Stellwerk Magazin

Schmerzlich aktuell

Vorwort

Ende Februar feierte „Verhaftung in Granada“ von Doğan Akhanlı in der Inszenierung von Nuran David Calis Uraufführung am Schauspiel Köln. Calisʾ Inszenierung spannt entlang der Erinnerungen von Akhanlı einen Bogen, der die Türkei der 1968er mit der heutigen verbindet. Ausgangspunkt für die Ereignisse im Buch wie im Stück ist die Studentenbewegung in der Türkei. Die Erfahrungen, die der junge Akhanlı schon damals mit der eingeschränkten Presse- und Meinungsfreiheit gemacht hat, sind auch heute noch schmerzlich aktuell.

Besetzung:

Es spielen: Stefko Hanushevsky, Kristin Steffen, Murat Dikenci Regie: Nuran David Calis Bühne: Anne Ehrlich Kostüme: Geraldine Arnold Musik: Vivan Bhatti Dramaturgie: Stawrula Panagiotaki

Eine Stunde vor der Vorstellung ist der Andrang groß und nicht nur BesucherInnen der ausverkauften Uraufführung bevölkern das Foyer der Außenspielstätte am Offenbachplatz. Sowohl ReporterInnen, die mit Kamera und Mikrofon das Publikum und den Autor Doğan Akhanlı interviewen sind anwesend, als auch ehrenamtliche MitarbeiterInnen des Kölner Vereins „Stimmen der Solidarität“, der sich für politische Gefangene engagiert. Letztere nutzen die Gelegenheit, in diesem Rahmen die Geschichten zahlreicher politischer Gefangener in der Türkei in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit zu rücken. Es werden Flyer verteilt, Unterschriften gesammelt und über die politischen Verhältnisse und Repressionen, denen türkische JournalistInnen, PolitikerInnen, Oppositionelle und KünstlerInnen ausgesetzt sind, berichtet. Die sonst für eine Premiere typische Euphorie scheint von politischen Gesprächen abgelöst zu sein. Viele ZuschauerInnen sind zur Uraufführung gekommen, weil sie Doğan Akhanlı, der seit circa 30 Jahren in Köln lebt, schätzen und seine Arbeiten verfolgen. Andere zeigen Interesse an der Thematik und sind gespannt auf die künstlerische Umsetzung. „Es gibt so viel Ungerechtigkeiten auf der Welt“ sagt eine Besucherin, „und es handelt sich um Personen, die wir jeden Tag sehen und treffen. Es ist aufregend, von einem prominenten Betroffenen zu hören, was er erlebt hat.“ Es verspricht ein spannender Theaterabend zu werden. Die Erwartungen sind hoch. Nicht zuletzt auch, weil die Inszenierung die Signatur von Nuran David Calis trägt; dem Regisseur, der mit großem Erfolg die Keupstraßen-Trilogie am Schauspiel Köln realisierte. Für den heutigen Abend widmet er sich einem Thema, das nicht zuletzt durch die aktuellen Verhaftungen von JournalistInnen und Oppositionellen in der Türkei Gegenstand internationaler Berichterstattung geworden ist: Die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei. Die politische Unfreiheit, die in dem Land herrscht, ist längst kein Geheimnis mehr. Laut Jahresbericht der Reporter ohne Grenzen zählt die Türkei nach wie vor zu den Ländern, die im vergangenen Jahr die meisten JournalistInnen ins Gefängnis steckte.

Die Inszenierung

Im Fokus des Abends steht die Lebensgeschichte von Doğan Akhanlı. In chronologischer Reihenfolge erzählt die Inszenierung seine Politisierung, erste Verhaftung, Foltererfahrungen und seine Flucht in die BRD. Akhanlı wurde 1957 in Artvin (Türkei) geboren und studierte Geschichte und Pädagogik. Als 17-jähriger Gymnasiast kaufte er zufällig eine verbotene linke Zeitung, was die türkische Polizei dazu veranlasste, Akhanlı für fünf Monate in Untersuchungshaft zu halten. Nach seiner Entlassung wird er Mitglied der Kommunistischen Partei und geht nach dem Militärputsch 1980 in den Untergrund, um seine politische Arbeit fortzusetzen. Schließlich wird er erneut verhaftet und verbringt zweieinhalb Jahre in einem Istanbuler Militärgefängnis, wo er gefoltert wird. Nach seiner Entlassung sucht er politisches Asyl in der BRD und gründet hier ein neues Leben mit seiner Familie, die einen Monat nach seiner Flucht ebenfalls fliehen kann. Das war 1975-1991. Wie geht es weiter?

Doğan Akhanlı steht offenbar nach wie vor auf der schwarzen Liste der türkischen Behörden. Allerdings ist er sich dessen so lange nicht bewusst, bis er nach jahrelangem Exil 2010 das erste Mal wieder in die Türkei einreisen möchte, um seine Familie zu besuchen. Doch dazu soll es nicht kommen: Er wird am Flughafen festgenommen. Ein Grund für seine Verhaftung wird ihm nicht genannt. „Wie kann Haftbefehl erteilt werden, ohne dass man mich angehört hat?“, fragt Stefko Hanushevsky als Akhanlı. „Wir sind in der Türkei; kann vorkommen,“ bekommt er als Antwort zu hören. Und selbst im Exil ist er vor dem langen Arm der türkischen Justiz nicht sicher: Die titelgebende Verhaftung in Granada, wo der Schriftsteller 2017 während eines Urlaubsaufenthaltes aufgrund einer Interpol-Fahndung festgenommen wurde, ist ebenfalls Teil des Abends. Nur durch die schnelle Bekanntmachung seiner Verhaftung und die Einmischung der internationalen Presse und Öffentlichkeit konnte verhindert werden, dass Akhanlı an die Türkei ausgeliefert wurde.

© Krafft Angerer Murat Dikenci, Stefko Hanushevsky und Kristin Steffen © Krafft Angerer

In seiner Arbeit setzt sich Akhanlı immer wieder für die Einhaltung der Menschenrechte und die Aufarbeitung des Genozids an den Armeniern ein. Natürlich ist er nicht der einzige türkische Intellektuelle, der sich diesen Themen angenommen hat, aber an diesem Abend steht Akhanlı stellvertretend für sämtliche politisch Verfolgte, die wegen ihrer Gesinnung und Meinungsäußerung Repressionen ausgesetzt sind und verhaftet werden. In seinem Schicksal wird das Schicksal unzähliger anderer miterzählt. Insofern ist es auch folgerichtig, dass es keine feste Figurenkonstellation gibt: Die drei SchauspielerInnen Kristin Steffen, Murat Dikenci und Stefko Hanushevsky teilen sich die Textpassagen auf. Jede und jeder spricht mal aus Akhanlıs Perspektive, dessen monologisches Erzählen den Grundton bestimmt. Dabei überzeugen alle drei SchauspielerInnen gleichermaßen. Es gelingt ihnen, die ernsthaften Geschehnisse glaubwürdig darzustellen, wobei sie den Drahtseilakt meistern, immer wieder auch humorvolle Momente einzustreuen. Nicht zu unterschätzen ist außerdem die Leistung, einen Zeitraum von über 40 Jahren Lebensgeschichte darzustellen, in dem sowohl Momente der Euphorie, Freude und Abenteuerlust als auch die Existenzangst gleichermaßen Platz finden und überzeugend sind. Das Bühnenbild von Anne Ehrlich ermöglicht ihnen dabei durch seine Schlichtheit und Wandelbarkeit die Darstellung zahlreicher Ortswechsel: In der Mitte der kammerähnlichen Bühne ist ein kleines Haus angedeutet, das sich drehen lässt. So blickt man als Zuschauer mal auf die Fassade des Hauses und mal ins Haus hinein. Auf der Bühne befindet sich außerdem eine Kamera, die fast durchgehend die Geschehnisse aufzeichnet und auf eine Leinwand überträgt. Die Schlichtheit der Bühneneinrichtung setzt sich auch in den Kostümen von Geraldine Arnold fort. Alle SchauspielerInnen tragen moderne Kleidung; der Rollenwechsel geschieht häufig nur durch kleine Accessoires. Ebenso reduziert wie eindrücklich geschieht die Darstellung von Folter, die mehrmals im Verlauf der Inszenierung stattfindet: Calis lässt an den entsprechenden Stellen jeweils einen der Schauspieler im vorderen Teil der Bühne die Ereignisse weitererzählen, während sich an der hinteren Wand ein anderer mit schmerzverzerrtem Gesicht und leidvollem Blick teilweise bis zur vollständigen Nacktheit auszieht. Das Unbestimmte und trotzdem Gewaltvolle dieses Vorgangs lässt beim Publikum zahlreiche Assoziationen zu. Auch der Text wird in dieser Hinsicht nur selten explizit, etwa beim Bericht von der brutalen Vergewaltigung junger Studenten, die 1980 in Trabzon in Polizeigewahrsam waren.

Die Realität verdrängt die Illusion

Im Finale der Inszenierung steigen die DarstellerInnen vollständig aus ihren Rollen aus und erzählen aus ihrer persönlichen Perspektive von ihrer Beschäftigung mit dem Thema und reflektieren den Umgang der Türkei mit Andersdenkenden. Hanushevsky berichtet, dass bereits zwei Tage nach Probenbeginn zwei Schauspieler ausgestiegen sind, aus Angst, nie wieder in die Türkei einreisen zu können. Dikenci macht mit erhobenen Augenbrauen und einem verlegenen Lächeln deutlich, dass es Konsequenzen geben kann, „aber… naja…“ Schulterzucken. Das Publikum scheint augenscheinlich beeindruckt von den Ereignissen, die auf der Bühne dargestellt werden. Auch wenn die Darstellungsform nicht zur Identifikation einlädt, tut dies der starken Wirkung des Abends keinen Abbruch. Das Ensemble wird mit herzlichem Applaus vom Publikum gefeiert. Doğan Akhanlı wird mit stehenden Ovationen gehuldigt. Anschließend hört man im Foyer viele lobende Worte von den ZuschauerInnen, die dem Ensemble und insbesondere dem Autor zu der erfolgreichen Arbeit gratulieren. „Doch,“ sagt eine Zuschauerin „schade, dass der Fokus auf Akhanlı liegt, es sind doch auch viele andere betroffen.“

Headerfoto: Stefko Hanushevsky © Krafft Angerer

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Hier findet ihr aktuelle Vorstellungstermine und weitere Informationen zu „Verhaftung in Granada“ auf der Website des Schauspiel Köln.