Stellwerk Magazin

Miniaturen des Alltags

Vorwort

„Miniaturen des Alltags” ist der Titel einer STELLWERK-Serie, die eine Reihe von Texten zu alltäglichen Beobachtungen vereint, die im Rahmen eines schreibpraktischen Seminars am Institut für deutsche Sprache und Literatur I an der Universität zu Köln entstanden sind.

#1 Ist das überhaupt möglich? Kann ein normaler Mensch so schnell seinen Einkauf ein-, den Geldbeutel auspacken und gleichzeitig auf das Fehlen einer Payback-Karte verweisen? Mit dem Piepen des Kassenscanners steigert sich mein Puls. Die Kassiererin scannt so schnell, ihre Hände verwischen zu undeutlichen Schemen. Gebannt von diesem perfekt austarierten Schauspiel von Effizienz bleibe ich wie angewurzelt stehen - bis mir auf einmal der Ernst der Lage bewusst wird: Auf der einen Seite staut sich mein Einkauf, auf der anderen eine endlose Schlange an der einzigen offenen Kasse des Supermarktes. Schweiß bildet sich auf meiner Stirn, meine Finger bleiben auf dem Weg zum Geldbeutel in meiner Hosentasche hängen. „Mit Karte bitte“, kann ich gerade noch stammeln. Unter Entsendung letzter Adrenalinreserven schaffe ich es, mich an meine PIN zu erinnern. Ich klaube alles in meine Tasche, verlasse das Geschäft und schaue nicht mehr zurück. Mein Herzschlag normalisiert sich und ich denke sehnsüchtig an die beschauliche Mammut-Jagd im Neandertal zurück.

#2 Der ältere Herr mit grauem Mantel und Hut läuft langsam die Bahnsteigtreppe hinauf. „Aha“, sagt er und bleibt vor der Anzeige stehen. 15 Minuten Verspätung. „Typisch!“ Der Ausdruck seiner Augen wechselt zwischen Ärger und kaum verhohlener Freude. Anstatt gehetzt auf seine Uhr zu blicken, lässt der Mann seinen Blick langsam über den Bahnsteig schweifen. Ein anderer Mann lässt sich auf den Blickkontakt ein. Sofort schlägt der ältere Herr zu: „Bahnfahren in Deutschland, was?“, sagt er und blickt den anderen an. „Das letzte Abenteuer, oder?“ Er lächelt.

#3 „Achtung, dieses Fahrzeug verfügt über eine schnell wirkende Bremse“, kann man in den Kölner Bussen lesen. Diese Bremse hat die Macht, den stärksten Typen in einer Sekunde von den Beinen zu holen. Wegen ihr laufen die Menschen im Bus wie Seemänner auf Landgang. Ich persönlich muss mir keine Sorgen darüber machen. Wenn ich morgens den Bus nehme, ist er so voll, dass die eingepferchte Menschenmasse beim Bremsvorgang einfach nur träge hin und herwankt - umfallen unmöglich. Vor allem Schulkinder bilden die Füllung des Vehikels. Ich habe Glück, an meiner Station ist die maximale Füllmenge meistens noch nicht erreicht, ich kann mich noch hineinquetschen. Ein paar Stationen weiter spielen sich dann regelrechte Dramen ab: Schwer berucksackte Kinder versuchen, einen Platz an Bord zu ergattern. Aber hier geht kein Schiff unter, sie haben keine Chance gegen die Besatzung. Für sie bleibt nur das Warten auf das nächste Boot – das bestimmt leerer sein wird.