Stellwerk Magazin

Podiumsdiskussion Zum politischen Theater bitte hier entlang!

Vorwort

Am Schauspiel Köln trafen am 18.01.14 auf Einladung des Kölner Literaturwissenschaftlers Michael Eggers der Theaterwissenschaftler Benjamin Wihstutz, die Kritikerin Eva Behrendt, der Dramaturg Jens Groß und der Autor und Regisseur Milo Rau aufeinander. Gemeinsam stellten sie die Frage nach dem Gegenstand und der Wirkung, nach dem Wesen des politischen Theaters.

Sie gehen gerade aus und nehmen dann die zweite links - nein halt! Mehr rechts oder doch – Moment - am besten gehen Sie zurück zum Dokumentartheater und fragen da nochmal nach! Und schon hat man sich verstrickt in einem Dschungel von Begrifflichkeiten beim Versuch das aktuelle politische Theater zu definieren. Licht ins Dunkel brachte die Podiumsdiskussion "ACT NOW – aktuelles politisches Theater" - eine Kooperation des Kölner Schauspiel und der Universität zu Köln. Den teils kontroversen Thesen des Diskussionsleiters Michael Eggers, Dozent für neuere deutsche Literatur, stellten sich vier Teilnehmer, die an unterschiedlichen Knotenpunkten in den Bereichen Produktion und Rezeption von Theaterstücken beteiligt sind. In ihren Redebeiträgen gewährten Regisseur und Autor Milo Rau, die Kritikerin Eva Behrendt, der Dramaturg Jens Groß und der Theaterwissenschaftler Benjamin Wihstutz Einblicke in die aktuelle Entwicklung des politischen Theaters.

Eine Wegbeschreibung à la Zum-Politischen-Theater-bitte-hier-lang gab es jedoch nicht. Die direkte Frage nach einer konkreten Definition des politischen Theaters wurde gekonnt umschifft. Wohlwissend, dass eine Antwort darauf zu geben ähnlich schwierig ist wie auf die Frage zu antworten, was Theater zu Theater oder gar Kunst zu Kunst macht. Stattdessen standen aktuelle Tendenzen, die Umsetzung in verschiedenen Produktionen der letzten Jahre und die Wirkung im Vordergrund. Alles Themen, die dem Publikum auch ohne klar umrissene Definition eine Vorstellung davon vermitteln, was man unter aktuellem politischen Theater zu verstehen hat. Auch wenn es in vielen Punkten unterschiedliche Meinungen gab, herrschte bezüglich der Wirkung doch Einigkeit. Maßgebliches Stichwort hierbei: Dissens. Dissens zwischen Bühnengeschehen und Publikum, zwischen Theater und Wirklichkeit, der einen Diskurs zwischen den beiden Seiten auslösen soll, der im besten, aber seltenen Falle, aus dem Theater hinaus getragen wird.

Ist das politische Theater wieder auf dem Vormarsch?

Zu Beginn der Diskussion stellte Michael Eggers zur jüngsten Entwicklung die These auf, dass es in den letzten Jahren eine Zunahme des politischen Theaters gegeben habe. Dieser These wurde nur teilweise zugestimmt. Der Dramaturg Groß etwa sprach in diesem Zusammenhang von "Wellenbewegungen", eines Auf- und Abwärtstrends unterschiedlicher Strömungen. Ob das gewählte Thema für das Publikum Relevanz besitze, hinge nicht vom Ensemble ab. Auch spiele der angestrebte Diskurs zwischen Theater und Publikum eine entscheidende Rolle im Bezug auf das Gelingen der Politisierung eines Stückes. Er sprach dem Zuschauer die Entscheidungshoheit über die politische Tragweite zu:

"Es gibt viele, die wollen politisch sein, aber ob das dann politisch ist, kann meiner Ansicht nach nur der Zuschauer entscheiden."

Theater der Antragskultur

Benjamin Wihstutz gab zwar an, dass wieder mehr Künstler den Anspruch an sich stellten politisches Theater zu machen, bemerkte aber auch, dass das Theater über eine viel größere Bandbreite an Richtungen verfüge, was das politische Theater nur zu einem unter vielen mache. Hinsichtlich der speziellen Förderpolitik von Bund und Ländern waren sich Wihstutz und Eva Behrendt einig, dass Stücke mit politischem Inhalt bessere Chancen auf Zuschüsse hätten, und sich politisches Theater deshalb eher in einem institutionellen Rahmen abspiele. Wihstutz fügte noch hinzu:

"Man könnte jetzt fast provokant sagen, es ist fast schon politisch, wenn man sagt, ich mach' unpolitisches Theater."

Aber es gibt auch Ausnahmen, die versuchen politisches Theater jenseits bürokratischer Antragskultur auf die Bühne zu bringen. Die Theaterkritikerin Behrendt nannte hierbei vor allem Christoph Schlingensief, der als einer der großen Vorreiter des aktuellen politischen Theaters selbst Schulden auf sich nahm, um seine Inszenierungen außerhalb des institutionellen Rahmens zu realisieren. Milo Rau vertrat die Meinung, dass man durch diese Art der Förderpolitik "in gewisser Hinsicht [gezwungen sei] Anträge zu schreiben und nachher etwas anderes zu tun." Für Jens Groß spielt die Antragskultur glücklicherweise keine Rolle mehr. Vielmehr setze er, als stellvertretender Intendant des Schauspiel, auf Pluralität im Spielplan und ein breitgefächertes Programm.

Ästhetische Differenz: Theater und Alltag

Den nächsten Punkt auf der Agenda bildete die grundlegende Frage nach der formalen Theaterentwicklung, und ob sich diese immanent oder gesellschaftlich bedingt vollziehe. "Immer beides", gab Wihstutz als "platte Antwort" zu Protokoll. Die veraltete, nicht mehr in die heutige Gesellschaft passende "Form der Versammlung" sei das "Dispositiv“ des Theaters. Theater müsse mit dem Publikum in einen Dialog treten, da es nicht ausreiche der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. Die Politisierung eines Stückes ergebe sich erst durch die "ästhetische Differenz“ von Bühnenthema und Alltag. Es ist die Differenz zwischen dem Alltag und den Dingen, die auf der Bühne gesagt und getan werden, jedoch in der Realität so auf gar keinen Fall stattfinden können. Wihstutz führte als Beispiel dafür den Hitlergruß an, der im realen Leben undenkbar wäre, im Theater aber durchaus gezeigt werden könne. Auch Rau versucht Dinge so stattfinden zu lassen, wie sie eigentlich nicht sein können. Als Beispiel dafür nannte er die Verlesung von "Breiviks Erklärung“ in Räumen, in denen dies real undenkbar wäre. In beiden Beispielen deutet sich die grundlegende Essenz des politischen Theaters an: Dissens mit dem Publikum herzustellen, es zum Nachdenken zu bringen, einen Transfer des Metaphorischen von der Bühne in die Realität zu leisten.

Act Now - Aktuelles politisches Theater

Milo Rau, Eva Behrendt, Benjamin Wihstutz, Jens Groß, Michael Eggers (v.l.n.r)

Fiktionalisierung der Realität

In manchen Produktionen ist der Unterschied zwischen Bühne und Realität aber schwer auszumachen. Eggers sprach über die Tendenz des politischen Theaters, sich von der Fiktionalisierung weg zu entwickeln. Für manche Produktionen mag dies auch zutreffen. Behrendt verwies in diesem Kontext auf das Vorgehen des Rimini Protokolls, das 2009 zweihundert Theatergängern Zutritt zur Aktionärshauptversammlung der Daimler AG verschafft hatte, um den Zuschauern die Versammlung als straff durchstrukturierte Inszenierung der Wirklichkeit zu präsentieren. Behrendt spricht dabei von einer Entwicklung weg von Schauspielern, Regisseuren und Textgrundlage, hin zum echten Menschen, der im echten Leben in diese auf der Bühne vorgetragenen Prozesse involviert sei. Rau widersprach infolge Eggers Unterstellung, er würde in seinen Inszenierungen komplett auf Fiktionalisierung verzichten. Ganz das Gegenteil sei der Fall. Der Inhalt sei eine Collage aus realen und fiktiven Texten, ein Weglassen und Hinzufügen von Material. Diese löse beim Zuschauer eher den Impuls aus, zu sagen: “Ja, so wars!“ Diese Wirkung zeige sich beispielsweise bei seinem Projekt "Hate Radio“, das die Stimmung während des Völkermords in Ruanda widerspiegle.

Der Dialog mit dem Zuschauer

Wichtig beim politischen Theater ist also nicht unbedingt das Was, sondern vielmehr das Wie. Es geht hierbei nicht um Provokationen, sondern darum mit dem Publikum in Dialog zu treten. Es geht darum eine kontroverse Auseinandersetzung zu erzeugen über Themen, die für den Zuschauer relevant sind. Doch wer ist dieser Zuschauer überhaupt? Wen erreicht das politische Theater? Eine berechtigte Frage, die am Ende der Diskussionsrunde auch aus dem Zuschauerraum gestellt wird: "Erreichen Sie denn auch ein anderes Publikum als das links-liberale Publikum, mit dem sie sowieso schon im Konsens sind?" Jens Groß ist sich sicher, dass schon allein aufgrund des Interim-Standorts Mülheim ein anderes Publikum erreicht werde. Milo Rau hingegen bezweifelt dies: Man gehe bewusst ins Theater oder eben nicht. Der Erfolg einzelner Stücke und was das politische Theater letzten Endes ist, hängt weitestgehend vom Zuschauer ab, also von uns.

Foto: Uni Köln

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