Stellwerk Magazin

POETICA 6 Auftakt zum Widerstand

Vorwort

„Widerstand. The Art of Resistance“ ist das Thema der sechsten Poetica. Das Festival für Weltliteratur wird jährlich vom internationalen Kolleg Morphomata der Universität zu Köln gemeinsam mit der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung veranstaltet. Vom 20. bis zum 25. Januar 2020 führt der Schriftsteller und diesjährige Kurator Jan Wagner durch öffentliche Lesungen und Diskussionsveranstaltungen, die an verschiedenen Orten in Köln stattfinden. Während der gut besuchten Auftaktveranstaltung im Hauptgebäude der Universität am 20. Januar gaben die geladenen AutorInnen Einblicke in ihre Werke und ihr Verständnis von Widerstand.

Gruppenbild mit den AutorInnen der Poetica 6 © Silviu Guiman

Ein nebliger, kalter Montagabend im Januar, es ist 19 Uhr. Zahlreiche Menschen strömen in das Hauptgebäude der Universität zu Köln. Hier in der Aula findet heute die Auftaktveranstaltung zur sechsten Poetica statt. Aus Polen, Israel, China, Argentinien, Albanien und der Ukraine sind die AutorInnen angereist, um über Literatur und über sich, vor allem aber über ihr Verständnis von Widerstand zu sprechen. Im Gepäck haben sie diverse Gedichte und Texte, die sich mit dem diesjährigen Motto der Poetica befassen.

Es geht los. Aus den Lautsprechern im Saal dringen Stimmen, die durcheinander summen, murmeln, sprechen, schreien. Fetzen aus politischen Ansprachen und Protesten weltweit. Dann Stille. Auf der Bühne leitet Philipp Pleßmann am Flügel zusammen mit seinen Schauspielkolleginnen Katharina Schmalenberg und Yvon Jansen den Abend musikalisch ein. Der Kölner Universitätsrektor Prof. Dr. Axel Freimuth ergreift das Wort. In seiner Eröffnungsrede erklärt er seine eigene Verbundenheit mit dem diesjährigen Motto und wirft einen Blick auf die widerständigen und die weniger widerständigen Momente der Kölner Stadtgeschichte. Von den Studentenprotesten der 1968er erinnert er an den Ausspruch „Berlin brennt, Köln pennt“. Der Spruch sitzt. Widerstand – ein kurzes, prägnantes Wort mit vielfältigen Bedeutungen. Der diesjährige Poetica-Kurator und Moderator des Abends Jan Wagner versucht sich an einer Definition und kommt zu folgendem Schluss: „Wirklich, man darf das Thema dieser Poetica, Widerstand, durchaus im Plural lesen: Widerstände“. Gespannt wartet man im Publikum auf die Autorinnen und Autoren, die bisher noch in der ersten Reihe der Aula platziert sind. Gespannt sind auch alle Beteiligten des Festivals, die sich monatelang auf diese Woche vorbereitet haben. Dabei soll die Sprache keine Barriere darstellen: Die KünstlerInnen tragen ihre Texte jeweils in der Originalsprache vor, gefolgt von der deutschen Übersetzung, die Schmalenberg, Jansen und Pleßmann, übernehmen.

Xi Chuan – „Make it new“ Der chinesische Lyriker Xi Chuan wird als erster ans Pult gebeten und liest sein Gedicht „Commandments“ vor. Noch bevor man die Übersetzung zu hören bekommt, überträgt sich, worum es geht. Chuans Mimik und Gestik sind eindrucksvoll. Mit seinen Handbewegungen gibt er Richtungen vor. Hier geht es nicht nur inhaltlich um Widerstand, der Autor lebt ihn. Xi Chuan erklärt, dass er mit seinem Text die Eindimensionalität der buddhistischen Traditionen kritisiert. Dies gelingt ihm auf unterhaltsame Weise und mit leiser Ironie.

Agi Mishol – „We always want to protest“ Agi Mishol trägt auf Hebräisch ihr Gedicht „To the Muses“ vor. Noch während die Übersetzung der letzten Verse zu hören ist, spürt man die beeindruckende Wirkung im Saal: „Aber Ihr richtet heute meine Augen nicht hin zu einem rosa-umrandeten Wolkenschloss und markiert mir nicht den Sieg der Ewigkeit mit einem V der Vögel“. Sie möchte Widerstand aufzeigen in dem, was wir glauben zu empfinden und dem, was wir wirklich empfinden.

Tadeusz Dąbrowski – „Zu viel Sarkasmus ist Gift für ein Gedicht“ Tadeusz Dąbrowski haben es Tiere, insbesondere Insekten, angetan. In seinem Gedicht „Mosquito“ beschreibt er den Widerstand gegen Ideologien. Schon zu Beginn merkt man ihm seinen Sinn für Humor an, den er nicht nur in seinen Texten kundtut. Trotz des widerständigen Potenzials, das Ironie und Sarkasmus mit sich bringen, ist ihm als Autor wichtig das richtige Maß zu finden. Denn „zu viel Sarkasmus ist Gift für ein Gedicht“.

Herta Müller – „Der beste Literaturkritiker ist die Angst“
Nicht vom Blatt, sondern von der Wand liest Herta Müller einige ihrer Collagen-Gedichte, die auf die Bühne projiziert werden. Sie erläutert das Verfahren, in dem diese Texte entstehen: „Es geht mit einer ganz kleinen Sache los und dann weiß die Sache selbst, was sie will“. So spielerisch und lustvoll das zunächst klingt – für Müller war Literatur nie ein Spiel. Als den besten Literaturkritiker bezeichnet sie die Angst. Erst wenn man wirkliche Angst erlebt, spüre man welche Texte es schaffen einem Trost zu spenden.

Sergio Raimondi – „I like to take poetry seriously, but it is not so important“ Raimondi liest seine „Glosse zur ‚Ode to a nightingale‘ von John Keats“ vor. Er möchte mit seinen Texten Menschen heilen, auch wenn seiner Ansicht nach die Poesie heutzutage nicht mehr so eine große Rolle spielt wie früher.

Luljeta Lleshanaku – „I didn’t want to write about history, it’s boring“ Lleshanaku liest ihr Gedicht „Wenn es kein Wasser gibt“, in dem sie ihre Kindheit während der kommunistischen Diktatur in Albanien beschreibt. Es handelt von Würde und vom Überleben und zeigt gleichzeitig auf, wie man Literatur nutzen kann, um Geschichten – auch seine eigene – zu erzählen.

Serhij Zhadan – „Bahnhöfe spiegeln das Leben wider“ Auch wenn das Gedicht, mit dem sich Serhij Zhadan vorstellt, den Titel „Fahrräder“ trägt, fällt Jan Wagner auf, dass in seinen Texten Bahnhöfe immer wieder eine Rolle spielen. Zhadan entgegnet mit einem Schmunzeln: „Bahnhöfe spiegeln das Leben wider.“

Begleitet von anhaltendem Applaus finden sich zum Schluss der Veranstaltung noch einmal alle AutorInnen auf der Bühne zusammen. Beflügelt von literarischen Kostproben und dem Widerstand, der nun auch in der nebligen Luft draußen zu liegen scheint, treten die BesucherInnen auf den Albertus-Magnus-Platz. Sie alle haben einen Vorgeschmack auf spannende Diskussionen in den kommenden Tagen erhalten und zudem starke Autorinnen und Autoren kennengelernt, die Widerstand nicht nur in ihren Texten thematisieren, sondern diesen auch leben.

Headerbild: Jan Wagner © Silviu Guiman

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