Stellwerk Magazin

Rezension All ends with beginnings – KIPPENBERGER! Ein Exzess des Moments

Vorwort

Wie ist die nachträgliche Inszenierung eines historischen (Künstler-)Lebens möglich? Und noch dazu dasjenige eines Künstlers, welcher selbst offensichtlich ziemlich viel inszeniert hat – am liebsten sich selbst.

Schweigen. Fünf Menschen sitzen in einer Stuhlreihe am vorderen Rand der Bühne, dem Publikum zugewandt. Eine Frau fängt plötzlich an zu erzählen. Wie sie ihn kennenlernte, den Martin, wie er so war. Der Startschuss für Alle. Nacheinander erinnert man sich an Kippenberger. Doch es entsteht kein Dialog, kein Austausch. Jeder der Fünf erzählt den Zuschauern seine eigene Geschichte. Der Kenner kann herauslesen, dass es sich unter anderem um Diedrich Diederichsen, Inga Humpe, Joachim Lottmann, Gisela Stelly handelt, doch das ist gar nicht so wichtig. Denn an diesem Abend wird nicht nur über Kippenberger geredet, "Kippi" gespielt oder ein Szene-Stück präsentiert – es wird vor allem das In-Szene-setzen in Szene gesetzt.
Zurück zu den Stühlen: Diederichsen springt auf und ist auf einmal nicht mehr Diederichsen sondern ein x-beliebiger Schauspieler. Zusammen mit seinen Kontrahenten bewirbt er sich um die Rolle des Kippenberger; eine Filmbiographie soll entstehen, von der der Zuschauer auf der Leinwand auch schon einige Ausschnitte zu sehen bekommt. Süffisant wird nämlich sogleich die nachgestellte und von einer allwissenden Off-Stimme kommentierte Realität eines solchen belehrsamen "Docutainments" parodiert: Kippenberger als cholerischer Exzentriker an der Kunsthochschule, Kippenberger beim Saufen – Künstlerklischees.

Zugegeben: Der Effekt, der entsteht, wenn diese Art von Sonntagvorabend auf eine Leinwand im Theatersaal projiziert wird, ist ziemlich lustig; doch mehr als ein netter Gag ist es vorerst nicht. Und noch hat das Stück nicht beweisen können, dass es eine subtilere Herangehensweise anzubieten hat als die dröhnende Ersatzrealität des deutschen TVs. Aber nun kommt er ja endlich selbst zu Wort: Kippenberger. Nicht um uns eine vermeintlich bessere, autorisierte Realität zu liefern. Es ist auch nicht der Kippenberger, sondern eben immer einer von vielen, im Wechsel gespielt von den Fünfen. Sind das noch unsere vorsprechenden Darsteller von eben, die den Kippenberger mimen? Oder lässt uns Richter hier einen, im Rahmen des Theatralen, "echten" Kippenberger erleben? Die Grenzen zwischen dargestellter Mimikry und unmittelbarer Darstellung verschwimmen und fordern eine Reflexion des Mediums heraus: Wie ist die nachträgliche Inszenierung eines historischen (Künstler-)Lebens möglich? Und noch dazu dasjenige eines Künstlers, welcher selbst offensichtlich ziemlich viel inszeniert hat – am liebsten sich selbst.

Riesige Gemälde dienen den fünf Schauspielern als Spielplatz, Fluchtpunkt, Kulisse. Und auch diese Bilder haben nicht den einen Bezug zur Bühnenwirklichkeit. Zu Beginn ist da ein Abbild von Kippenbergers Stammlokal, der Paris-Bar, das aus purem Witz heraus wie ein tatsächlich dreidimensionaler Raum bespielt wird, wenn eine Darstellerin etwa ihr Weinglas auf dem gemalten Tisch abzusetzen scheint. Ein anderes Mal steht eine riesige Seelandschaft mit rätselhaft schöner Kläranlage auf der vorderen Bühne. Ohne irgendeinen erkennbaren Bezug zur "Handlung" des Stücks. Die Gemälde besetzen keinen angestammten Platz innerhalb der Logik des Stücks und erfüllen auch keine einheitliche Funktion. Sie werden umher geschoben, nebeneinander gestellt und auch wieder weggerollt. Dies ist keine Museumsschau, sondern ein nettes Spiel mit und um Repräsentationsstrategien, dem Bild im Bild.

Kippenbergers Weggefährten, "Kippis" Freunde und Kippenberger-Darsteller – das Stück montiert diese drei Realitäten ein wenig selbstgefällig, aber doch elegant ineinander. Aus der Collage von Zitaten, re-enactment und Improvisationen fächert es dem Zuschauer eine Brise der längst vergangen Kölner Kunstszene der 80er Jahre zu. "Atmosphere", nicht Authentizität. Historie, nicht "History". Und Spaß statt Substanz. In dieser Leichtigkeit besteht auch Richters Leistung an diesem Abend. Denn der hehre Anspruch des Stücks könnte in seiner Umsetzung natürlich schnell anstrengend werden. Wird er aber nicht. Zum einen lockern die Musikeinspielungen das Zuschauergehirn auf, welches sich an diesem Abend nicht von einer Handlung berieseln lassen darf, sondern immerhin gefordert ist, den ständig wechselnden Erzählebenen zu folgen; da wären unter anderem Songs von David Bowie und den Dead Kennedys. Zudem beweist Richter trotz der Erzähllastigkeit Mut zur Länge und das ist klug. Denn es sind gerade diese Längen, die, exzellent gespielt, in Erinnerung bleiben. Ein Höhepunkt ist hierbei der von Yuri Englert vorgetragene Schildkrötenwitz, der sich in Nebensächlichkeiten verliert und, wie beim historischen Witze-Erzähler Kippenberger, dabei die Pointe grandios zur Nebensache werden lässt.

Was der Literaturwissenschaftler Uwe Japp in Bezug auf Rainald Goetz' Künstlerdrama Jeff Koons als Phänomen der "Diffundierung des singulären Künstlersubjekts zu Gunsten einer personalen Pluralität oder 'Szene', begleitetet von der medialen Umdeutung des Künstlers" beschreibt, trifft sicherlich auch auf KIPPENBERGER! zu. Jedoch mit Einschränkungen. Denn die Multiperspektivität und -medialität in dieser Inszenierung kennt nämlich nur einen Fluchtpunkt: KIPPENBERGER! Die Widerfahrnisse der Protagonisten, zum Beispiel von Elfie Semotan (seine Lebenspartnerin und Mutter seines Kindes) sind nur im Hinblick auf Kippenberger interessant, was, wer und wie er war. Die singuläre Künstlergestalt verharrt an diesem Abend also unangefochten auf ihrem Sockel. Jedoch: Es lässt sich beobachten, wie sich die Spannungsrelation Leben – Talent neu formuliert. Mit Kippenberger haben wir einen Künstler des 20. Jahrhunderts, der nicht sein Talent gegen das Leben aufzubringen hat, sondern der sein Leben zu seinem Talent erklärt. "Mit Kunst habe ich nie viel zu tun gehabt eigentlich" sagt er mal. Und: "Wenn Hirn und Welt zufällig übereinkommen, das ist großartig". Diese Kippenberger-Version stellt sich nicht als autarker Malerfürst dar, sondern überlässt ziemlich viel dem Zufall – und anderen. Denn selbst gemalt hat Kippenberger seine Gemälde nicht immer. Ihm war die Idee wichtiger.

"Like the legend of the phoenix, all ends with beginnings". Mit Daft Punks Get Lucky endet Angela Richters Inszenierung von KIPPENBERGER! im wohligen Hintergrundsound des Jahres 2013. Die Liedzeile passt. Denn nach rund zwei Stunden hat auch der Theatergänger im Schauspiel Köln nicht den Eindruck, dass dies nun das endgültige dramaturgische Wort zu Martin "Kippi" Kippenberger ist. Vielmehr könnte sich der Vorhang gleich noch einmal heben und denselben Stoff genauso gut, nur ganz anders präsentieren (wenn es denn in der Interimsstätte des Carlswerks einen Vorhang gäbe). Doch anstatt der Beliebigkeit anheim zu fallen, demonstriert Angela Richters Inszenierung die variable Darstellbarkeit eines Künstlerlebens und setzt dem enfant terrible ein theatrales Denkmal in Köln, das sein Ausrufezeichen durchaus verdient hat. Und was da eigentlich vor so langer Zeit in Köln wirklich los war, ist ja eigentlich nebensächlich.

Foto: Marek Harloff, Melissa Logan, Judith Rosmair, Yuri Englert, Malte Sundermann (v.l.n.r.) (Sandra Then | Schauspiel Köln)

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