Stellwerk Magazin

Rap aus tiefster Seele

Vorwort

Mit dem Release seines Solo-Debüts „Golem“ stülpt Rapper Tarek K.I.Z einen Teil seines Innenlebens nach außen. Bereits in der Vergangenheit war er das Bandmitglied von K.I.Z, das sich am ehesten traute auf ironische Brechungen zu verzichten und Einblicke in die Abgründe seiner Seele zu gewähren. Zurecht landete sein Album Anfang des Jahres auf Platz 1 der deutschen Albumcharts.

Fette Goldketten, leicht bekleidete Tänzerinnen, protzige Autos und eine machistische Gangster-Attitüde – das sind Bilder, die viele Menschen immer noch assoziieren, wenn von Rap die Rede ist. In Teilbereichen des Genres, wie zum Beispiel im Straßenrap, entspricht dies durchaus der Realität. Allerdings ist Straßenrap eben lediglich das: ein Teilbereich. Die Deutschrap-Landschaft hat schon längst viel mehr zu bieten. Besonders in den letzten Jahren hat in dem Genre ein erheblicher Wandel stattgefunden, der auch leisere Töne und Raum für Komplexität zulässt. Ein Trend, der durch das Offenlegen der eigenen Verletzlichkeit und eine kunstvolle Sprache auffällt. Einer seiner Protagonisten ist Tarek Ebéné.

Lyrische Qualität in „Golem“

In seinem Ende Januar erschienenen Album nimmt Tarek die ZuhörerInnen mit auf eine autobiografische Reise und führt sie mit schonungsloser Offenheit durch schmerzhafte Kapitel seiner Vergangenheit. Track für Track verschafft er uns einen immer tieferen Zugang zu seiner Gefühlswelt, bis man sich plötzlich zwischen ihm und seinem Stiefvater wiederfindet; die beklemmende Spannung im Song „Wenn du stirbst“ körperlich spürbar wird. Tarek benötigt nicht viele Worte, um solche komplexen Momente nachempfindbar zu machen. Prägnante Zeilen wie: „Ich lebe erst, wenn du stirbst“ verdeutlichen die Wut und den Schmerz, den er gegenüber seinem Stiefvater bis heute in sich trägt. Ihm gelingt eine Verdichtung der Sprache bis zu dem Punkt, dass sie eine lyrische Qualität annimmt. Während man von Zeile zu Zeile durch die Songs gleitet, entstehen immer wieder Bilder im Kopf, die einen schockartig gefrieren lassen. Und das nicht wegen des erschütternden Inhaltes, sondern weil seine Worte so zielgenau ins Innerste treffen und dort etwas auslösen. So erzeugt beispielsweise der Satz „Ich bin in schlechter Gesellschaft, wenn ich alleine bin“ aus „Kaputt wie ich“, ein beunruhigendes Echo.

Tarek selbst erklärt, dass für ihn die Kunst, Gefühle im Text so authentisch zu transportieren, darin liegt auch dann weiterzuschreiben, wenn es so langsam unangenehm wird: „Wenn du so anfängst darüber nachzudenken, ‚ist das jetzt gerade zu privat?‘ Ich denke, dann wird’s interessant.“1https://www.youtube.com/watch?v=kUZ7S0pCZeM&t=611s Man bekommt es hier also mit komplexen emotionalen Innenwelten zu tun und nicht mit dem Zurschaustellen einer eingeübten Attitüde. Und das ist der Punkt. Die Offenlegung von intimsten Gefühlen und Gedanken machen die Songs besonders. Das Abschlusslied des Albums, „Frühlingstag“, widmet Tarek seinem kürzlich an Krebs verstorbenen Vater. Er erzählt darin von seiner engen Beziehung zu ihm, von den letzten Tagen vor dessen Tod und der Verbundenheit durch die Musik: „Egal, was ich schreibe, es genügt mir nicht. Jedes Mal, wenn ich den Text anfang‘, verschwimmt die Schrift.“

Therapeutische Wertschöpfungskette

Zeilen wie diese sind berührend, aber Tarek ist nicht der erste, dem das gelingt. Zahlreiche RapkünstlerInnen verhandeln seelische Abgründe in ihrer Musik: Depressionen, das Leben in Armut, Liebeskummer oder den Tod eines geliebten Menschen. Felix Kummer gibt tiefgründige Gedanken und Selbstzweifel preis; KeKe rappt über ihre Ängste und Panikattacken; Disarstar geht offen mit seiner schweren Kindheit und depressiven Zuständen um – nur wenige Beispiele von vielen. Das Rappen über seelische Abgründe ist kein neues Phänomen in der Deutschrap-Szene, aber wie hier Gefühle textlich verarbeitet werden hat eine neue, körperliche Qualität. Man bekommt beim Hören nicht nur einen Eindruck von den beschriebenen Zuständen, sondern erlebt mit, was in den KünstlerInnen vorgeht – fühlt, was sie fühlen. Die KünstlerInnen zeigen sich ehrlicher, offener und verletzlicher, das transportiert eine Menge Emotionen. Die Erzählweise lässt sich fast schon wie eine therapeutische Wertschöpfungskette lesen: KünstlerInnen setzen sich mit ihrem Innenleben auseinander und verarbeiten den Schmerz in ihrer Musik; den ZuhörerInnen werden damit wiederum möglicherweise heilsame Identifikationsangebote gemacht.

Rap ist schon immer eine Form von Zustandsbeschreibung gewesen. Zur Zeit seiner Entstehung in den 1970er Jahren in New York standen äußere Zustände im Vordergrund textlicher Verarbeitung: Armut, Ungerechtigkeit, Drogenmissbrauch und Polizeigewalt in den Ghettos. Heute richtet sich der Blick ins Innere und so legt auch Tarek mit seinem Debüt einen Seelenstriptease hin und teilt intimste Momente seiner Vergangenheit mit der Öffentlichkeit. Was genau der Realität entspricht und was nicht bleibt stellenweise unklar, aber es spielt am Ende gar keine Rolle. Was echt ist, das ist die Leidenschaft, mit der Tarek dieses Album produziert hat und die Gefühle, die er mit seiner Sprachkunst auszulösen vermag.

Headerfoto: © Gerngross-Glowinski