Stellwerk Magazin

Ein Nachbericht zum TheatralFilm-Festival

Vorwort

Die Festivalreihe TheatralFilm, die bereits 2014 das erste Mal in der Studiobühne Köln stattfand, stellt die intermedialen Beziehungen zwischen Theater und Film in den Fokus. An mehreren Tagen werden Filme gezeigt, die thematisch oder ästhetisch theatrale Mittel aufgreifen. Im April fand die dritte Ausgabe der TheatralFilm-Reihe im „Britney“, der Außenspielstätte des Schauspielhaus Köln, am Offenbachplatz statt. Am 8. und 9. April 2017 wurden unter der Leitung der Kuratorin des TheatralFilmfestivals, Hannah Dörr, mehrere Kurz- und Langfilme gezeigt. Zum Programm gehörten Diskussionen und Filme von René Pollesch, Nuran Davis Calis und Veit Helmer sowie ein zweitägiger Workshop zu „Kameras im Kino- und Bühnenraum“ mit Kathrin Krottenthaler.

Dieses Jahr adressierte die dritte Ausgabe von TheatralFilm den großen Komplex Sprache, wobei die zentrale Frage lautete: Was kann der Film im Bezug auf Dialog und Narration vom Theater lernen? Unter der Leitung der Kuratorin des TheatralFilmfestivals, Hannah Dörr, wurden mehrere Kurz- und Langfilme gezeigt, die mit den typisch-naturalistischen Konventionen der Narration im Film brechen und sich so der narrativen Funktion des Dialogs verweigern. Im Anschluss an die Vorführungen fanden Gespräche mit dem Filmemacher Nuran David Calis und dem Chefdramaturgen der Volksbühne Berlin Carl Hegemann statt. Eröffnet wurde die dritte Ausgabe der TheatralFilm-Reihe zudem von keinem Geringeren als dem Berliner Drehbuchautor und Filmregisseur Dietrich Brüggemann.

„Der behauptete Gegensatz von Film und Theater ist eine Illusion.“

Theater und bildende Kunst waren lange Zeit alternativlos; als Kunstformen isoliert. Das, was man im Theater kriegen konnte — die Darstellung von dramatischen Handlungen auf einer Bühne vor versammeltem Publikum — bekam man eben ausschließlich im Theater, das darstellende Spiel hatte in keiner anderen Kunstform eine Plattform. Das Selbstverständnis des Theaters erfuhr durch das neue Medium des Films Ende des 19. Jahrhunderts aber eine Wende, auch wenn der Film zunächst als minderwertige Kunstform angesehen wurde. Erst nachdem die neue Kunstform des Stummfilms sich im Zuge der Etablierung des Tonfilms zum neuen Leitmedium entwickelt, erwacht das Theater und erkennt den Film als ernstzunehmende Konkurrenz an. Brüggemann plädiert für eine Solidarität zwischen Film und Theater: „Der behauptete Gegensatz von Film und Theater ist eine Illusion“, die Verbindung zwischen beiden Kunstformen sei viel stärker, als häufig angenommen werde, sagt Brüggemann, und zitiert in diesem Kontext aus Alain Badious Rhapsodie für das Theater. Theater finde statt, sobald Folgendes gegeben sei: Erstens ein Publikum, welches bei der Aufführung zusammenkommt, zweitens ein physisch anwesender Schauspieler und schließlich eine Überlieferung, beispielsweise ein Text, als dessen Vorstellung die Aufführung bezeichnet werden kann. Dieselben Voraussetzungen erfülle auch das Kino. „Eine gut gespielte Rolle im Film lässt den Schauspieler physisch anwesend wirken“, sagt Brüggemann.

Bad Decisions von René Pollesch

Der 2016 an der Berliner Volksbühne gedrehte Film Bad Decisions von René Pollesch entstand etwa parallel zu den Proben für die Theaterinszenierung I Love You But I’ve Chosen Entdramatisierung statt. Quasi als Freizeitproduktion, während das eigentliche Theaterstück entstand, spielt diese ausschließlich auf der Bühne. Der Film selbst besteht aus nicht viel mehr als den verwirrenden Gesprächen zwischen einer rauchenden und trinkenden Gruppe junger Leute. „Was Pollesch in diesem Film eigentlich zeigt, ist das Abfilmen einer Theatersituation, es wird eine reale Situation — eben Theaterspielen — abgefilmt, und in dem Sinne ist Bad Decisions eher Dokumentarfilm als Spielfilm“, so Carl Hegemann, Chefdramaturg der Berliner Volksbühne. Der Großteil der Dialoge im Film wurde von den Schauspielern improvisiert — eher untypisch im normalerweise strikt kontrollierten Medium des Films. Sprache wird hier nicht etwa als ein die Erzählung stützendes Element eingesetzt und bietet also zunächst keinerlei Orientierung.

Bad Decisions | René Pollesch

Filmstill: Bad Decisions - Volksbühne Berlin/William Minke

Woyzeck von Nuran David Calis

Wieder anders wird das Konzept der Sprache im Film Woyzeck von Nuran David Calais behandelt. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Fragment-Drama von Georg Büchner aus dem Jahr 1879, welches der Regisseur 2013 im Auftrag der Fernsehsender Arte und 3sat in eine Film-Dramaturgie umschrieb und als 90-minütigen Fernsehfilm inszenierte. Die moderne Adaption des Stücks spielt im heutigen Berlin-Wedding am Rande einer Gesellschaft, die sich durch Anfeindungen und Überfremdung auszeichnen und auf diese Weise auch eine Art Milieustudie darstellt. Trotzdem kennzeichnet die Dialoge im Film vor allem eine sehr literarisierte Sprache: Nuran David Calis vermischt die alltäglich-realistischen Dialoge mit den Original-Texten von Büchner, ohne dass der Zuschauer dadurch irritiert wird. Vor allem Woyzeck scheint sich durch diese, in seinem Fall eher unzeitgemäße, literarische Sprache eine eigene Welt zu schaffen, in der es dem Zuschauer aber sehr leicht fällt, sich mit dem Protagonisten zu identifizieren. Dieses Erschaffen einer künstlichen Welt ist es auch, was Calis am Filmemachen fasziniert: „Vor allem das Technische am Film macht mir Spaß, dieses Sich-eine-Welt-schaffen ist spannend. Im Theater ist alles viel offener.“

Woyzeck | Nuran David Calis

Filmstill: Woyzeck - Beta Film GmbH

Theater und Film im Dialog

Theater oder Film? Während die Kurzfilme von Veit Helmer fast gänzlich ohne Dialoge erzählen, unterminieren die wirren Sprechakte in René Polleschs Bad Decisions die narrative Funktion des Dialogs und scheinen so, die filmische Erzählung eher zu sprengen. Hervorgehoben wird das Auftreten der Schauspieler, Polleschs Werk ist eben letztendlich ein abgefilmtes Theaterstück. Währenddessen bietet der Dialog in Nuran David Calis' Woyzeck einen stabilisierenden Anhaltspunkt und die Möglichkeit für den Zuschauer, sich mit den Figuren zu identifizieren. Durch die unkonventionelle Verwendung der Dialoge in all diesen Filmen wird die einzigartige, für das Kino charakteristische Bildebene wieder hervorgehoben. Denn diese dient nicht nur dazu, das Gesprochene zu illustrieren, sondern erzählt eine ganz eigene Geschichte.