Stellwerk Magazin

Interview Subversion und Herzensbildung

Vorwort

In diesem Jahr ging die Poetikdozentur TransLit der Universität zu Köln in die vierte Runde. Ganz nach eigenem Motto ‚Literatur im medialen Wandel’ wurde erneut eine Autorin mit transmedialem Bezug dazu eingeladen, die Veranstaltungsreihe mit Inhalten zu füllen und mitzukonzipieren. Die Texte von Kathrin Röggla sind sowohl als literarische Werke, als auch als Hörbücher und Theaterstücke erfolgreich. Seit 1995 publizierte sie neben dreizehn Büchern (u.a. „Niemand lacht rückwärts“ (1995), „Irres Wetter“ (2000) und „wir schlafen nicht“ (2004)), siebzehn Theatertexte und hat an mehr als zwanzig Radioarbeiten und Hörbüchern mitgewirkt. Spontan traf sie sich vergangene Woche mit mir in einem Friseursalon in Köln. Dort bot sie mir gleich zu Beginn das Du an und beantwortete gutgelaunt Fragen zu Poetikdozenturen im Allgemeinen, der TransLit im Besonderen, zur Literatur als solche und als Beruf.

Foto: © Andreas Schmdt

Während wir uns, nebeneinander auf Kunstleder-Drehstühlen vor großen Spiegeln sitzend, im Friseursalon unterhalten, werden ihr die Haare geschnitten. Einer der Friseure serviert uns den hauseigenen Sommer-Ananas-Cocktail und als die Föhngeräusche verstummen, ist seichter Radio-Pop im Hintergrund vernehmbar.

Kathrin, du hast nun über einen Zeitraum von fast einem Monat die Poetikdozentur TransLit innegehabt. Auch in diesem Jahr wurde die Poetikvorlesung durch ein Werkstattgespräch, ein Podiumsgespräch und eine Performance ergänzt. Was ist dein Fazit zu diesem Veranstaltungsensemble?

Kathrin Röggla: Sehr interessant für mich war es, die vier verschiedenen Formate durchzuspielen, – das ist eben nicht wie sonst bei Poetikprofessuren: Meistens macht man eine Vorlesung nach der anderen – und hier war es eine Vorlesung, gefolgt von verschiedenen Gesprächsformaten, sogar einer Performance. Für mich war es erstaunlich und bestätigend, wie sehr mir das tatsächlich entgegenkommt, dieser medienübergreifende Ansatz. Ich fand es auch sehr interessant, Sprache und Poetik anders darzustellen als eben allein durch die Schrift.

Welches Format der TransLit hat dir am besten gefallen?

Für mich war wirklich die Performance das Interessanteste. Ich komme schließlich aus der Kunst- und Theaterecke und das war jetzt eine gute Möglichkeit, das nochmal zu integrieren. Ich musste quasi ins kalte Wasser springen, das war echt ziemlich genial! Auch das Werkstattgespräch mit Barbara Schäfer 1Barbara Schäfer ist Abteilungsleiterin für Feature/Hörspiel/Hintergrund Kultur im Deutschlandfunk. Sie hat als Dramaturgin beim WDR und Chefdramaturgin beim BR zahlreiche Hörspielprojekte initiiert und betreut. Ihre langjährige Zusammenarbeit mit Kathrin Röggla begann 1998 mit der Hörspielproduktion von “niemand lacht rückwärts” (BR). und Leopold von Verschuer war besonders nett. Einfach auch, weil ich Radio sehr mag und das in der Literatur nie so richtig wahrgenommen wird. Daher ergibt sich nur selten die Gelegenheit, darüber zu sprechen.

Wie wird eine solche Poetikdozentur konzipiert? Hattest du Mitspracherecht, etwa bezüglich der angebotenen Formate?

Ja, absolut. Im Grunde wurde mir gesagt, es soll eine Vorlesung geben, ein Gesprächsformat und eines, bei dem ich recht frei entscheiden kann, was ich möchte. Das Podiumsgespräch mit den Studierenden, Professoren und Professorinnen war festgelegt. Für das Werkstattgespräch wurde ich gefragt, einzelne Personen und Themen vorzuschlagen. Relativ schnell nach dem ersten Telefonat war mir klar, wie genau das aussehen wird. Was die Vorlesung betrifft konnte ich natürlich komplett selber bestimmen, worum es geht, was ich sagen möchte, ebenso bei der Performance. Als ich zusagte, war mir zudem klar, dass ich in diesem Jahr mit der Ausstellung „Der Elefant im Raum“2www.adk.de/de/projekte/2019/wo-kommen-wir-hin/index.htm : Im Rahmen der „Wo kommen wir hin“ Veranstaltungsreihe in der Berliner Akademie der Künste fand vom 17. Mai bis 02. Juni die audio-visuelle Installation „Der Elefant im Raum“ von Kathrin Röggla statt. in Berlin noch sehr beschäftigt sein würde. Daher hab ich auch beides von Anfang an in Zusammenhang zueinander gesehen. Dass sich das dann gegenseitig so ergänzt hat , das war toll!

Im Nachhinein habe ich erfahren, dass es durchaus Autoren gab, die ganz klassisch am ersten Abend aus ihren Büchern vorgelesen haben. Das wäre mir nicht richtig erschienen, meines Erachtens sollte man etwas Neues dafür schreiben und nicht aus altem Material schöpfen. Eine Poetikdozentur sollte schließlich auch ein eigenes Kunstwerk sein. Etwas, das ich jedes Mal neu definiere und neu mache, etwas, das sich entlang meiner Arbeit bewegt.

Hättest du auch Verbesserungsvorschläge für die TransLit?

Ich könnte mir vorstellen, dass man die Formate im Rahmen der TransLit durchaus erweitern könnte. Und dass man auch Online oder Ausstellungs-Formate bedenken sollte. Auch mit installativen Begriffen kann man noch mehr arbeiten und somit vielleicht in andere Bereiche reingehen, die bisher noch nicht auf der Landkarte von „Was ist Literatur“ verortet sind.

Mit der TransLit in Köln wurdest du bereits zum fünften Mal als Poetikdozentin an eine Universität eingeladen. Hat sich deine Einstellung zu den Poetikvorlesungen im Laufe der Jahre verändert?

Ich hab inzwischen vor allem die Erwartung und den Wunsch, möglichst frei zu agieren. Wenn man lange studiert und dann kurz vor Ende das Studium abbricht, hat man schon das Gefühl, man muss sich irgendwie beweisen. Da musste ich mich lange von freispielen. Meine ersten Poetikvorlesungen waren daher sehr viel näher an der Wissenschaft – es war ein bisschen braver! Früher hatte ich das Gefühl, ich muss der Uni was geben, heute habe ich eher das Gefühl, ich gebe der Uni am meisten, wenn ich mir selber was gebe. Inzwischen überführe ich meine Poetikvorlesungen eigentlich immer stärker in eine Kunstform. Das ist viel lustiger und für alle interessanter, – meine letzten Professuren habe ich daher insgesamt auch als gelungener erlebt.

Andreas Maier bezeichnete in seiner Frankfurter Poetikvorlesung „Ich“ (2006) dieses Format als „Form für Nichts“, würdest du dem zustimmen?

Das ist ja der Witz an Poetikdozenturen, dass man selber definiert, was man daraus machen möchte. Aber man ist ja nicht im ‚Nichts’, man ist immer eingespannt: in die eigene Zeit, die eigene Arbeit, in Momente der eigenen Arbeit. Ich würde sagen, dadurch ist sehr viel vorgegeben. So ganz ‚Nichts’, da müsste ich wiedersprechen. Poetikdozenturen sind eben sehr stark bestimmt von den Autoren und Autorinnen und davon, wo sie grade in ihrem Werk stehen, ihrem Werkmoment. Diese Vorlesungen sind immer ein Bild, ein Zeitschnitt, der Autoren und Autorinnen in dem Moment, in dem sie sprechen. Im Unterschied zu Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen können wir nicht entscheiden, welchen literarischen Moment wir rausgreifen und aufgreifen. Wir sind ja immer in unserem Schaffen. Das ist ein Aspekt, der gar keine so unwesentliche Rolle spielt.

Während der Dozentur hast du auf deine derzeitige Arbeit an einem Prosatext Bezug genommen, in dem du dich mit Sprechakten in Zusammenhang mit dem NSU-Prozess auseinandersetzt. Gibt es für dich eine Differenz zwischen dem literarischen und dem eher pragmatischen Schreiben?

Na klar, der Vorlesungssaal ist ja ein Raum, an dem ich öffentlich über Stoffe, Themen und Prozesse nachdenke und zeige, wie Ästhetik funktionieren kann. Das ist natürlich etwas anderes, als die eigentliche literarische Arbeit. Aber ich glaube, dass Texte, die um Texte herum entstehen, auch einen literarischen Wert haben. Da bin ich vielleicht ein bisschen romantisch veranlagt, sozusagen im Sinne von Jean Paul. Literaturkritik ist auch Literatur. Nur ist es natürlich schon etwas anderes als diesen NSU-Stoff zu bewältigen. Weil der Stoff, das Material mit dem ich literarisch arbeite, mich mehr zwingt. Auf eine gewisse Weise ist das Schreiben einer Poetikvorlesung also sogar verspielter und freier, ich kann durchaus sprunghafter sein als ich es bei eigenen Projekten bin.

An wen genau richten sich deine Poetikvorlesungen?

Idealerweise, an alle. Also in erster Linie an das interessierte Publikum. Es sollte vielleicht so eine Art Theaterpublikum sein, also Menschen, die gerne Literatur hören, nicht unbedingt nur Wissenschaftsmenschen. Aber natürlich gibt es diesen Fokus darauf und ich stelle mir schon vor, dass Unileute kommen. Aber es wäre eben auch schön, mehr Menschen von außerhalb dabei zu haben. Ich versuche es daher immer so zu gestalten, dass die Vorlesung unabhängig von mir funktioniert, Themen aufzubringen, die allgemein interessieren könnten.

Welche Inhalte und Ideen sollte dein Publikum idealerweise mit nach Hause nehmen?

Ich würde sagen, das ist für alle unterschiedlich. Tatsächlich aber ein anderes Verständnis von Literatur, nämlich, dass Literatur nicht nur etwas ist, das zwischen zwei Buchdeckeln stattfindet. Sondern die Freude am Spiel! Für mich hatte diese Professur hier in Köln etwas sehr Verspieltes. Bei der Vorlesung in Bamberg vor zwei Jahren waren politische Fragen viel stärker im Vordergrund und ich habe mich zum Beispiel mit dem Rechtsbegriff auseinandergesetzt. Ich bringe ohnehin eine ziemliche Theorieaffinität mit und die ist eigentlich nie voll zu bedienen, weil es immer irgendwann einfach zu viel ist und die Anschaulichkeit darunter leidet. Aber hier habe ich mir jetzt viel mehr Freispiel gelassen. Es ging stärker in einem fokussierteren Sinn um Ästhetik, als noch vor zwei Jahren.

Glaubst du an ein subversives Moment von Literatur oder von Poetikvorlesungen?

Absolut, aber auf eine Weise ist es sicherlich banaler als man es vielleicht vermuten würde. Die Welt, auf die ich zuschreibe, hat mit mehr sozialer Gerechtigkeit, mit Freiheit und mit einfachen Idealen von Ausgleich zu tun. Ich denke, dass Literatur einen Effekt hat, den man aber niemals messen kann, da er sich nicht so einfach zeigt. Die Literatur hat immer Wirkung, aber eben keine Direktwirkung, wo man sieht, da geht das rein und da kommt das raus. Trotzdem hat mich genau diese Wirkung immer angetrieben. Wenn ich mich frage, warum ich schreibe, ist es sicher das: Dass man Dinge verändern will. Dass man ein anderes Sprechen in den Raum setzen will und sich gegen Herrschaftsformen wehrt. Das ist für mich ein zentraler Punkt, und da ist Literatur ganz wunderbar. Zugleich kann Literaturkonsum ja auch zu einer Steigerung der Empfindungsfähigkeit beitragen. Dazu, dass man Dinge anders wahrnimmt, dass man nicht nur eine Sicht, sondern plötzlich ein breiteres Spektrum der Wahrnehmung zur Verfügung hat. Ich würde sagen, Literatur ist Subversion und Herzensbildung.

Einige der Kölner Studierenden möchten in Zukunft mit dem Schreiben – mit "Subversion und Herzensbildung" – ihr Geld verdienen. Hast du ein paar Ratschläge dazu?

Das ist eine schwere Frage, wie kommt man da heute am besten in das berufliche Schreiben? Es gibt natürlich mehrere Zugänge, die vielleicht weniger offensichtlich mit Herzensbildung und Subversion zu tun haben, mehr mit Gestaltung. Ich denke absurderweise jetzt gerade an eine Linguistin, die ich kenne, die sich mit automatisiertem Schreiben beschäftigt: Man muss als Schreibende oder Schreibender im Kopf haben, dass das kommt und gewisse Sparten dadurch wegfallen werden. Ebenso muss man natürlich gucken, dass man genau die anderen Sparten besetzt, oder vielleicht den eigenen Schreibbegriff erweitern. Also in jedem Fall muss man sich breit aufstellen, beweglich sein und beweglich bleiben. Diese Linguistin ist dann auf einmal auf der anderen Seite gelandet: Sie spielt jetzt Feedback-Sachen für automatisiertes Schreiben durch, ist also indirekt mit dem Schreiben beschäftigt. Andererseits kenne ich auch viele, die Werbetexter und Werbetexterinnen geworden sind, das ist auch nicht zu verachten. Ein alter Freund von mir arbeitet seit zwanzig Jahren in diesem Bereich und schreibt ganze Sachbücher. Aber auch Ghostwriter werden zum Beispiel gesucht.

Hast du schonmal überlegt, als Ghostwriter zu arbeiten?

Das hätte ich artistisch lustig gefunden, vom Ästhetischen her. Zu meiner Zeit, als ich anfing, war das überhaupt kein Thema, da kannte ich niemanden, der oder die Ghostwriter war. Was gerade am Markt funktioniert und was nicht, hat sich seitdem völlig verändert. Jetzt würde ich eher im Online-Bereich schauen, was möglich ist. Ein Weg, den viele gehen, ist ja auch selber zu bloggen und Eigenes im Netz zu veröffentlichen. Wenn ich heute nochmal anfangen würde, wäre eine Webpräsenz eher meins. Da ist es dann auch wichtig, Mitglied von VG Wort zu werden, das heißt, Verwertungsgesellschaften und Gewerkschaften zu beachten. Schauen, dass man Tipps von denjenigen bekommt, die schon länger dabei sind und sich gut zu vernetzen.

Noch ein letzter Ratschlag: Nicht zu lange aufschieben, sondern gleich machen. Ich hab damals meine ersten drei Bücher noch während des Studiums veröffentlicht. Deswegen hab ich ja dann mit dem Studium aufgehört, weil es sinnlos schien, für die Schublade noch eine Magisterarbeit zu schreiben, was mir manchmal jetzt auf den Kopf fällt. Und ich bin sehr früh, mit siebzehn Jahren schon, in die literarische Öffentlichkeit getreten. Ich habe in Theatergruppen, etwa in der freien Szene in Salzburg, mitgemacht und war sehr früh engagiert unterwegs. Ich habe mich schon als Jugendliche vor die Entscheidung gestellt gesehen, mich entweder politisch zu engagieren – damals passierte Tschernobyl - oder künstlerisch, im Theater. Ich hab mich für die Kunst entschieden, ich brauchte dieses Ventil und die Möglichkeit. Das war in jungen Jahren auch eine Art Überlebensmittel, in der Enge einer Stadt wie Salzburg.

In deinem Roman Irres Wetter geht es unter anderem um die Berliner Punk-Szene. Spielt Punk nach wie vor für dich und in deinen Werken eine Rolle?

Ja, von der Musik, von den Gesten, find ich Punk immer noch spannend. Das hat etwas, diese Widerständigkeit, die Spaß machen soll. Quasi nicht nur der starke Protest, sondern einfach auch die Texte und das Performative, das ist schon sehr witzig. Liedtexte schreiben, das ist eh so ein Traum.

Können wir uns in Zukunft also auf Liedtexte von dir freuen?

Nee, mal sehen, diese Lyrik-Schiene, die habe ich leider früh verlassen. Es ist schon so, dass ich mir das immer wieder gesagt habe: „Irgendwann mache ich das mal, irgendwann“, aber dann kam es anders, obwohl ich auch Lyrik lese – ja, aber ich hab das Gefühl, diese Lyrik-Szene ist sehr vernetzt und da muss man sich extrem lang hineinarbeiten. Darauf hatte ich bisher keine Lust, da habe ich keinen Ort- trotzdem, irgendwann mach ich das mal!

Vielen Dank für das angenehme Gespräch, Kathrin, und viel Spaß und Erfolg mit deiner derzeitigen literarischen Arbeit!

Die sehr geduldige und bisher bedacht schweigsame Friseurin ist nun fertig mit dem Haareschneiden, erkundigt sich danach, ob die Haarlänge genehm ist und schlägt Kathrin Röggla eine abschließende Spülung vor, die sie dankend annimmt. Unsere Sommer-Ananas-Cocktails sind inzwischen ausgetrunken.