Stellwerk Magazin

Rezension Kafkas "Amerika" am Schauspiel Köln

Vorwort

“Der Verschollene” oder “Amerika” - Moritz Sostmann hat sich für letzteres entscheiden. Seine AMERIKA-Inszenierung am Schauspiel Köln bringt Kafkas Romanfragment als Interaktion zwischen Schauspielern und Puppen auf die Bühne.

"Das große Theater von Oklahoma ruft euch! Es ruft nur heute, nur einmal! Wer jetzt die Gelegenheit versäumt, versäumt sie für immer! Wer an seine Zukunft denkt, gehört zu uns! Jeder ist willkommen! Wer Künstler werden will, melde sich! Wir sind das Theater, das jeden brauchen kann, jeden an seinem Ort!"

Mit diesem Zitat aus dem gleichnamigen Romanfragment von Franz Kafka beginnt das Stück AMERIKA, das am 6. Dezember 2013 im Depot 2 Premiere feierte. Der rote Vorhang ist noch geschlossen, nacheinander treten drei Herren in grauen Anzügen auf die Vorbühne. Jeder der Drei wird lediglich von dem Geräusch seiner eigenen Schritte begleitet, nacheinander tragen sie den obigen Text vor. So beginnt die Inszenierung, in der der Regisseur Moritz Sostmann Schauspieler und Puppen gemeinsam auf der Bühne spielen und interagieren lässt. Generell behält das Stück in der Umsetzung eine starke Nähe zur Textvorlage bei. Moritz Sostmann setzt jedoch interpretatorische Akzente, indem er seine Inszenierung mit dem Romanschluss - dem Theater von Oklahoma - beginnen lässt. Von Anfang an wird die Lebensgeschichte Karl Roßmanns als großes Theater inszeniert, in dem er selbst jedoch stets nur eine Rolle zugeteilt bekommt. Durch sie bekommt er seinen Platz in der Gesellschaft. Das Theater, das jeden braucht, jeden will. So wie Karl wird auch der Zuschauer von den drei Herren angesprochen, wird Teil des großen Theaters von Oklahoma.

Der 16-jährige Karl Roßmann, der von seinen Eltern nach Amerika geschickt wird, weil er von einem Dienstmädchen verführt wurde und dieses geschwängert hat, kann sich seine Rolle nicht aussuchen. Er landet ohne englische Sprachkenntnisse und nur mit einem Koffer Habseligkeiten ausgestattet im großen und fremden Amerika. Er trifft immer wieder auf Menschen, die ihn zunächst freundlich aufnehmen, dann jedoch schon nach kurzer Zeit wieder von sich stoßen. Der Regisseur setzt einen deutlichen Akzent auf den absurden Charakter bestimmter Szenen aus dem Romanfragment und verstärkt sie durch eine überspitzte Darstellung, etwa in der Szene, in der Karl Roßmann von Klara sexuell belästigt, regelrecht misshandelt wird. Während in der Inszenierung der sexuelle Übergriff auf die Spitze getrieben wird, bleibt es in der Textvorlage lediglich bei der Andeutung sexueller Absichten. Das befremdliche Moment wird insbesondere dadurch verstärkt, dass Karl Roßmann als einzige Romanfigur durch eine Puppe dargestellt wird. Die Vergewaltigung der Puppenfigur Karl Roßmanns macht die an sich schon groteske Szene noch grotesker.

Es ist vor allem der Einsatz der Puppen, der diese Inszenierung so besonders macht. Karl Roßmann wird durch unterschiedlich große Puppen auf die Bühne gebracht. Über die Bühne geführt und gelenkt wird er durch die Schauspieler selbst, die somit nicht nur ihre eigene Figur, sondern zusätzlich auch diejenige Karls animieren müssen. Die Karl Roßmann-Puppe kann sich nur durch die Schauspieler bewegen, kann auch nur durch ihre Stimmen sprechen. Darüber hinaus wurden von den Darstellern, innerhalb der Dialoge, auch Textpassagen des Erzählers übernommen. Wunderbar wird so das Moment der Fremdbestimmung, das Kafkas Figuren stets anhaftet, in Szene gesetzt. Als Puppe ist keine Selbstbestimmung möglich.

Thema des Stücks ist natürlich auch Amerika selbst. Ein Land, das wie kein zweites mit der Vorstellung von Freiheit und unbegrenzten Möglichkeiten behaftet ist. Auch Kafkas Amerika-Bild ist nur Vorstellung, da er selbst nie in Amerika war. Doch sein imaginiertes Bild verkehrt das positive Moment von Freiheit in sein Gegenteil. Somit inszeniert Sostmann mit seinen kleinen Puppen eben jene Verlorenheit, Hektik und Orientierungslosigkeit, die durch Kafkas ursprünglichen Titel "Der Verschollene" vermutlich stärker zur Geltung kommt, als durch Max Brods nachträglich eingesetzten Titel "Amerika". Das Individuum als Puppe: Klein und unbedeutend ist es dem großen Amerika ausgesetzt. Karl Roßmann gelangt zu dieser "Erkenntnis" erst ganz zum Ende des Stücks. Der Vorhang ist an dieser Stelle bereits wieder zugezogen, eine kleine Puppe befindet sich alleine auf der Bühne und eine Erzählerstimme schließt das Stück mit dem Zitat: "Jetzt erst begriff Karl die Größe Amerikas."

Foto: Philipp Plessmann, Magda Lena Schlott (v.l.n.r.) (Sandra Then | Schauspiel Köln)

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