Stellwerk Magazin

Rezension JUDITH

Vorwort

Eine Märtyrerin, die ihren Leib im Bett hingibt, um ihr Volk zu retten. Eine todesmutige, schrecklich schöne, junge Frau gegen den rücksichtslosen Heerführer. Oder ist er auch ihr Verführer? Hebbels Version des Stoffes von Judith und Holofernes schildert den Kampf zwischen einem Mann und einer Frau, ebenbürtig in ihrem Mut und ihrer emotionalen, beziehungsweise erotischen Unersättlichkeit.

Es ist die aus den apokryphen Schriften der Bibel entlehnte Geschichte der Jungfrau Judith, die sich dem babylonischen Tyrannen Holofernes entgegen stellt, der ihre Stadt belagert, ihn verführt und bezwingt. Zu Beginn ist der Kampf noch kein Thema. Das Leben im Heerlager des Holofernes ist eine einzige Party: Er säuft, lässt jeden Tag anderen Göttern opfern, weil sie ihm nichts bedeuten und ihm ein Einziger zu langweilig wäre. Er und seine Krieger, allesamt darauf getrimmt, zu kämpfen und zu töten, haben Mühe, sinnvollen Zeitvertreib zu finden. Sie werden wieder wie kleine Jungen: albern herum, raufen und brüllen. Sie haben Länder überrannt, unterworfen und befinden sich in der misslichen Lage, dass sich fast alle Gegner inzwischen freiwillig ergeben. Einzig die ebräische Stadt Bethulien will sich noch nicht unterwerfen. Eigentlich ein Himmelfahrtskommando, zumal Holofernes geschworen hat, jenes Volk gnadenlos auszulöschen, das sich ihm als Letztes unterwirft. Es kommt zum zermürbenden Belagerungszustand in Bethulien. Das Wasser wird knapp, das Volk hysterisch. Und Holofernes? Der wartet einfach ab. Er hat Zeit. Und Gott? Der schweigt.

Eigentlich könnte es drei Größen in diesem Stück geben: Holofernes, Judith und Gott. Doch Gott ist bei Hebbel abwesend. Dafür ist Holofernes omnipräsent. Und bei Paulhofer ist er es umso mehr. Ihr Holofernes ist ein super-potenter, verwegener Krieger, ein Bild von einem Mann, spöttisch verachtender Übermensch, ein Schatten, der sich über alles legt, selbst wenn er nicht zu sehen ist. Die Inszenierung wird maßgeblich von Robert Dölles1Der Autor ist mit dem Darsteller Robert Dölle nicht verwandt! Darstellung des Holofernes getragen. Er schafft es, den siegestrunkenen und gleichzeitig halb den Verstand verlierenden Feldherrn überzeugend zu spielen. Denn die unantastbare Überlegenheit beginnt den Holofernes allmählich zu zermürben. Es gibt keine Herausforderungen mehr, keinen Nervenkitzel. Er wird paranoid, ersticht sich beinahe selbst im Schlaf. Durch Dölles Physiognomie wird Holofernes gleichzeitig zum grinsenden Kobold. Und das Stück bezieht nicht wenig Kraft und Unterhaltungswert aus dem Spiel zwischen ihm und seinen Hauptmännern. Diese wollen ihm gefallen, eifern ihm nach, machen jeden blöden Spaß mit. Irgendwann bewerfen sie sich mit Mandarinen, Holofernes tanzt, wild brabbelnd, mit goldenem Helm à la "Daft Punk", durch den Sand, und setzt seine Männlichkeit provokativ in Szene: Er hält sich den Weinkrug vor das Geschlecht und beginnt in mächtigen Stoßbewegungen, seine Untergebenen mit dem roten Saft zu bespritzen. Derweil übergießt sich Judith in Bethulien mit heißem Kerzenwachs. Die jungfräuliche Witwe glaubt, im Hungerstreik von ihrem Gott den Auftrag zu bekommen, Holofernes zerstören zu müssen. Julischka Eichel schafft eine spannende Darstellung der Figur, wenngleich diese ihr einiges an Kraft abverlangt.

Hebbels Vorlage scheint Judith gegen Ende verrückt werden zu lassen; bei Paulhofer ist sie es von Beginn an. Verstört wegen ihrer Ehe und der Bürde ihrer unfassbaren Schönheit. Ihre körperlichen Begierden finden in Holofernes ein Objekt der Erlösung. Das Ende: Judith schafft es, ihrer treu ergebenen Dienerin Mirza vorzugaukeln, dass sie ihr Volk verraten wolle – Holofernes hingegen durchschaut sie, ist aber von ihrer Schönheit fasziniert und lässt sich auf ein Liebesspiel ein. Er ist des nichtigen Lebens überdrüssig und läuft mit offenen Armen in die Falle, die er zumindest erahnt. Doch kann es ein schöneres Ausscheiden aus dem Leben geben, als nach dem Sex mit der schönsten Frau weit und breit? Die sexuelle Vereinigung der Beiden wird dem Zuschauer allerdings vorenthalten. Holofernes und Judith tanzen kurz zu treibenden Beats auf dem Dach des Bunkers und tauchen dann ab. Wenige Sekunden später rinnen Blutbäche vom Dach des Bunkers. (Ein visueller Schock: Holofernes hat seinen Kopf verloren.)

Das übrige Geschehen besteht zu großen Teilen aus Geschrei: Der Chor der Bürger, hysterisch, skandierend, sich im Tumult immer neuen Wortführern anschließend, beschreit das Depot I des Schauspiel Köln und hinter Judith trottet stets ihre treudoofe Dienerin Mirza (Julia Riedler) einher, die von Beginn an heiser klingt. Heiser vom unermüdlichen Einreden auf Judith – die sich natürlich nie reinreden lässt. Sie kennt ihren Weg und der führt ins Lager des Feindes. Erliegt sie seiner großen Anziehungskraft? Sie war gewarnt worden: Holofernes tötet Frauen mit seinen Worten, hatte man ihr gesagt.

Um die Bühne läuft immerfort ein Kameramann, gekleidet wie ein Kriegsberichterstatter im Irak, dessen Kamerabilder live auf die Wände des Bunkers projiziert werden und spannende visuelle Dopplungen ergeben und die Möglichkeit, die Beziehung der Figuren zueinander visuell noch deutlicher darzustellen. So sprechen Feinde und Untergebene manchmal nur mit Holofernes überdimensionalem Videoabbild auf der Bunkerwand, während er von oben herabblickt. Diese Arbeitsweise lässt Details und Mimik besser erkennen, öffnet andere Blickwinkel auf die Akteure, erzeugt durch Großaufnahmen eine extreme Nähe zwischen Zuschauern und Figuren oder schafft durch Untersichten kinematografische Überhöhungen der Charaktere.

Bei einem Stück wie JUDITH muss sich der Regisseur der Herausforderung stellen, zwei große Figuren mit ihren sehr pathetischen Auftritten und Texten modern zu inszenieren. Paulhofer verlegt die Handlung nicht in die heutige Zeit, aktualisiert sind nur Kostüm und Bühnenbild, wobei Reminiszenzen bleiben, um den biblisch-archaischen Kontext zu wahren. Dies gelingt sehr gut, das Stück punktet mit viel schöner Gestalt und auch mit Unterhaltungswert. Doch bleiben schwierige Stellen, die diese Inszenierung nicht so souverän bewältigt. Problematisch ist eine von Beginn an wirr und hysterisch sprechende Judith, die mit einer sich heiser schreienden Dienerin an der Seite einen anstrengenden auditiven Genuss darstellt. Der Chor tut sein Übriges. Und dem Schlussgespräch zwischen Judith und Mirza (und Gott, falls er denn da sein sollte) mangelt es leider an Spannung. Judith hält Holofernes goldenen Helm in ihren Händen, durch dessen Visier man sein Gesicht erkennen kann. Letzterer rutscht leblos neben die beiden Frauen, als sei es notwendig, auf diese dramatische Weise zu zeigen, dass er, das Böse, potenziell immer noch präsent ist.

Paulhofers JUDITH ist nicht perfekt, es ist kein Totaltheater, aber es ist eine schöne Inszenierung des Stoffes mit tollen Darstellern, auch zu heiteren Momenten in all der Dramatik fähig und ohne Durchhänger.

Foto: Julischka Eichel, Robert Dölle (v.l.n.r.) (Klaus Levebvre | Schauspiel Köln)

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