frei unterlässt es Schnier, sein eigenes Handeln zu hinterfragen. So etwa, wenn er versucht, von seinem Vater eine hohe monatliche Unterstützung zu erhalten.

Scheinidylle

Der Ort auf der Bühne ist ein biedermeierliches Wohnzimmer. Dieses Zimmer symbolisiert einmal mehr die vermeintliche Ordnung und Anständigkeit in den Häusern der Menschen, die Doppelmoral und die über allem stehenden Werte der katholischen Kirche. Es ist die Welt derjenigen, die diesen Werten und Normen unreflektiert folgen – so wie Hans’ Eltern, Maries Ehemann, das Dienstmädchen Anna und der Prälat. Eine Scheinidylle wird aufgezeigt, wenn sie sich mit einem perfekten Lächeln auf dem Sofa wie für eine Fotoaufnahme positionieren. Als plötzlich eine übergroße Mutter Gottes-Figur auftaucht, werden die Vorstellungen dieser Welt noch einmal auf exzellente Weise zum Ausdruck gebracht – die katholische Kirche und die damit einhergehenden Moralvorstellungen stehen über allem. Die Fassade dieser vermeintlich perfekten Welt zeigt jedoch Risse, wenn der Geist von Hans’ Schwester Henriette auftaucht. Henriette wurde kurz vor Kriegsende von der Mutter dazu angehalten, sich als Flakhelferin zu melden und ist dabei – wie so viele –¬ ums Leben gekommen. Nur ihr Bruder nimmt Henriettes Anwesenheit wahr, von allen anderen wird der Deckmantel des Schweigens über ihr Leben sowie ihren viel zu frühen Tod gelegt. Die Auftritte Henriettes sind von besonderer Bedeutung, da sich mit ihrem Tod, den die Mutter mehr oder weniger zu verantworten hat, der Ausgangspunkt für die Entfremdung von Hans zu seinen Eltern findet.

Auf der anderen Seite

Auf einer Art Vorbühne, die tiefer liegt, befindet sich die Welt des Außenseiters Hans Schnier. Hier wird alles offen dargelegt und gar nicht erst der Versuch unternommen, den Schein von Ordnung und Anstand zu bewahren. Das zerwühlte Bett mit schmuddelig anmutender Bettwäsche bringt das wilde Leben fernab von bürgerlichen Moralvorstellungen prägnant zum Ausdruck, das Hans und Marie gelebt haben. In dieser Welt hat das eigene, persönliche Glück der Beiden einen Platz, fernab von den Vorstellungen der Gesellschaft. Im Verlauf der Inszenierung wankt Marie und ist mal in der einen und mal in der anderen Welt zu Hause, um sich schließlich für die – nur auf den ersten Blick – ordentliche und korrekte Welt zu entscheiden.

Eine Art Vorausschau

Interessant ist bei der Inszenierung Jonigks, dass sie keinen jungen Hans Schnier zeigt. Dies verstärkt die Stagnation seines Lebens und seiner Ansichten seit dem Verlust der Geliebten. Auf diese Weise bietet die Bühnenfassung eine Art Vorausschau, die über das Ende von Bölls Roman hinausgeht. Seine Außenseiterrolle wird Schnier nicht mehr los und eine Versöhnung mit der Vergangenheit, die schon in der Gegenwart des Romans nicht gelingen kann, scheint auch in der Zukunft nicht möglich. Auf selbstgerechte Art und Weise proklamiert auch der gealterte Clown die Ungerechtigkeiten des Lebens und der Gesellschaft. Thomas Jonigk gelingt es, den vor mehr als einem halben Jahrhundert veröffentlichten Roman „Ansichten eines Clowns“ von Heinrich Böll auf lebendige Weise für die Bühne zu adaptieren. Die Darsteller ermöglichten dem Publikum einen anschaulichen und unterhaltsamen Blick in die Bundesrepublik der 1960er Jahre. Dabei schaffte es das gesamte Ensemble, den schmalen Balanceakt zwischen unterhaltsam und humorvoll auf der einen und tiefgründig auf der anderen Seite mit Bravour zu meistern. Der Roman und damit einhergehend auch das Stück bringen Ansichten aus dem Deutschland von vor gut über 50 Jahren zum Ausdruck. Am Ende des Abends kann ein Großteil der Zuschauer jedoch wohl nicht umhin, auch sich selbst und das aktuelle Verhältnis zu Deutschland zu hinterfragen.

Foto: David Baltzer (Auf dem Bild sehen Sie: Jörg Rätjen und das Ensemble)

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