Stellwerk Magazin

Rezension The risen people

Vorwort

Eine der wichtigsten Etappen auf dem Weg zur Unabhängigkeit Irlands: Der Dublin Lockout von 1913. Im vergangenen Jahr wurde sein hundertster Jahrestag gefeiert. Zu diesem Anlass konnte man in Dublin nicht nur Zeuge eines regelrechten Arsenals an kulturellen Ereignissen werden - vom Re-Enactment über diverse Kunstausstellungen als auch der Verhüllung der Liberty Hall mit einem Trade Union Comic -, auch das Stück THE RISEN PEOPLE wurde neu inszeniert.

Unions, Solidarity, Freedom, Starvation - das sind die Schlagworte der Arbeiterbewegung und des Lockouts 1913. Sie bilden auch den Grundtenor des Stücks THE RISEN PEOPLE, das vom Regisseur Jimmy Fay, anläßlich des Jubiläums, neu inszeniert wurde. Der geschichtliche Hintergrund dreht sich um den Kampf der sozialistischen Gewerkschafter, geführt von "Big Jim" James Larkin, mit dem Ziel: "fairness at work and justice in society".

Alles begann am 26. August 1913, dem Tag an dem die Straßenbahnarbeiter die Bahnen mitten auf den Straßen zurückließen. Die Arbeiter fingen an zu streiken, für gerechte Löhne und ihr Recht sich in Gewerkschaften zu organisieren. Die Dubliner Unternehmer hingegen sperrten ihre Mitarbeiter solange aus, bis sie unterschrieben, sich nicht den Gewerkschaften anzuschließen. Der bis zum 18. Januar 1914 andauernde Streik der Dubliner Arbeiterklasse, brachte einen weiteren "Bloody Sunday" hervor und trug maßgeblich zur Entstehung des 1916 Easter Rising, der Vorhut der irischen Unabhängigkeit, bei. Inmitten dieses historischen Ereignisses spielt das Stück THE RISEN PEOPLE von James Plunkett. Seine Premiere feierte THE RISEN PEOPLE 1958 im von W.B. Yeats und Lady Gregory gegründeten Abbey Theatre, dem irischen Nationaltheater. Ursprünglich basiert Plunketts Theaterversion auf seinem Radiostück "Big Jim" von 1955. Doch Plunkett veränderte es weiter und letztlich diente es ihm als Vorlage für seinen bekanntesten Roman "Strumpet City".

Auch Jimmy Fay ließ sich in seiner Jubiläumsversion der Inszenierung künstlerische Freiheiten nicht nehmen.1Neben Plunketts Original, diente ihm Jim Sheridans 1977 Adaption als Grundlage. Laut einem Interview im Irish Examiner ("Plunkett's play 'The Risen People' returns to the Abbey Theatre", 29.11.2013) gehören zu den Veränderungen, unter anderem die Auswechslung von Mrs Mulhall mit der Prostituierten Lily Maxwell (Kate Stanley Brennan), die im Original nur einmal erwähnt wird, im Buch "Strumpet City" aber eine größere Rolle innehat. Selbst auf Larkin wird verzichtet, obwohl anzunehmen ist, dass dieser für Plunkett als wichtige Inspiration in seinem schriftstellerischen Werdegang diente. Denn Plunkett, der erst einige Jahre nach dem Lockout geboren wurde, arbeitete von 1946-47 unter Larkin in der "Workers' Union of Ireland!" als Sekretär und lernte dort den Anführer der Gewerkschaftsbewegung selbst kennen. Trotzdem scheint Larkin in Fays Adaption allgegenwärtig zu sein, schließlich ist er Gesprächsthema Nummer 1 in der gesamten Stadt: und die Stadt ist gespalten, denn nicht alle sind mit Larkins Ideen einverstanden.

The Risen People, Jimmy Fay (Dublin)

Mit seinen verschiedenen Charakteren liefert es einen Querschnitt durch die Masse der Arbeiter. Um den Anführer Fitzpatrick (Ian Lloyd Anderson), der sich ganz und gar Larkins Ideologie verschrieben zu haben scheint, und dessen Frau Annie (Charlotte McCurry), die vor dem Streik zumindest finanziell keine Sorgen hatte, schart sich eine bunte Truppe, vom Obdachlosen (Joe Hanley), über die Hure (Kate Stanley Brennan), und Fitzpatricks loyaler Entourage, die der am Hungertuch nagenden Familie Hennessy (Phelim Drew, Hilda Fay) zusätzlich das Leben schwer macht. Ob und wie lange diese Truppe Angst, Armut und Hunger Widerstand leisten kann, entfaltet Jimmy Fay eindrucksvoll, nicht nur durch Schauspiel, sondern auch durch Musik und Tanz. Ja, Fay präsentiert uns eine Art Musiktheater, ein Musical sozusagen. (Aber wer so unterschiedliche Stücke im Repertoire hat (wie Synges Skandalstück THE PLAYBOY OF THE WESTERN WORLD oder sich 2001 um die Irlandpremiere von Sarah Kanes in-yer-face Theaterstück BLASTED gekümmert hat), versteht sein Handwerk.

Im Gegensatz zu modernen Musicalproduktionen verzichtet THE RISEN PEOPLE aber auf ein pompöses Bühnenbild, großartige Umbauphasen und Zerstreuung, um die Bühnenschieberei zu vertuschen. Stattdessen sind die Wände mit zeitgenössischen Schlagzeilen tapeziert und das einzige Kulissenteil, ein drehbares Bauteil, eine einfach Ziegelmauer auf der einen, und eine Treppe, die zu Fitzpatricks Wohnung, in einer der Mietskasernen führt, auf der anderen Seite. Entsprechend ihrem Stand, müssen die Schauspieler selbst herhalten, um die Kulisse unter schwerem Körpereinsatz zu bewegen. Es gibt auch kein pompöses Orchester, sondern nur einen Gitarristen (Niwel Tsumbu) und einen Pianisten (Conor Linehan), die im Zweifelsfall zum Musizieren auch mal auf Messer, Gabel und Löffel zurückgreifen. Und damit erschaffen sie mitreißende, treibende Stücke, unterlegt mit den teils düsteren Gesängen der Arbeiterschaft, und bereichern dadurch die Geschichte durch frische Perspektiven.

Die Gesangseinlagen führen nicht den Handlungsstrang weiter. Das Ensemble wehrte sich laut Radiointerview (in RTÉ Radio 1's Arena, 25.11.13) gegen den Begriff Musical. Kein Musical, ein Theater mit Musik! Zur Musik bleibt nichts weiter zu sagen, als dass es mir stellenweiße schwer fiel, den Fuß still am Platz zu halten, tap-tap. Echter irischer Folk, dachte ich nicht nur, sagte es auch, wofür ich von links und rechts erst mal strafende Blicke geerntet habe. Von diesem Stereotyp musste ich mich also verabschieden. Ganz zurecht. Denn tatsächlich paart Fay Widerstandslieder, die zur Zeit des Lockouts entstanden sind - etwa "Who Fears to Wear the Blood Red Badge?" oder "The Freedom Pioneers" mit Liedern, die Plunkett schon in seinem Stück verwendete, vermischt mit neuen Kreationen, Kinderreimen, und Gedichten, wie "September 1913" von W. B. Yeats.

Untermauert wird die musikalische Untermalung von den Tanzeinlagen, die das Gesungene visuell unterstützen. Zu Beginn des Stückes singt der gesamte Cast das Publikum an die Wand. In einer Reihe aufgestellt, stehen sie für die geschlossene Arbeiterschaft ein, die Fitzpatrick und seinem ideologischen Vorbild Larkin folgen. Die politische Einstellung des Volkes schlägt sich in den Bewegungen des Ensembles nieder. Fay bringt in seiner Adaption auf ästhetische Art und Weise ein kohärentes Zusammenspiel von Inhalt und Form zustande. Zudem bietet er dem Publikum einen literarischen Querverweis durch Irlands Geschichte und Kultur. Ein besonderer Hintergrund, vor welchem die Schauspieler eine Glanzleistung ablegen.

The Risen People, Jimmy Fay (Dublin)

Doch es sind nicht die Fitzpatricks, die einem im Gedächtnis bleiben - es sind vielmehr die Nebenrollen. Joe Hanley spielt nicht nur in einem authentischen Kostüm den obdachlosen Tagelöhner Rashers Tierney, sondern er wirkt dabei fast so, als hätte ihn Jimmy Fay gerade erst von der Straße eingesammelt. Auch Hilda Fay in der Rolle der Mrs Hennessy überzeugt durch ihre starke Gesangsleistung. Ihre leicht rauchige, kraftvolle Stimme unterstreicht ihre Rolle als rigorose Ehefrau des in Geldnöte geratenen Hennessy, wenn sie den Song "Only the Whores have Money" schmettert.

Zu beanstanden ist eigentlich nur, dass im Stück zu viele schwarz-weiß Oppositionen aufgemacht werden: Sozialismus-Kapitalismus, Arbeiterklasse-Oberschicht, konservativ-liberal, katholisch-protestantisch, Mann-Frau. Zu guter Letzt scheiden sich alle diese Kategorien an Gut oder Böse. Trotz der Charakterschwächen, die ab und an daraus entstehen, tut es dem Stück jedoch keinen Abbruch, da diese immer der Komik dienen. Schließlich ist es auch Mrs Hennessy, die die größten Lacher bekommt, wenn sie gegen ihren Mann schimpft und ihn klischeemäßig aus dem Pub holt. Alles in allem ist THE RISEN PEOPLE eine sehr schöne Mischung aus visueller und musikalischer Darstellung, lehrreich und unterhaltsam, und jedem, der zufälligerweise bis zum 1. Februar 2014 noch in Dublin vorbeikommen sollte, eine Empfehlung wert.

Fotos: Jasmin Großmann