Stellwerk Magazin

Fakes, Narrative und zerplatzende Blasen

Vorwort

Nach Marcel Beyer und Thomas Meinecke hat in diesem Jahr nun Kathrin Röggla die TransLit Poetikprofessur inne.

Leitfaden der 2015 ins Leben gerufenen Poetikdozentur des Instituts für deutsche Sprache und Literatur I an der Universität zu Köln ist vor allem die “Literatur im medialen Wandel”. Die Transmedialität von Literatur sowie ihre Adaption in andere mediale Formen stehen daher im Fokus. An der Schnittstelle zwischen Literatur, Wissenschaft und Gegenwartskultur versteht sich die Dozentur als ein Forum für Studierende und Literaturinteressierte. Die öffentlichen Veranstaltungen der TransLit-Professur werden zudem von Seminaren und Workshops begleitet, worin sie sich auch von den landesweit üblichen Poetikdozenturen abhebt.

Schon mal von Deepfakes gehört? Es handelt sich dabei um Bild- und Videoformate, die mithilfe von künstlicher Intelligenz verändert wurden. Das mag noch witzig sein, wenn man am Abend mit Freunden eine App nutzt, mit der plötzlich das Gesicht des Gegenübers auf den eigenen Körper appliziert wird. Wenn aber das eigene Gesicht plötzlich in einem pornografischen oder diskreditierenden Video auftaucht, wird es zum Problem. Besonders beliebt für Deepfakes sind Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, wie Politikerinnen oder Schauspielerinnen. Manipulierte Videos und Bilder führen dazu, dass es immer schwieriger wird, zu unterscheiden, was wahr ist – und was nicht. Erst kürzlich berichtete Bernd Graff in der Süddeutschen Zeitung darüber, wie Deepfakes „unser Verständnis von der Wahrhaftigkeit realistischer Bewegtbilder auf unheimliche Art durcheinander(wirbeln)“.1https://www.sueddeutsche.de/kultur/digitalisierung-bildersturm-faktensturm-1.4490823

Um Wahrhaftigkeit und die Frage, wie wir als Gesellschaft Realität wahrnehmen ging es auch in der Podiumsdiskussion „Fakes, Narrative und zerplatzende Blasen - mitten in der Monsterologie des öffentlichen Raumes“, die die österreichische Autorin Kathrin Röggla anlässlich der diesjährigen TransLit gemeinsam mit Prof. Dr. Manuela Günter, Prorektorin für Gleichstellung und Prof. Dr. Nicolas Pethes vom Institut für deutsche Sprache und Literatur I der Universität zu Köln, führte.

„C’est ne pas une pipe“

Schon 2013 wurde „Fake“ als Anglizismus des Jahres bezeichnet – spätestens seit dem US-Wahlkampf 2016 ist der Begriff in aller Munde. Sowohl Donald Trump als auch Hillary Clinton nutzten sogenannte Trolle, also unechte User in Social Media Kanälen als Strategie, um den jeweiligen Kontrahenten zu schwächen. Kein Wunder also, dass in der Gesellschaft die Skepsis wächst und die Frage im Raum steht, ob ein Text, ein Video, eine Fotografie wirklich echt sind. Vor allem auch, da Deepfakes, Trolle und Co. nur schwer identifizierbar sind. Doch wie sagte der Maler Magritte: „C’est ne pas une pipe“ – es ist keine Pfeife – lediglich ein Abbild davon. Man muss sich auch bei Social Media Einträgen und Texten immer wieder fragen: Womit habe ich es zu tun? Diese Form der Kontextualisierung ist notwendig und wichtig, um in einem technisch dominierten Zeitalter mit schier unendlich vielen Bearbeitungsmöglichkeiten, den Überblick zu behalten.

Kontextualisierung und kritisches Hinterfragen

Die österreichische Autorin Kathrin Röggla ist vor allem bekannt für ihre Prosa, Theatertexte und Hörspiele. Aktuell war in Berlin ihr Ausstellungsprojekt „Der Elefant im Raum“ (18.05-02.06.2019) mit Performances zu „Wo kommen wir hin“ an der Akademie der Künste zu sehen, das Röggla mit Mark Lammert, Eran Schaerf und Gästen konzipiert hat. In diesem Rahmen ist jüngst auch folgende Publikation entstanden: Elefant im Raum. Vier Zeitungen von Mark Lammert, Kathrin Röggla und Eran Schaerf. Mit Beiträgen von A. L. Kennedy, Alexander Kluge, Karin Krauthausen, Manos Tsangaris, Johannes Ullmaier u.v.a.

Röggla weist während der Podiumsdiskussion darauf hin, dass Wahrheitsfindung schließlich immer eine Konstruktion sei. Es gibt nicht die eine Wahrheit. Und doch gibt es einen großen Unterschied zwischen Lügen und Fakten. Und hier kommt die Rolle der Literatur ins Spiel. Die Aufgabe der Literatur ist es, in erster Linie als Literatur zu fungieren und gleichzeitig kenntlich zu machen, was Wahrheit und was Geschichte ist. Von Seiten der Schreibenden als auch der Rezipierenden ist deshalb ständige Kontextualisierung und kritisches Hinterfragen notwendig. Für die Schreibenden liegt darin eine große Verantwortung, Röggla nennt es gar eine „Bürde“. Dabei geht es um die Verantwortung der Schreibenden, nicht nur den Rezipierenden, sondern vor allem auch den im Zuge einer Recherche befragten Menschen gegenüber. Als Beispiel geht das Publikum, das an diesem Abend aktiv in die Podiumsdiskussion mit eingebunden wurde, auf den Umgang mit Sprachjargons ein. Auf diesem Gebiet ist Röggla eine Expertin – schließlich schrieb sie bereits über Unternehmensberater und arbeitet für ein neues Werk zum NSU-Komplex mit Jurist*innen zusammen. Ihre These: Menschen haben das Bedürfnis, eine Sprache – beziehungsweise einen Fachjargon – zu lernen, um dazuzugehören. Denn oft erklärt Sprache nicht, sondern schließt aus. Das Paradox ist, dass sich im Grunde fast jeder in einem eigenen Fachjargon bewegt. Diese Widersprüchlichkeit zwischen Ausschluss und Dazugehörigkeit müssen Literaten ständig bewältigen. Doch gerade das ist auch das Schöne an der Literatur. Sie zeigt, wo Grenzen liegen, gibt verschiedene Antworten, oft kein klares Ja oder Nein und regt dadurch zur Diskussion an. Diskussionen, die bei der Frage nach Wahrhaftigkeit geführt werden müssen, damit wir uns nicht im Strudel der Wahrheitssuche verlieren.

v.l.n.r.: M. Günter, K. Röggla und N. Pethes

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