Stellwerk Magazin

Poetica 5 Noch einen Kurzen

Vorwort

Veranstaltet wird die Poetica 5 vom Internationalen Kolleg Morphomata und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Eingeladen sind Mircea Cărtărescu aus Rumänien, Oswald Egger aus Deutschland, Christian Kracht aus der Schweiz, Mara Lee aus Schweden, Agi Mishol aus Israel, Lebogang Mashile aus Südafrika, Marion Poschmann aus Deutschland und Jo Shapcott aus England.

© Klaus Fritsche | v.l.n.r.: Günter Blamberger, Marta Dopieralski, Aris Fioretos

Zum fünften Mal findet in der kommenden Woche das Festival für Weltliteratur Poetica statt, diesmal ganz dem Rausch gewidmet. Der schwedische Autor Aris Fioretos hat acht Autoren eingeladen, die sich über die Woche und verschiedene Orte der Stadt hinweg auf ihre je eigene Weise dem Thema ›Rausch. States of Euphoria‹ widmen. Gesteigerte Geisteszustände werden in öffentlichen Diskussionen, Lesungen und schließlich einer szenischen Installation im Schauspiel Köln erörtert und verortet.

Welche Höhe sollte sie haben, die Theke? Muss sie sich doch am prosaischen Durchschnittsmenschen messen, der an ihr rituelle Grenzüberschreitung sucht. Vielleicht, so ein Ausweg, messe man bei allen Gästen die Höhe bis zum Bauchnabel, ermittle daraus den Durchschnittswert und addiere noch 3 cm hinzu. Wäre dies die ideale Höhe, um einladend und zugleich eine Barriere zu sein, über die man schaut, um immer hinter ihr zu bleiben? Ihr Gerüst löst die ehrwürdige Warteschlange in die Horizontale auf; hier drängt sich Fremd an Fremd jegliche Abstandsregeln verweigernd, kein Anstand beim Anstehen; bis das Maß zum Überlaufen kommt. Die Wartezeit auf das nächste Glas ist meistens das Intervall, in dem sich der Rausch gemächlich ausbreitet. So ist er am Ende nichts als ein Sehnsuchtsort zwischen dem, was wir wissen: dem nüchternen Davor und dem nüchternen Danach. An das Tosen vor der Theke grenzt räumlich das sakrale Dahinter, des Wirtes unpassierbares Herrschaftsgebiet. An dieser Grenze rücken Sie zusammen, um zu ent-rücken, heben einen, um abzuheben oder nehmen einen Shot, um sich abzuschießen. Jegliche Metaphorik bedient sich der Bewegung, schweift in alle Richtungen aus. Allein der Hocker ist Statik in der Ekstase, als Monument der Haltlosigkeit. Ganz ohne Lehne bedeutet seine Höhe stets die Tiefe des möglichen Sturzes. Kann dann aber der Rausch aufgeschrieben werden? Gibt es einen Taumel, in dem Texte sich inmitten des Schreibens oder Lesens verloren geben? Die Grenzüberschreitung für alle, die weder selbstermächtigtem Wirt noch Öffnungszeiten gehorcht. Kann man sich den Textrausch zu jeder Zeit holen – aber an welcher Theke stehen, hocken, kauern und trinken wir dann? In der Lektüre zerbarsten ganze Welt- und Wertordnungen; gelegte Feuer können sich nicht zu Träumen rückverwandeln. Gelesenes weicht auch am nächsten Morgen nicht aus dem Blut und die Lider schmerzen von Ansichten der immer wiederkehrenden Apokalypse. Gibt es ein Danach? Zwischen Levitas und Gravitas gefangen kommt man aus dem Taumeln womöglich nicht mehr heraus. Bleiben Sie noch auf einen Kurzen?

[Auszug aus der Publikation zur Poetica 5 ›Rausch. States of Euphoria.‹ Aris Fioretos, Günter Blamberger, Marta Dopieralski (Hg.). konkursbuch Verlag, 2018.]

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