Stellwerk Magazin

POETICA 5 Eine Gesprächsrunde zum Rausch

Vorwort

Es ist Donnerstag, 14:00, Tag 4 der Poetica 5 und auf der Bühne hat sich mit Kurator Aris Fioretos, den Autoren Lebogang Mashile, Mircea Cărtărescu, Oswald Egger, Mara Lee und Jo Shapcott sowie dem Literatur- und Kulturwissenschaftler Günter Blamberger fast das gesamte Line-Up des diesjährigen Literaturfestivals versammelt. Außerdem anwesend: Die deutsche Literaturwissenschaftlerin Barbara Naumann, die die Diskussion mit einem Impulsreferat unter dem Titel „Auswertung der Flugdaten“ eröffnete.

Thema der diesjährigen Poetica ist der Rausch. Dieser sei notwendig, um die harte Arbeit des Schreibens hinter sich und die Gedanken einfach strömen zu lassen, so Barbara Naumann einleitend. Beispielhaft nannte sie Germaine de Staël, die davon schreibt, durch Konversation in einen Rauschzustand zu gelangen, den andere durch den Konsum von Musik oder starkem Alkohol erfahren. Auch Nietzsche kam zu Wort, der, so Naumann, zwar weniger Interesse an der ausgiebigen Konversation mit seinen Mitmenschen hatte, im Rauschzustand aber eine „physiologische Grundvoraussetzung“ sieht, damit es zu Kunst kommen kann. Das dritte Beispiel war Tomas Tranströmer, der den Rausch als einen Zustand beschreibt, in dem man jegliche Reflektion und Selbstreflektion hinter sich lassen kann. Kurze Erwähnung fanden unter anderem auch Freuds Kokain-, Hemingways Whiskey- oder auch De Quincys Opiumkonsum. Es gibt vielerlei Möglichkeiten, einen Rauschzustand zu erreichen, die Gründe und Folgen bleiben nach Naumann aber die gleichen.

Inspiration als Voraussetzung für Kunst

Die Frage nach der Ursache für Inspiration ist eines der zentralen Themen der anschließenden Gesprächsrunde. Mircea Cărtărescu gab an, ohne Inspiration nicht einmal über das Schreiben nachzudenken. Er habe keine Rituale. Für Jo Shapcott und Mara Lee stellen Rituale hingegen eine wichtige Inspirationsquelle dar. Für Lee ist Inspiration ebenso wie für die eingangs erwähnte Germaine de Staël an Konversation und Interaktion mit ihren Mitmenschen geknüpft. Lee verweist dafür auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „Inspiration“: Wirkung auf eine andere Person zu haben. Inspirierte Zustände scheinen also durch Rituale bewusst herbeigeführt werden zu können.

Rausch durch Drogenkonsum

So einig sich die anwesenden Autoren darin waren, dass ein gewisser Rauschzustand notwendig sei, um Kunst zu erschaffen, so sehr unterscheiden sie sich in ihren Methoden, diesen Zustand zu erreichen. Cărtărescu unterstellte den Gästen und dem Publikum prompt eine gewisse Neugier und ein Interesse daran, mehr über einen möglichen Drogenkonsum der Autoren zu erfahren. Er beschrieb seine Erfahrungen mit Autoren, die Alkohol zur Stimulation nutzen und ebenso mit solchen, die durch andere Drogen inspiriert werden. Genauso gäbe es allerdings auch Kollegen, die nichts dergleichen brauchen, er selbst mit eingeschlossen. Sei doch sein durch tragische Erlebnisse verletzter Verstand auch ohne äußere Einflüsse pausenlos stimuliert und somit zu Genialem fähig. Lee offenbarte in dem Zusammenhang, sie wäre ein „Dopamin-Junkie“ und Lebogang Mashile gab zu, dass sie nach vielen Dingen süchtig sei, diese aber meide, was ihr Angst mache.

Kultur als Stimulation, Kapitalismus als Kunstunterdrücker

Einen weiteren Aspekt der Stimulation des Geistes beschrieb Lebogang Mashile. Die südafrikanische Kultur mit ihren Traditionen stelle für sie als Lyrikerin eine überaus wichtige Inspirationsquelle dar. Ihr Heimatland gebe ihr durch Tanz und Musik die Möglichkeit, das Leben aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. Gerade die spiritualistischen Traditionen, wie etwa der Schamansimus, seien wieder auf dem Vormarsch und erführen eine neue Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Den Kapitalismus verurteilte Mashile als Unterdrücker von Kunst und Künstlern, da er den Menschen ein Wissen jenseits wirtschaftlichen Denkens verbiete. Dementsprechend würden gerade bewusstseinserweiternde Substanzen, wie sie etwa auch in schamanischen Ritualen Anwendung finden, eine Gefahr für das kapitalistische System darstellen und würden damit von diesem logischerweise verteufelt werden.

Am Ende war es eine Diskussionsrunde, die weniger Argumente austauschte und gegenüberstellte, als vielmehr die jeweiligen individuellen Erfahrungen, Thesen und Gedanken der Autoren zum Vorschein brachte. So blieb die Kontroverse an dem Abend ebenso aus wie das Eintauchen in die Tiefe des Themas. Dafür bekam man einen Überblick über das individuelle Verhältnis der Autoren zu Rausch und Inspiration, ihre Methoden und die Auswirkungen auf ihr Schreiben.

Foto: © Silviu Guiman