Stellwerk Magazin

Ein Einblick hinter die Kulissen „Planet Heimat“

Vorwort

Ein interaktiver Parcours auf dem Gelände von Odonien – das war die Grundidee. Das offene Theaterprojekt „Planet Heimat“ geht dem enggefassten Heimatbegriff auf den Grund. Geflüchtete und Daheimgebliebene arbeiten seit Oktober 2016 gemeinsam an der künstlerischen Darstellung ihrer Vorstellungen und Wünsche von „Heimat“. Das Ergebnis ist bei der Premiere am 12. Mai im Rahmen des Sommerblutfestivals 2017 in Odonien zu sehen. Als Praktikantin des Projekts weiß Alexandra Vavelidou um die Hintergründe des Theaterworkshops und gibt vorab einen Einblick in die Probenarbeit.

„Was ist für dich Heimat?“ Das war die erste Frage mit der Regisseur Gregor Leschig alle Teilnehmer im Theaterworkshop Planet Heimat willkommen geheißen hat. Eine auf den ersten Blick so simple Frage, die bei längeren Überlegungen umso komplexer wird. Dass jeder eine andere Auffassung des Begriffs hat, zeigen allein die unterschiedlichen Antworten: „Heimat ist für mich, wenn ich das Meer sehen kann“, war meine erste Assoziation und ich denke dabei an das Meer hinter dem Haus meiner Großeltern in Griechenland. „Kein Krieg, Frieden und bestimmt Liebe“, sagt Saaid aus Syrien. „Freiheit für die jesidischen Menschen – Freiheit ist meine Heimat“, antwortet Sieno aus dem Irak. Welten treffen hier aufeinander. Meine Welt der ‚Daheimgebliebenen‘, die mit Krieg und dem Terror des IS nur durch die Medien in Kontakt gekommen ist, trifft auf die Welt junger Menschen, die Leid und Flucht am eigenen Leib und durch ihre Familien erfahren haben. Im Heimatchor werden die Antworten aller Teilnehmer festgehalten – das Herzstück der Theaterperformance im Kölner Odonien. Im Laufe der letzten Monate sind während der Improvisationsproben eine Vielzahl von Ideen durch die Teilnehmer entstanden. Gregor Leschig fasst die größten Herausforderungen als Regisseur eines solchen offenen Projekts zusammen:

„Man muss versuchen, den Prozess zu steuern, die Ideen aufzugreifen und auszuarbeiten, sodass sie eine Klarheit und Nachvollziehbarkeit für‘s Publikum bekommen. Reaktionen wie ‚Ach, die netten Flüchtlinge‘, ein Eindruck von Laientheater, sollen nicht entstehen, sondern eine spielerische Qualität, bei der der Zuschauer auch interpretieren kann.“

Kommen wir daher? Oder gehen wir dahin?

Ergeben hat sich so eine Breite an Darstellungsformen, die die Pluralität der Teilnehmer widerspiegelt. Sie kommen aus acht verschiedenen Ländern: Syrien, Iran, Irak, Afghanistan, Ukraine, Spanien, Griechenland und Deutschland. Die einen nähern sich dem Heimatbegriff mit dramatischen Stücken, politischen Reden und Gedichten. Andere verarbeiten ihre Erfahrungen und Erinnerungen mit Komödien, Musik und anderen akustischen Elementen. Eines haben die Szenen jedoch alle gemein: Sie sind aus der Kreativität der Teilnehmer entstanden, aus den Erlebnissen ihrer Familien und Freunde, aus ihren Wünschen und Anliegen für eine Welt ohne Krieg und Ausgrenzung. Den Zuschauer erwarten viele Stationen und interaktive Momente auf dem Gelände von Odonien – eine Reise durch den ‚Planet Heimat‘, zu dem jeder erst Zutritt nach einer Grenzkontrolle erlangt.

Das Projekt vereint Kultur und Gesellschaftsentwicklung – ein sogenanntes „Empowerment“ für die Teilnehmer, so Leschig. Insbesondere für die Zusammenarbeit mit den Geflüchteten ist ihm das wichtig:

„Sie sollen sich hier gestärkt fühlen. Im ganz simplen Sinne: ihre Stimme finden, die sie zu Hause vielleicht nicht nutzen durften. Dass sie das Gefühl kriegen ‚Ich kann hier Sachen machen und reden, ohne dass jemand schräg guckt, ohne dass ich in den Knast wandern muss.’ Dass sie Mut gewinnen, sich zu zeigen und ihre Anliegen nach vorne zu tragen. Und wenn sie vielleicht eines Tages zurück können, sich dort einbringen, um die Zivilgesellschaft aufzubauen mit dem Gedanken ‚Ich kann das. Ich darf das.‘“

Möglichkeit zum Austausch

Die Teilnehmer, ob mit oder ohne Fluchterfahrung, haben in den vergangenen Monaten durch die gemeinsame Arbeit einiges voneinander gelernt. Als Teil des Projekts beobachte ich erstaunliche Fortschritte. Vielfache Verständigungsschwierigkeiten haben uns für kulturelle und sprachliche Eigenheiten sensibilisiert. Orient trifft wortwörtlich auf Okzident. So kommt man zum Beispiel in den Genuss einem Duett zwischen Sabines Gesang von „Unter den Linden“ und Tahers kurdischem Heimatlied zu lauschen. Was der eine auf Deutsch nicht versteht, wird prompt auf vier unterschiedlichen Sprachen durch den Raum diskutiert. Die Verbesserung der Deutschkenntnisse konnte ich von Woche zu Woche miterleben: Ein Ergebnis der Ausgestaltung ihrer künstlerischen Ideen in deutscher Sprache und zudem des simplen Faktums, auch außerhalb der Deutschkurse mit Muttersprachlern sprechen zu können. In ihrer Freizeit in engeren Kontakt mit Deutschen zu kommen, sei sehr schwierig, wurde mir von vielen Geflüchteten mitgeteilt. Eine Tatsache, die mich betrübt, wenn ich diese interessierten und herzlichen Menschen vor mir stehen sehe – und die den langen Weg zeigt, den wir noch zu gehen haben für ein offenes, integratives Deutschland.

Umso schöner ist es dann an einem Projekt wie „Planet Heimat“ teilzuhaben, dass die Möglichkeit zum Austausch gibt – zwischen Geflüchteten und Daheimgebliebenen, zwischen Alt und Jung, zwischen Gleich- und Andersdenkenden. Die zeitintensiven und für die Schauspieler unentgeltlichen Proben fordern viel Ausdauer und Motivation, aber haben das Team zu einer Art Großfamilie zusammengeschweißt. Die Treffen lassen sich inzwischen selbst nach einem langen Probentag kaum auflösen, wenn am Ende noch kurdisch getanzt und gesungen wird, Videos auf Smartphones geschaut oder kleine Lehreinheiten auf Kurdisch, Arabisch oder Griechisch gegeben werden. Auf der Suche nach „Heimat“ ist das Projekt inzwischen selbst zu einem Stück Heimat geworden.

Fotos: Werner Meyer

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