Stellwerk Magazin

POETICA 5 Im Gespräch mit Christian Kracht

Vorwort

Im Rahmen der Poetica 5 war Christian Kracht jetzt zu Gast an der Universität zu Köln. Hier unterhielt er sich mit dem schwedischen Schriftsteller und Kurator des Literaturfestivals Aris Fioretos über seine Romane und das Rauschhafte in seinen Werken.

© Silviu Guiman

Nach der Auftaktveranstaltung der Poetica 5 am Montagabend war es der schweizerische Schriftsteller Christian Kracht, der am Dienstag zum ersten Autorengespräch ins Hauptgebäude der Universität geladen war. Das fast eineinhalbstündige Gespräch im vollbesetzten Hörsaal nutze Kracht vor allem dazu, einige Passagen aus seinem jüngsten Roman Die Toten (2016) vorzutragen: Die Romanhandlung spielt in Los Angeles, Tokio und Berlin der dreißiger Jahre und wirft die Frage auf, inwiefern Technik und Kunst interagieren – am Beispiel der Filmindustrie. Kracht selbst sei eigenen Angaben zufolge selbst ein gescheiterter Filmregisseur: „Ich habe mich damals an einigen Filmen versucht, hatte aber einfach kein Talent dafür.“ Stattdessen heiratete er Frauke Finsterwalder, eine Regisseurin, die selbst wiederum eigentlich Schriftstellerin werden wollte. „So kam es dazu, dass wir denjenigen geheiratet haben, der wir eigentlich gerne selbst sein wollten. Das, so finde ich, ist eine schöne Begebenheit.“

Zusätzlich las Kracht aus einem seiner älteren Romane vor: Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten (2008) handelt von einer Dystopie, eine Geschichte von der Endzeit aller Zivilisation, „die aber ebenso gut jetzt spielen könnte“, so Kracht. Seine Protagonisten, sagt er, „haben vor allem eines gemeinsam: Sie sind abscheuliche Gestalten. Sie machen abscheuliche Dinge. Und weil sie so sind, weil sie abscheuliche Menschen sind, passieren ihnen auch abscheuliche Dinge.“ Die Hauptfiguren sind tatsächlich alle keine großen Sympathieträger. Wer Krachts Charaktere kennt, wird außerdem noch eine zweite, ganz andere Gemeinsamkeit feststellen können: Sie alle durchleben Grenzerfahrungen; erfahren gewissermaßen eine Form von Entgrenzung – sei es Rausch durch Bewusstseinserweiterung mittels Alkohol und Drogen, die beispielsweise den namenlosen Protagonisten aus Faserland (1995) temporär aus seinem Trübsinn in eine Euphorie versetzen, oder mittels Selbstkasteiung, wie sie der ebenfalls namenlose Akteur in Krachts Roman 1979 (2001) erlebt. Bezeichnenderweise stirbt dessen Gefährte nach einem Drogenexzess. Auch August Engelhardt aus Imperium (2012) versetzt sich in einen rauschähnlichen Zustand, indem er sich nur von „Licht und Kokosnüssen ernährt.“ Durch diese offensichtlich nicht gerade gesunde Diät verliert er den Verstand und geht letztlich zugrunde.

Trotz der Rauschzustände – oder gerade deswegen – steuert das Leben der Protagonisten auf einen Abgrund zu, der die jeweiligen Figuren zerstört. Kracht selbst hielt sich im Gespräch mit Aris Fioretos auf die Frage nach eigenen Rauscherfahrungen zurück. Er verarbeite alles Mögliche – Erlebnisse, Gemütszustände und Gedanken – vor allem im Traum: „Da passiert unheimlich viel mit mir.“

Am selben Abend war Kracht außerdem zu Gast in der Zentralbibliothek der Stadtbibliothek Köln, wo er auf Aris Fioretos und Mircea Cărtărescu traf.

Fotos: © Silviu Guiman