Stellwerk Magazin

Lesung Kriminalliteratur trifft Lyrik – Ein Abend mit Friedrich Ani

Vorwort

Der Hörsaal XVIII im Hauptgebäude der Universität zu Köln ist an diesem Novemberabend gut gefüllt. Das Publikum ein etwas anderes als gewöhnlich: neben vielen Studierenden haben Interessierte jeden Alters den Weg in die Uni angetreten, um die Lesung mit Friedrich Ani zu verfolgen, die im Rahmen des Kriminalliteraturfestivals Crime Cologne stattfindet. Der Münchner Autor ist siebenfacher Preisträger des Deutschen Krimipreises und Verfasser zahlreicher Kriminalromane, Lyrikbände, Drehbücher und Jugendliteratur. Entspannt sitzt Ani am Pult des Hörsaales, wo er sich den Fragen von Christof Hamann (Professor für Literaturwissenschaft) und zwei von dessen Studierenden stellt. Dabei trinkt er, so wie es sich gehört: Kölsch.

Zu Köln hat Friedrich Ani einen besonderen Bezug, denn im Kölner Emons Verlag veröffentlichte er seinen ersten Kriminalroman. „Wer braucht sowas?“, war Anis erster Gedanke, nachdem der Wunsch nach einem regionalen Münchner Krimi an ihn herangetragen wurde. Geschrieben hat er ihn trotzdem. Drei Tote CSU-Politiker in einem Hofbräuhaus – das ist der Ausgangspunkt für den Plot von „Killing Giesing“ – und der Anfang von Anis Karriere als Autor von Kriminalromanen; dem Genre, mit dem er die größten kommerziellen Erfolge erzielen sollte. Dabei bedienen seine Krimis eigentlich nicht die für das Genre so typischen Schemata, in der die gesellschaftliche Ordnung zu Beginn der Handlung durch ein Verbrechen einen Riss erfährt und im Zuge der erfolgreichen Aufklärung der Tat schließlich wiederhergestellt wird. Auf ein versöhnliches Ende können die LeserInnen bei Ani meist vergeblich warten. „Da muss man halt durch!“, ist sein trockener Kommentar dazu. Auch untypisch für das Genre ist, dass Ani seine Handlungen „nicht plot, sondern character-driven“ anlegt. Die Geschichten entfalten sich also aus den Figuren selbst heraus. Auf sie legt Ani deshalb besonderen Wert. Betrachtet man die Kommissare in seinen Büchern fällt auf, dass sie alle sehr spezielle Persönlichkeiten sind, die mit Problemen des echten Lebens zu kämpfen haben. Verschwundene suchen, Todesnachrichten überbringen, die letzte Chance der Toten auf Gerechtigkeit zu sein und dabei immer wieder in menschliche Abgründe zu schauen – all das hinterlässt Spuren. Für seinen Ermittler Jakob Franck beispielsweise bleiben die Toten auch nach seiner Verrentung noch so präsent, dass er ihnen regelmäßig Milch und Kekse hinstellt, um sich mit ihnen zu unterhalten. „Wirklich gaga“, kommentiert Ani. Aber auch der Satz „Ich mag die“, fällt, während er vom „Zusammenleben“ mit seinen Figuren berichtet. In seinem neuesten Krimi „All die unbewohnten Zimmer“ lässt er nun drei seiner Kommissare zusammen an einem Fall ermitteln und stellt ihnen mit Farisa Nasri erstmals eine weibliche Ermittlerin zur Seite. Diese Figur sollte man sich merken, denn eine Fortsetzung mit Nasri im Zentrum ist schon in Arbeit. Bei der Entwicklung ihrer Biografie tat Ani sich allerdings zunächst schwer. Schließlich schrieb er ihr Teile seiner eigenen zu und ließ Nasri als Kind eines syrischen Vaters aufwachsen. Nicht nur hier scheint der eigene Vater für Friedrich Anis literarisches Schaffen eine wichtige Referenz darzustellen. Als „Schweiger vor dem Herrn“ beschreibt er ihn im Gespräch mit Prof. Christof Hamann. Das lässt aufhorchen, denn die väterliche Eigenschaft weiß Ani ebenfalls wirkungsvoll einzusetzen. Das Schweigen findet sich als wiederkehrendes Motiv in vielen seiner Romane: Als vorherrschende Art der Kommunikation in Familien, oder auch als Vernehmungstaktik, um unwillige Zeugen zum Reden zu bringen. Oder in Form von schweigenden Umarmungen als Trost für Empfänger und Überbringer von Todesnachrichten. Eine seiner Figuren, die Schweige-Lisl, trägt das Schweigen sogar im Namen.

Lyrik als Maschinenraum

Auch der Titel seines 2017 erschienenen Lyrikbandes ruft den Vater auf – allerdings als Abwesenden: „Im Zimmer meines Vaters“ ist eine Gedichtsammlung, in der sich Ani sprachgewandt zwischen Melancholie und Leichtigkeit bewegt. Er versammelt darin unterschiedlichste Texte, von Kindheitserinnerungen bis hin zu politischen Momentaufnahmen. Seinem verstorbenen Vater widmet er ein langes Gedicht, das sich auch als aktueller Beitrag zur Flüchtlingsdebatte lesen ließe. Dass Anis erste große Leidenschaft der Lyrik gilt, zeigt sich an diesem Abend immer wieder ganz deutlich. Er erzählt, dass sein literarisches Schaffen mit dem Schreiben von Gedichten begann. Die Lyrik ist für ihn „ein Maschinenraum“, dort ist er zu Hause. „Wenn man mich einlädt, dann muss man mit Lyrik rechnen“, bringt der Autor es selbst auf den Punkt und trägt deshalb – Crime Cologne hin oder her – auch einige seiner Gedichte vor. Besonders eindrücklich sind Texte, die im Rahmen eines Projektes mit Obdachlosen und der Bahnhofsmission entstanden sind. Die kurzen Stücke, die jeweils den Anfangsbuchstaben der porträtierten Person als Titel tragen, führen Anis Wortgewandtheit vor und belegen erneut sein Interesse am Gescheiterten, den Problemen der Menschen, der realen Welt.

Zum Abschluss des Abends kehrt Ani aber zum Krimi zurück und liest einen Auszug aus seinem 2018 bei Suhrkamp erschienen Roman „Der Narr und seine Maschine“. Für seine berühmteste Ermittlerfigur, den Vermisstenfahnder Tabor Süden, ist es schon der 21. Fall. Diesmal schickt er den Münchner Privatdetektiv auf die Suche nach einem verschwundenen Krimischriftsteller(!) und erzählt in der Parallelführung seiner beiden Hauptfiguren von zwei Männern, die eigentlich versuchen ihrem jeweiligen Leben zu entfliehen. Schließlich ist das Kölsch leer getrunken und die Lesung neigt sich dem Ende zu. Es war ein vielseitiger Abend, der einmal mehr bewiesen hat, dass das von Seiten der Literaturwissenschaft häufig belächelte Genre des Krimis viel mehr sein kann als populäre Unterhaltungsliteratur. Dass dort eben auch Autoren wie Friedrich Ani zu finden sind, die jenseits der ausgetretenen Pfade facettenreiche, tiefgründige und poetische Kriminalgeschichten erzählen.

Headerbild: © Henning Schlottmann