Stellwerk Magazin

Interview Wie fühlt sich Globalität an?

Vorwort

Sobald man sich mit dem Düsseldorfer Künstler Rainer Junghanns beschäftigt, bekommt man es mit Räumen zu tun. Sein ehemaliges Atelier in Düsseldorf Oberkassel steht seit 2009 unter dem Namen „Raum für Raum“ nicht nur jungen Kunstschaffenden aus dem Umfeld der Düsseldorfer Akademie – wo er selbst auch studierte – als Präsentationsfläche zur Verfügung, sondern beherbergt ebenso internationale Projekte. „Raum“ versteht Junghanns immer sowohl konkret physisch als auch abstrakt als geistigen Raum. Um diesen zu gestalten und zu erweitern sind für ihn Bewegung und Begegnung zentral. Das gilt nicht nur für seine kuratorische Tätigkeit, sondern auch für seine eigenen Arbeiten als Konzept- und Installationskünstler. Er kontextualisiert und transformiert bestehende Werke immer wieder neu und schafft damit überraschend aktuelle Bezüge zu Themen wie Umweltschutz, den Auswirkungen einer globalisierten Arbeitswelt und des internationalen Handels. All das spiegelt sich auch in seinen eigenen Räumen, konkret in seiner Wohnung im Düsseldorfer Stadtteil Oberkassel wider, in der er sich die Zeit für ein Interview nimmt.

© Rainer Junghanns © Rainer Junghanns

Guten Morgen, Herr Junghanns.

Rainer Junghanns: Guten Morgen, ich freue mich auf Ihre Fragen.

Wenn man Ihre ordentliche Wohnung betrachtet: die minimalistische, stilvolle Einrichtung, die auf Offenheit ausgelegte Aufteilung und Ihre hier integrierten Kunstwerke, dann erkennt man darin auch die Prinzipien, nach denen Sie arbeiten. Sehe ich das richtig?

Genau. Mich beschäftigen solche Fragen: „Wie will ich leben?“, „Was ist wirklich wichtig?“, „Wie gehe ich mit Raum um?“ Und damit meine ich nicht nur meinen unmittelbaren Wohnraum! Jeder Mensch verändert einen Raum beim Betreten desselbigen. Mein physischer Raum existiert, mein geistiger Raum trägt die Verantwortung. Wie gehen wir mit dieser Erkenntnis um? Das führt zu ästhetischen Fragen und Wahrnehmungsdiskursen. Schon allein dadurch, dass wir als Menschen physisch und psychisch Räume permanent verändern, tragen wir Verantwortung. Dieser können wir nicht entgehen und sie erstreckt sich auf ganze Lebensräume. Genau das bringt uns gerade eine junge, mutige Schwedin bei.

Sie sind für Ihr Projekt GMT zweimal für mehrere Monate als Passagier auf Frachtschiffen um die Welt gereist. Ist die große, dunkle Fotografie am Kopfende des Raumes eines der Videostills der Meeresbilder, die dabei entstanden sind?

Yep. Genauer gesagt heißt das Projekt „GMT +“. Dazu habe ich auf den Schiffen Kameras postiert, um Tag für Tag die Reisen mit Videoaufnahmen immer von exakt derselben Stelle auf dem Schiff zu dokumentieren; vom Bug aus in Fahrt-, also Horizontrichtung. Zusätzlich sind die Wasseraufnahmen mit veränderten Zeit- und Positionsangaben versehen. Das ist für mich eine lyrische, künstlerische Art die Welt zu vermessen. Das Wasser hat jedes Mal eine andere Farbe, jedes Mal befindet man sich an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit. Man verbindet mit diesen Fahrten über große Distanzen und dem Blick auf das offene, weite Meer für gewöhnlich Freiheit und ewige Romantik. (Lacht ironisch und ergänzt:) Aber die Lebens- und Arbeitsbedingungen auf diesen Schiffen sprechen eine andere Sprache: die der modernen Sklaverei. 91 Tage waren wir in Bewegung und haben dabei den Nullmeridian, den Äquator, den Suezkanal, die Datumsgrenze und den Panamakanal passiert.

GMT steht für „Greenwich Mean Time“, also die Westeuropäische Zeit. Greenwich ist ein südlicher Stadtteil von London, in dem der historische Nullmeridian verläuft. Soweit so gut, aber was genau bedeutet das Plus? Und was haben Sie während Ihrer Fahrten erlebt?

Die erste Fahrt ging in die vom Osten vor uns liegende Zeit Richtung Datumsgrenze „Greenwich Mean Time +“, daher das „+“. Ich habe die Oberflächlichkeit der Ozeane, die faszinierende, atemberaubende Schönheit künstlerisch dokumentiert. Deren Endlichkeit durch die von uns Menschen provozierte Zerstörung liegt direkt darunter. Das weiß man, wenn man auf diesem Schiff steht. Auf den Meeren ist man außerhalb aller Kommunikationsmöglichkeit mit der Außenwelt, denn dort gibt es keinen Netzempfang. Ich war zusammen mit drei Offizieren unterwegs – Kapitän, Chefingenieur, Erster Offizier: alle aus dem osteuropäischen Raum. Die Crew bestand aus 21 Seeleuten von den Philippinen. Während der Fahrt wird jedweder Müll – alles, was man sich nicht vorstellen will – ins Meer geschmissen, um die Kosten einer regulären Entsorgung zu sparen. Gleichzeitig hat man als Kontrast immer wieder die Schönheit des Wassers. Diese Vergegenwärtigung und die beruhigende Handlung des Abgleichens von Zeitintervallen, (macht eine kurze Pause) so kann sich Globalität körperlich auch anfühlen. Ich brauchte diese Erfahrung, weil mir Demut abhandengekommen war.

Da schwingt viel Persönliches mit. Können Sie mir genauer erzählen, was Sie zu dieser Reise bewegt hat?

Zunächst habe ich zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr an das Ritual des Ateliers geglaubt, sondern an Erkenntnisse durch Bewegung. Damit meine ich körperliche und – im Idealfall – parallel geistige Bewegung. Ich glaube daran, Prozesse des Lebens und Erlebens künstlerisch ablesbar zu machen. Das ist vergleichbar mit der Grundidee von Pilgerschaft: Ich wollte durch äußere und innere Bewegung zu neuen Erkenntnissen gelangen. Dazu gehören unbedingt Begegnungen mit Menschen. Mit Menschen anderer Kulturen, die andere Rituale praktizieren, die an anderen Orten leben und andere Sichtweisen haben. Es geht um Perspektivveränderungen. „GMT +“ wurde gerade in der Deagu Art Factory in Südkorea gezeigt. Davor hat das Projekt schon im Kunstverein Ulm, im LVR-LandesMuseum, Bonn und beim Bardo Filmfestival in Buenos Aires, Argentinien Station gemacht.

Wenn Sie in drei Sätzen aussagen müssten, was Sie als Künstler auszeichnet, wie würden diese Sätze lauten?

Erstens: Mich zeichnet als Künstler zunächst gar nichts aus. Zweitens: Andere zeichnen einen aus. Drittens: Das zeichnet mich wiederum nicht aus, weil nicht wichtig. Vielleicht nenne ich alternativ drei Worte, die die Metaebene meines Tuns bestimmen: Raum, Zeit, Prozess und Partizipationsprinzipien… Zählen will gelernt sein (lacht).

Da sind wir beim Thema. Uns läuft leider die Zeit davon. Bevor ich Sie wieder entlasse, welche Projekte stehen 2020 für Sie an und wo können wir Sie finden?

Da bin ich selber gespannt. Definiert ist im März eine Raum-Schaffung in Südfrankreich, Cannes. Weitere in Helsinki, Finnland. Mein Schaffen folgt Karambolage-Prinzipien, das heißt, es gibt keine Zufälligkeiten, außer vielleicht den bewussten Zufall. Zunächst bin ich in Düsseldorf für sechs Ausstellungskonzepte, besser gesagt Raum-Installationen anderer Kunstschaffender in meinem früheren Atelier verantwortlich. Besonders freue ich mich auf die Arbeit mit Yukako Ando, einer japanischen Künstlerin aus Los Angeles, USA, die wir seit drei Jahren planen. Wer weiß, wo ich 2020 noch sein werde. Bestimmt nicht auf Containerschiffen, in einem buddhistischen Kloster oder in afrikanischen Townships. Da war ich nämlich schon.

Vielen herzlichen Dank für das Gespräch!

Welcome…

Headerbild: „0-Meridian“ © Rainer Junghanns

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