Stellwerk Magazin

Interview mit Nina Rühmeier Beruf: Dramaturgin

Vorwort

Nina Rühmeier (*1980 in Hameln) studierte Theaterwissenschaft, Neue Geschichte und Neue deutsche Literatur an der Freien Universität Berlin und der Université de Paris VIII, Vincennes-Saint-Denis. Während des Studiums erfolgten Hospitanzen an verschiedenen Theatern, u. a. der Schaubühne am Lehniner Platz und dem Thalia Theater Hamburg sowie die freie Mitarbeit im Verlag Bostelmann&Siebenhaar Berlin und bei der Märkischen Allgemeinen Zeitung. Von 2006 bis 2011 war sie Dramaturgieassistentin und Dramaturgin am Maxim Gorki Theater Berlin. Anschließend arbeitete sie als freie Dramaturgin u. a. am Schauspielhaus Zürich und für das Theaterkollektiv Franz von Strolchen.

Nina Rühmeier Foto: Nina Rühmeier (privat)

Wie würden Sie den Beruf des Dramaturgen beschreiben und wie sind Sie selbst dazu gekommen?

Bei diesem Beruf ist man tatsächlich immer hinter der Bühne bzw. im Büro. Man selbst und auch die eigene Arbeit ist für die Meisten nicht direkt zu sehen. Deshalb wissen auch die Wenigsten, was Dramaturgen eigentlich machen. In der Schulzeit habe ich erst erfahren, dass es diesen Beruf des Dramaturgen gibt. Ich habe mich immer sehr für das Theater interessiert, aber mir war auch klar, dass ich nicht selbst auf der Bühne stehen will. Ich bin auch nicht der Typ, der Kostüme oder Bühnenbilder entwerfen, oder Regie führen möchte. Mein Studium der Theaterwissenschaft, Geschichte und Germanistik, sowie einige Hospitanzen am Theater liefen jedoch schon auf die Dramaturgie als späteren Beruf hinaus. Für einige Jahre bin ich jedoch vom Weg abgekommen, war freie Mitarbeiterin bei einer Zeitung und habe in einem Verlag mitgearbeitet. Ich habe immer geschaut, wo ich mit Geschichten und mit Sprache irgendwie noch anders arbeiten kann. Erst über meine Magisterarbeit bin ich zum Theater zurückgekehrt. Thematisch ging es um eine Hamburger Inszenierung des Dramas UNSCHULD von Dea Loher. Darüber bin ich zu einer Gastassistenz bei einem Regisseur gekommen, dann folgte eine feste Stelle als Dramaturgie-Assistentin an einem Berliner Haus, an dem ich irgendwann Dramaturgin geworden bin.

Warum sind Sie nun am Schauspiel Köln?

Ich bin mit dem neuen Team hier hergekommen. Das alles hat sich neu gefunden. Meistens sind es Verbindungen, die irgendwie vorher schon einmal bestanden haben, aber noch nicht in dieser Konstellation. Da man beruflich alle paar Jahre den Ort wechselt, und Regisseure ja ohnehin ein fahrendes Volk sind, in vielen Städten inszenieren und dort natürlich auch neuen Schauspielern und Dramaturgen begegnen, entsteht ein weites soziales Netz. Es ergeben sich sehr viele Arbeitsbegegnungen, auf die man immer wieder zurückkommt, wenn's gut läuft.

Entscheiden die Dramaturgen maßgeblich über die Auswahl der Stücke?

Ach, das läuft ganz unterschiedlich. Es ist ein Geben und Nehmen. Es gibt verschiedene Konstellationen, in denen man zusammensitzt und Ideen bespricht. Einmal in der Woche gibt es eine Dramaturgiesitzung, in der man über neue Stücke, über Texte, die man gelesen hat, und auch insgesamt über eine Spielplanausrichtung spricht. Anschließend wird die Runde größer, man trifft sich mit dem Intendanten, mit der Geschäftsführerin, also mit allen, die im weitesten Sinne zur Leitung gehören, und dann gibt es natürlich auch immer die Gespräche mit den Regisseuren. Einige sind sehr stark selbst initiativ in ihren Stückauswahlen und haben schon ganz konkrete Stoffe. Mit ihnen muss man besprechen, wie sich das, was uns für die gesamte Spielzeit vorschwebt, mit ihren Vorstellungen zusammenbringen lässt. Aber es gibt auch Regisseure, die dankbar sind, wenn Inspiration aus dem Team kommt. In der Regel ist das so eine Mischung. Man bleibt über einige Zeit im Dialog und schlägt sich gegenseitig Stücke vor und daraus formt sich dann etwas Neues.

Welche Stücke gefallen Ihnen am besten?

Ich finde neue Stücke spannend, weil man bei denen noch nicht so viele Inszenierungen im Kopf hat, an denen man sich abarbeitet, sondern tatsächlich Neuland betritt. Bei mir sind es vorzugsweise Romanstoffe, die mich aktuell interessieren. Und auch aus meinem Geschichtsstudium kann ich Einiges einbringen. Wie kann man etwa Stoffe oder Themen aus der Vergangenheit im Hier und Jetzt präsentieren. Ein Beispiel ist das Carlswerk-Projekt, das in dieser und der nächsten Spielzeit hier am Schauspiel Köln läuft. Dieses Jahr ist es ein Recherche-Projekt, bei dem die Geschichte dieser Spielstätte, des Werkes und eigentlich der ganzen Fabrikstadt, sowie der Familie, die das alles hochgezogen hat, gesammelt und verstanden werden soll. Im April wird es in Zusammenarbeit mit einem Film- und einem Theaterregisseur eine Präsentation der Recherche geben, bevor überhaupt ein Stück entstehen kann. Solche Projekte reizen mich sehr. Man geht ins Archiv und arbeitet mit dokumentarischen Texten, man collagiert etwas, man kann ganz konkret für die Schauspieler arbeiten und auch schauen, welche Figuren man aus der Vergangenheit auferstehen lassen kann.

Wie gehen Sie mit den Kritiken der Presse und des Publikums um?

Alles hat erst einmal seine Berechtigung. Bei Pressekritiken finde ich es teilweise zu persönlich, wenn Schauspieler hart angegangen werden, oder wenn der Regisseur auf eine Art und Weise kritisiert wird, die keine argumentative Basis hat. Ich finde jede Kritik, die zunächst mal beschreibt und dann auf dieser Basis zu einem Urteil kommt, total berechtigt. Man kann immer geteilter Meinung sein, und es ist ja auch durchaus wünschenswert, dass man nach einem Theaterabend auch kontrovers über das diskutieren kann, was man gerade gesehen hat, sowohl inhaltlich als auch ästhetisch. Bei DER GUTE MENSCH VON SEZUAN gab es überwiegend sehr positive Kritiken, nur wenige haben geschrieben, dass ihnen das Politische zu wenig betont wurde.

Was ist Ihnen wichtiger: gute Kritiken oder kommerzieller Erfolg?

Dass Veranstaltungen ausverkauft sind, ist mir am wichtigsten, aber gar nicht aus kommerziellen Gründen, sondern weil ich Theater nicht für Kritiker mache. Zwar freue ich mich auch für das ganze Team, wenn die Kritiken gut ausfallen, da ich auch weiß, dass das in der Regel erst einmal heißt, dass man mehr Zuschauer gewinnt. Aber es ist das größere Kompliment, wenn die Menschen zahlreich kommen und das Stück gerne sehen.

Sie setzen sich manchmal mit ins Publikum Ihrer Inszenierungen. Nehmen Sie die Reaktionen des Publikums schon während der Vorstellung oder erst in den Publikumsgesprächen auf?

Ich nehme schon ziemlich genau wahr, wie die Leute im Publikum reagieren. Es ist auch jeden Abend unterschiedlich, wie sehr sie mitgehen, welche Reaktionen überhaupt gezeigt werden. Bisher sind die Vorstellungen eigentlich immer ausverkauft gewesen, dennoch gibt es manchmal Publikumsgruppen, die eher ruhig sind, andere wiederum, die sehr unmittelbar reagieren. Und das macht es auch für die Schauspieler immer anders.

Wie wird die Kritik von Zuschauern im Team reflektiert?

Man versucht die Kritik zunächst für sich selbst zu sortieren. Bei den Publikumsgesprächen finde ich sehr schön, dass auch immer viele der Schauspieler dabei sind. Die nehmen das teilweise einfach für sich auf, teilweise spricht man aber auch noch einmal darüber. Aber man setzt sich nicht unbedingt mit dem ganzen Team nach jeder Vorstellung nochmal zusammen. Nachbesprechungen zur Auswertung finden jedoch auf verschiedenen Eben statt, wie mit den Schauspielern und der Regieassistenz. Theater ist ja auch ein lebendiges Gebilde. Je häufiger die Schauspieler das Stück spielen, umso mehr verändert es sich im Laufe der Abende. Das ist eine Mischung aus gemeinsamer Weiterentwicklung, auch im Sinne des Regisseurs, und einem Feedback, wenn sich etwas aus den eigentlich angelegten Richtungen entfernt. Eine weitere Ebene der Auswertung wird dann am Ende der Spielzeit auch von der Leitung übernommen.

Teil II folgt in Kürze...

Foto: Uni Köln

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