Stellwerk Magazin

Die Zukunft unserer Geschichte

Vorwort

Das Projekt Heritage on the Edge auf Google Arts & Culture soll anschaulich darstellen, welche Folgen der Klimawandel für die Kulturerbe-Stätten unserer Welt hat. Die InitiatorInnen arbeiten dabei mit modernster Technologie, um Veränderungen und Verluste zu erfassen und sichtbar zu machen.

By CyArk - CyArk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3173000 Laserscan-Modell des Tikal Tempel II in Guatemala © CyArk / CC BY-SA

Gerade in Zeiten des Corona-Virus, in denen das soziokulturelle Leben draußen aufgrund des Ansteckungsrisikos fast komplett zum Erliegen kommt, sind digitale Ausstellungsangebote auf Plattformen wie Google Arts & Culture eine gute Alternative, um auch von zu Hause aus Kultur zu erleben. So funktioniert beispielsweise das Projekt Heritage on the Edge, das von der kalifornischen Non-Profit-Organisation CyArk in Zusammenarbeit mit der UNESCO-Beratungsorganisation ICOMOS ins Leben gerufen wurde.

Gegründet wurde CyArk 2003 vom Ehepaar Ben und Barbara Kacyra. Der Anlass, dieses Projekt zu starten, war die Zerstörung der Buddha-Statuen von Bamiyan durch die Taliban im Jahr 2001. Diese waren mit 53 Metern Höhe damals die größten Buddha-Statuen der Welt. Erschüttert von der Vernichtung eines monumentalen Kunstwerks aus dem 5. Jahrhundert mit beträchtlicher kultureller und historischer Bedeutung, machten die beiden es sich zur Aufgabe, möglichst viele solcher Kulturerbe-Stätten digital zu archivieren und für eine größere Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Das Projekt Heritage on the Edge konzentriert sich zwar speziell auf die Auswirkungen des Klimawandels auf Weltkulturerbe-Stätten, aber auf ihrer Website machen die GründerInnen deutlich, dass diese Orte nicht nur durch die globale Erwärmung bedroht sind, sondern eben auch durch kriegerische Auseinandersetzungen, Tourismus, Vandalismus, Plünderungen, Rodungen oder simple Vernachlässigung. Aktuell zeigt sich das beispielsweise in den Bürgerkriegen in Syrien und im Irak: Die Altstädte von Aleppo und Damaskus stehen auf der Roten Liste des gefährdeten Weltkulturerbes, und in den Städten Mossul und Palmyra wurden durch den IS systematisch wichtige Kulturdenkmäler vernichtet.

Doch was lässt sich gegen diese Bedrohungen tun? CyArk zeigt eine Möglichkeit: Die Organisation unterstützt nicht nur die Menschen vor Ort, die sich für den Erhalt und Schutz der Stätten einsetzen, sondern fertigt auch Bauzeichnungen und umfangreiche Karten der Denkmäler an. Falls die Stätten weitgehend zerstört werden, lassen sich diese Karten dann für den Wiederaufbau nutzen. Das funktioniert mit Hilfe von Laserscantechnik: Die Bauten werden mehrmals mit einem Laserstrahl rasterartig überstrichen, beziehungsweise gescannt, um eine möglichst genaue Aufnahme der Oberfläche zu erstellen. Außerdem werden die Stätten sowohl vom Boden aus als auch von Drohnen aus der Luft fotografiert. Alle so entstandenen Bilder werden am Ende zu detailreichen 3D-Modellen kombiniert. Diese Karten und Aufzeichnungen möchte CyArk auf möglichst eindrucksvolle Weise teilen und kreiert dafür digitale Räume und Virtual-Reality-Umgebungen, in denen man sich die Ergebnisse ihrer Arbeit anschauen kann. Kacey Hadick, Archäologe und Projektentwicklungsleiter von CyArk, erklärt, dass die 3D-Modelle komplexe Phänomene auf einfache Art visuell darstellen, sodass jeder Betrachter schnell verstehen kann, worum es geht.

Die Moai am Rano Raraku Moai am Rano Raraku auf der Osterinsel © CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=681941

Heritage on the Edge ist das aktuelle Projekt, das CyArk auf Google Arts & Culture präsentiert. Hier werden fünf Kulturerbe-Stätten der Welt beispielhaft in den Blick genommen, die bereits jetzt unter dem Klimawandel zu leiden haben, darunter die berühmten Moai-Statuen auf den Osterinseln oder das Edinburgh Castle. Durch einen Klick auf „Erkunden“ kann man auf Entdeckungsreise durch ferne Landschaften gehen und imposante, geschichtsträchtige Bauwerke virtuell besichtigen. Dabei gibt es nicht nur beeindruckende Bilder und Videoaufnahmen zum Anschauen, sondern auch viele Unterkapitel, die wie kleine Abzweigungen zu verschiedenen Hintergrundinformationen führen. So kann man beispielsweise in Texten etwas über den historischen Zusammenhang erfahren, sich aber auch Interviews und O-Töne der indigenen Bevölkerung anhören und etwas über die persönliche Bedeutung der Stätten für die BewohnerInnen vor Ort lernen: Die Maoi gelten für die Menschen der Osterinsel als heilige Quelle von spiritueller Kraft und Energie und sind ein Teil ihrer nationalen Identität. Da sie so nah am Meer gebaut wurden, sind sie besonders anfällig für Küstenerosion und den ansteigenden Meeresspiegel. Viele der Figuren könnten schon bald ins Wasser absinken oder umstürzen. Für diesen Fall sind die 3D-Modelle der Bauwerke gedacht, mit denen man sich die Figuren in einer 360-Grad-Ansicht, ähnlich wie bei Google Street View, anschauen kann. Diese Modelle sind erstaunlich detailreich, verzeichnen jeden Stein und jede Furche, und zeigen auch Statuen, die schon umgestürzt sind. Außerdem erfährt man, wie sich der Klimawandel auf die Inseln selbst auswirkt und wie die Menschen vor Ort dagegen kämpfen. Ein Problem ist beispielsweise der wachsende Tourismus: 2017 kamen auf 7750 Einwohner etwa 120.000 TouristInnen, wodurch das Wasser knapp wird und die Müllproduktion steigt.

Aber die Seite beschäftigt sich nicht nur mit schlechten Nachrichten. Heritage on the Edge verweist ebenfalls auf die Pläne von ArchäologInnen und GeologInnen, die an sogenannten „adaptiven Strukturen“ wie Schutzwällen arbeiten, die die Effekte der Erosion abmildern und zum Erhalt der Moai beitragen können. Außerdem gibt CyArk das Wissen um die 3D-Techniken in Workshops an die lokalen Gemeinden weiter, die diese anschließend selbst anwenden und das Projekt fortführen können. Das ist wichtig, weil die 3D-Modelle mit ihrer Anschaulichkeit und Detailfülle dabei helfen, BetrachterInnen klarzumachen, wie sehr Veränderungen und Verluste sich an den Stätten bemerkbar machen können und wie dringlich das Thema ist. Gebäude und Denkmäler verfallen jetzt schneller als je zuvor, was zeigt, wie sehr sich das Klima allein in den letzten Jahren gewandelt hat und noch weiter wandeln wird. Die GründerInnen von CyArk wollen daran erinnern, dass die globale Erwärmung sich nicht nur auf uns und unsere Zukunft, sondern auch auf die Zukunft unserer Geschichte auswirkt: Viele kulturelle und historische Spuren der Menschheit könnten bald unwiederbringlich ausgelöscht werden, wenn nichts dagegen unternommen wird. Kacey Hadick zufolge ist der Klimawandel für viele Menschen immer noch etwas Abstraktes, das nichts mit ihnen persönlich zu tun hat: „Kulturerbe-Stätten sind mehr als nur Gebäude, sie sind ein symbolischer Teil unserer Vergangenheit und unserer Identität.“ Indem Heritage on the Edge die Auswirkungen des Klimawandels auf Weltkulturerbe-Stätten zeigt, will das Projekt das Abstrakte greifbar und konkret machen und ein Aufruf zum Handeln sein.

Headerbild: Moai am Ahu Tongariki © Rivi - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=681925

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