Stellwerk Magazin

Nachbericht FAR OFF 2018

Vorwort

Der Ebertplatz in der Kölner Nordstadt hat seit Langem einen schlechten Ruf. 2017 tauchte er immer wieder in den Schlagzeilen als Schauplatz von Drogengeschäften und Gewaltdelikten auf, nach einer Messerstecherei im Oktober 2017 wurde ein 22-jähriger Mann tödlich verletzt. In Google-Rezensionen wird er von Besuchern als trostlos, hässlich, verdreckt und gefährlich, gar als Schandfleck und als „No-Go Area“ bezeichnet, die man nach Einbruch der Dunkelheit besser meiden sollte. Die verwinkelten Passagen sind schlecht ausgeleuchtet und die Rolltreppen sowie der große Brunnen im Mittelpunkt des Platzes stehen seit Jahren schon still, was nicht gerade zu einem einladenden Ambiente beiträgt. Diesem Image soll nun entgegengesteuert werden: In den Passagen wurden in den letzten Jahren mehrere Kunstgalerien eröffnet, um den Ebertplatz kulturell aufzuwerten und den Anwohnern und Besuchern wieder einen positiven Zugang zu dem Platz zu ermöglichen. Zu dieser Zielsetzung passte auch die Entscheidung, dieses Jahr das Kunstfestival FAR OFF auf dem Ebertplatz zu veranstalten.

Die FAR OFF versteht sich als ein junges Kunstfestival, das Künstlern, Kuratoren und Galerien inmitten der Kunsthochsaison Mitte April in Köln eine Plattform bieten will, ihre Werke einem internationalen Publikum vorzustellen. Das Programm wird von den Begründern der FAR OFF, Jonathan Haehn und Maria Wildeis, und den Leitern der teilnehmenden Galerien, wie z. B. Alisa Berger von der „Tiefgarage“ und Meryem Erkus von GOLD+BETON gemeinsam organisiert. Dabei werden nicht nur verschiedene Ausstellungen zur Medien- und Gegenwartskunst präsentiert, sondern auch Installationen, Performances, Konzerte, DJs und kulinarische Angebote. Seit 2016 hat die FAR OFF mit über 40 Galerien aus ganz Europa zusammengearbeitet, dabei Arbeiten von über 60 internationalen und lokalen Künstlern präsentiert und etwa 6000 Besucher gezählt. Das Festival setzt sich mit der Frage auseinander, wie zeitgenössische Kunst angemessen präsentiert werden kann, und zielt laut Hauptkurator Haehn darauf ab, nicht das übliche Käuferklientel anzusprechen. Es geht eher um die Vernetzung von jungen, alternativen Produzenten und Konsumenten in der Kunstszene, und auch Menschen, die wenig Kaufkraft haben, werden so zur Teilhabe ermutigt. Die Kunst soll nicht gezwungen sein, sich bestimmten Marktforderungen anzupassen; stattdessen soll umgekehrt ein Markt geschaffen werden, der eine angemessene Präsentation für die Werke ermöglicht. Dadurch möchte sich die FAR OFF von vielen größeren und stärker marktorientierten Messen abheben.

Eindrücke

Am 21. April, dem letzten Veranstaltungstag der FAR OFF, erinnern die Passagen bei dem Event an einen Flohmarkt: Es herrscht ein reges Treiben, einige kleine Stände mit Teppichen, Farbtuben, Flyern und Präsentationen laden zum Verweilen ein. An einigen Stationen wird aktiv gearbeitet und geschraubt, sodass man das Entstehen von Kunst live miterleben kann. Auf dem Platz zwischen den einzelnen Galerien ist eine liebevoll eingerichtete Tee- und Getränkebar aufgebaut. Der Großteil der Besucher setzt sich aus jungen, alternativen Kunstinteressierten zusammen, unter die sich allerdings auch Anwohner und ältere Betrachter mischen, die möglicherweise nach der ART COLOGNE noch weitere Kunst-Hotspots in Köln erkunden wollen. Vor dem Treppenausgang zur Sudermanstraße befindet sich ein dicker schwarzer Vorhang, hinter dem clever versteckt eine Leinwand aufgebaut wurde. Das Publikum nimmt auf einer Treppe und auf Stühlen zu beiden Seiten der Leinwand Platz, die Dunkelheit schafft eine Kinoatmosphäre. Es läuft „Studio Hallo“, eine performative Online-TV-Serie, die live vom City Center Studio Köln ausgestrahlt wird. Die Hauptdarsteller, Ale Bachlechner und Felix Zilles-Perels, sind zugleich auch die Schöpfer des ungewöhnlichen Formats. Die Serie folgt keiner linearen Handlung, sondern besteht eher aus kurzen Fragmenten, die teilweise Spielszenen zeigen, teilweise Interviews mit zufälligen Personen auf der Straße, Außenaufnahmen der Stadt oder Ausschnitte, die aus einem experimentellen Kunstfilm stammen könnten. Dadurch entsteht ein Verfremdungseffekt, in dem Realitätsnähe und Fiktion nicht mehr klar voneinander zu unterscheiden sind. Thematisch befassen sich die Episoden mit Kommunikation, Missverständnissen, Einsamkeit, der Überforderung des Menschen in der modernen Welt, Versagensängsten, dem Bedürfnis nach einem Verstandenwerden, und wie weit sich Individuen in einer Gesellschaft gegenseitig überhaupt verstehen können – oder eben auch nicht. Auch die Rolle und die Möglichkeiten der Medien werden mit surrealem Humor reflektiert.

Eine Weile lang passiert im Live-Stream nichts, man folgt den beiden Hauptdarstellern durch eine wackelige Handykamera durch eine abendliche Stadt. Nach zwanzig Minuten erkennt man plötzlich die Umrisse des Ebertplatzes, einige Zuschauer beginnen zu johlen. Dann schwenkt die Kamera auf die Stände und die Galerien in den Passagen, und man kann auf der Leinwand den Ort beobachten, über den man selbst noch vor zehn Minuten gelaufen ist. Die Webserie wird zu einer spannenden Realzeitübertragung: Kommen sie jetzt gleich um die Ecke, oder nicht? Dann lichtet sich der Vorhang, und tatsächlich: Die beiden Hauptdarsteller, noch in ihren Serienoutfits, werden unter Applaus und Gelächter begrüßt, als sie das improvisierte Kino betreten. Die Kamerafrau folgt ihnen auf dem Fuße und richtet die Kamera für die letzte Einstellung auf das überraschte Publikum, dann wird die Leinwand schwarz. So wurde auf faszinierende Weise das Publikum selbst zum Darsteller, und die Darsteller zu Publikum: Eine spannende Demonstration der Vermischung von Realität und Fiktion und intermedialen Wirkweisen.

Ein weiterer Blickfang des Festivals ist "Pneus", ein aufblasbarer Raum, der nur aus einer transparenten Plane besteht und sich durch Überdruck im Innenraum hält. Dieser wurde extra vom Veranstalter Jonathan Haehn für dieses Event entworfen und wird von ihm als atmende Architektur bezeichnet – ein Raum, der innerhalb von Minuten errichtet werden und genauso schnell wieder in sich zusammenfallen kann und so die Interaktion zwischen Mensch und Raum direkt sicht- und fühlbar werden lässt. Man betritt Pneus durch eine weiße, abgedichtete Schranke und fühlt sich dabei, als würde man in eine Kontaminationsdusche einsteigen. Die karge, surreale Ausstrahlung des Raums wird von der laufenden Performance im Inneren noch unterstrichen: Eine DJane am Mischpult wird nur von einer Bassgitarre unterstützt, zusammen erzeugen sie industrielle, maschinell abgehackte Sounds. Es ist weniger ein Konzert als ein minimalistisches Klangexperiment, das die Zuschauer fesselt. Direkt dahinter stellt die Galerie GOLD+BETON Arbeiten von Finn Wagner aus, der hauptsächlich Installationen oder Skulpturen produziert, die sich mit Konsumkultur auseinandersetzen und die Möglichkeiten der reflexiven Inszenierung von Alltagsobjekten ausloten. So befindet sich auf der einen Seite exponiert eine einzelne in Plastik gehüllte Evian-Flasche, auf der anderen Seite ein aus Kunststoff nachgebauter kleiner Ferrari-Flügel.

Man entdeckt auch kleine Juwelen wie einen Tisch mit Flyern, die LOVE PRO TOTO bewerben, ein anrührendes, internationales Kunstprojekt mit dem ambitionierten Ziel, eine Welt voller Liebe zu erschaffen. Dafür sollen alle Menschen in einem kleinen Video in ihrer Muttersprache „Ich liebe dich“ sagen. Wenn alle das getan haben, ist der Traum erfüllt und das Projekt vollendet. Der Schöpfer Volker Hildebrandt bezeichnet das Projekt als globale Sozialskulptur; jeder, der teilnimmt, ist auch ein Künstler. Damit erinnert die Idee auch an den in dieser Kunstsaison hochpräsenten Joseph Beuys und dessen „Soziale Plastik“, die alle Menschen zum kreativen Mitgestalten der Welt aufforderte.

DER EBERTPLATZ IM AUFSCHWUNG

Als solch eine "Soziale Plastik" könnte man auch den Ebertplatz bezeichnen: Die FAR OFF zeigt, welche Möglichkeiten der Ort bietet. Durch Kunstfestivals und kulturelle Angebote kann der Ebertplatz durchaus belebt werden und gegen sein schlechtes Image ankämpfen. Die Atmosphäre an diesem Wochenende ist weniger bedrohlich, sondern eher vielversprechend: Die Besucher sind entspannt, kreativ, schaffensfreudig. Junge, kunstinteressierte Menschen tun dem Ebertplatz gut. Mit weiteren Programmen wie der FAR OFF und der Arbeit der ansässigen Galerien könnte die Gegend ein spannender Ort für Kulturrezeption werden; erste Spuren davon lassen sich an diesem Abend bereits feststellen. Der vielbeschimpfte Ebertplatz ist wohl doch eher ein Kölner Veedel im Kommen.

Headerbild: © Jonathan Haehn | Pneus, FAR OFF 2018.

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