Stellwerk Magazin

Poetica 5 Oswald Egger

Vorwort

Die Poetica 5, die unter dem diesjährigen Motto “Rausch” steht, findet vom 21. bis zum 26. Januar 2019 an verschiedenen Orten in Köln statt. Acht Autorinnen und Autoren aus aller Welt sind eingeladen, um sich dem Thema anzunähern, über das rauschhafte Potential von Literatur oder Literatur als Rausch zu diskutieren. Einer von ihnen ist der Avantgarde-Dichter Oswald Egger.

„Ich singe, also bin ich, singe ich.“ 1Oswald Egger: Val di Non. Berlin: Suhrkamp 2017

„Sehe ich den Sinn?“, so beginnt der Text Oswald Eggers zum Thema Rausch, den er eigens für die Poetica 5 verfasst hat. Was dann folgt, kann als rauschhaftes, berauschtes, rauschendes Sinnesprotokoll beschrieben werden. Den Sinn hinter den Dingen wahrzunehmen ist die Mission, zu der Egger angetreten zu sein scheint. Doch dafür müssen zuerst das Ding an sich und dessen Wahrnehmung dekonstruiert werden.

„Sehe ich den Sinn?“ Risse in der Iris überziehen das Sehnetz mit verhäkelndem Gestrick aus saumlos gemaschten Glänzlinien wie ein Flächenblitz ausgestanzter Unlinien: Sondern Ebenbilder sind zu sehen, wie fast unsichtbar kleine Schemen, Bilder und Gestalten, die vor sich in Luft aufzugehen wissen, und binnenhaft zerzausten; jedoch nicht abbildlich sich-um-sich, aufmessend, einwägend; kaum in Spuren eines Spuks, sondern als glasgratartig wächsernes Gebildegewimmel von gleich und gleich ungleichmöglichen Figuren und Konturen in zusehends verschwindenderer, selbstverwischt infrafotografischer Schraffuren-Konfiguration: […].“ 2Oswald Egger: Text zur Poetica 5, 2019

„Gebildegewimmel“ wäre eine passende Beschreibung für die Werke von Oswald Egger. Zumindest in diesem experimentellen Text bildet die Frage „Sehe ich den Sinn?“ den einzigen Satz, der grammatikalisch korrekt ist. Programmatisch ist er vorangestellt. Das nachfolgende Wortkonvolut ist überfordernd, so wie die Weltwahrnehmung, die nicht nur auf das lyrische Ich, sondern auch auf den Leser einprasselt.

Oswald Egger erschafft fremdartige, aber vertraut klingende Sprachwelten

Der Text stellt die Frage, ob der Sinn, wie der Rausch, Selbstzweck ist und sich Sinnsuche hier ad absurdum führen lässt. Wie kann Sinn gesehen werden, wenn es keinen gibt, zumindest nicht im Rausch, indem das Ich sich in seiner eigenen Auflösung erlebt? Wie kann das körperliche Erleben in Worte gefasst werden, wenn nicht gewusst wird, was man gerade im und am eigenen Körper erfährt? Für oder gerade in diesem Zustand erfindet Oswald Egger eine eigene Sprache. Eine Sprache, die undurchdringlich scheint, sich stetig verändert, lebt. Er erschafft fremdartige, aber dennoch vertraut klingende Sprachwelten. Wie der Rausch also, kann oder muss Eggers Text als Selbstzweck erfahren werden. Der Text wird Sinn an sich. Grenzen zwischen dem eigenen Denken, dem Körper und der Umwelt werden durchlässig, werden sogar aufgelöst. Grenzerweiternd und radikal, so liest sich die Lyrik und experimentelle Prosa Eggers.

Egger als Sprach-Schamane

Der 1963 in Südtirol geborene Schriftsteller, der in einem Beitrag der 3Sat Kulturzeit als Sprach-Schamane bezeichnet wurde, lebt zurzeit auf der ehemaligen Raketenstation Hombroich, wo er als „poet-in-residence“ kooperativ mit anderen Künstlern zusammenarbeiten kann. Außerdem hat er dort die Nachfolge von Thomas Kling als Gestalter des Literaturprogramms angetreten. Egger arbeitet mit Wortneuschöpfungen, Klang-Konstruktionen und Sprach-Arrangements, die kunstvoll montiert werden. Wie Egger in seinem 2017 erschienen Werk „Val di non“ eindrucksvoll vorführt, beschreibt er Landschaften und Sehnsuchtsräume nicht einfach, indem er sie sprachlich abbildet. Nein, vielmehr erforscht Egger sie. Er durchwandert poetisch jeden Ort und lässt seine Lyrik nicht zu bloßer Beschreibung, sondern zu Erfahrung werden. Jedes Gedicht muss die Sprache des jeweiligen Ortes und damit das Dichten selbst neu erfinden. Deshalb wirken seine Texte auf den ersten Blick so undurchdringlich. Sie verweigern sich einem normalen Sprachgebrauch, lassen sich in keine Form pressen, entziehen sich. Trotzdem oder gerade deshalb sind sie gleichzeitig anziehend und verlockend wie auch geheimnisvoll, und bieten, wenn man sich ihnen öffnet, einen Erkenntnisgewinn, ohne dass jedes Wort verstanden werden muss. Eggers Sprach-Arrangements vermitteln sich über ihren Klang, ihren Rhythmus, ihr Gefühl. Sie sind lebendig, sie atmen wie Korallen. Oswald Egger ist ein Dichter der zeitgenössischen Avantgarde, der sich durch seine Grenzen überschreitende sprachliche Radikalität auszeichnet, die sich den ästhetischen Normen der Dicht-Kunst zu widersetzen scheint. Er schreibt, also ist er, schreibt er.

„Orte der Sehnsucht“ nennt sich die Veranstaltung, bei der Oswald Egger auf die Schriftstellerin und Lyrikerin Marion Poschmann treffen wird. Beide Autoren lesen aus ihren Werken und werden sich gemeinsam mit dem Kurator der Poetica 5 Aris Fioretos und der Literaturwissenschaftlerin Barbara Naumann der Poesie als Ort und den (Sehnsuchts-)Orten in ihrer Literatur widmen.

„Orte der Sehnsucht“ – Lesungen und Gespräche mit Oswald Egger und Marion Poschmann. Mittwoch, den 23. Januar 2019, ab 19.30 Uhr im Literaturhaus Köln.

Foto: © (Oswald Egger)

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