Stellwerk Magazin

Filmkritik Le passé – Das Vergangene

Vorwort

Asghar Farhadi, der 2012 für „Nader und Simin - Eine Trennung“ den Oscar für den besten ausländischen Film erhalten hat, setzt in seinem neuen Film Le passé das Vergessene wieder zu einem Gegenwartsmosaik zusammen.

Egoismus und gescheiterte Kommunikation sind die Themen des neuen Films „Le passé“ des iranischen Regisseurs Asghar Farhadi, der seit dem 30.01.2014 in den deutschen Kinos läuft. Er lässt sein Familiendrama in einem Paris abseits des Eiffelturms und der Champs Elysée spielen.

Marie (Bérénice Bejo), eine der Hauptrollen und gleichzeitig die Verbindung zwischen allen weiteren Figuren, lebt mit ihrem neuen Lebensgefährten Samir (Tahar Rahim) in einem Haus am Stadtrand von Paris. Die Straße, in der sie wohnt, ist eine Sackgasse. Anstatt Blick auf die Seine zu haben, donnert an ihrem Haus die Eisenbahn vorbei und schneidet einem das Wort ab. Seit der Geburt ihrer ältesten Tochter Lucie (Pauline Burlet) hatte Marie drei Lebensgefährten, keiner blieb. Einer dieser Ex-Lebensabschnittsgefährten im Leben Mariannes, und somit auch dem ihrer Töchter, ist Ahmad (Ali Mosaffa). Dieser befindet sich nach vier Jahren der Trennung, die er im Iran verbrachte, nun in Paris um die Scheidungspapiere zu unterschreiben. Egoismus ist eine Norm der aktuellen Gesellschaft, wenn man die Charaktere in „Le passé“ als Prototypen begreift. Marie träumt vom eigenen Glück, an der Seite eines Mannes. Ob ihre Töchter mit der Fluktuation und der Wahl der Männer zurechtkommen, ist dabei für sie zweitrangig. Lucie will keinen weiteren Stiefvater und ist dafür bereit zu recht drastischen Mitteln zu greifen. Dass das Glück ihrer Mutter daran zerbrechen kann, nimmt sie in Kauf. Samir hat eine kranke Ehefrau und ein Kind, plant jedoch Marie zu heiraten. Und Ahmad, der über weite Strecken der Handlung als Katalysator fungiert, agiert zwar im Hier und Jetzt des Films scheinbar ohne Eigennutz, weiß aber ebenso, wie selbstverständlich Egoismus sein kann.

Unüberbrückbare Differenzen in Form zentimeterdicker Glasscheiben

Das Hauptthema des Films setzt Farhadi bereits in den ersten Minuten ins Bild: gescheiterte Kommunikation. Marie und Ahmad stehen voreinander, reden und hören sich doch nicht, da zwischen ihnen eine Glasscheibe des Flughafenterminals steht. Dieses Bild taucht in Variationen immer wieder auf. Glastüren und Zuglärm treten immer wieder als Verbildlichung unüberbrückbarer Barrieren zwischen die Figuren. Marie kann weder mit Ahmad, noch mit Samir, noch mit dem Vater ihrer Töchter Lucie und Lea (Jeanne Jestin) wirklich reden. An ein klärendes Gespräch zwischen ihr und Lucie ist lange Zeit nicht mal zu denken. Diese Sprachlosigkeit führt dazu, dass der Charakter von Samir zwei drittel des Filmes kaum Farbe erhält. Erst wenn sein kleiner Sohn Fouad (Elyes Aguis) sich selbst, mit kindlicher Naivität, die Schuld an all dem Unglück um ihn herum gibt, fängt Samir an zu reden. Der Zuschauer fängt an zu verstehen. Was folgt, hat Züge eines Krimis und fesselt den Zuschauer abseits von Herzschmerz und Gesellschaftskritik.

Der langsame Schnitt des Filmes und die Länge der Szenen schaffen viel Platz für die Entwicklung der Charaktere. Alles in allem ist „Le passé“ ein starker, spannender und zum Nachdenken anregender Film, der zwei Stunden lang fesselt. Neben der spannenden Handlung und dem wertungsfreien Abbild einer modernen Gesellschaft ist es vor allem die künstlerische Leistung von Bérénice Bejo, Ali Mosaffa und Pauline Burlet, die die Kraft dieses Filmes ausmacht. So ist es nicht verwunderlich, dass „Le passé“ bereits im Mai in Cannes überzeugen konnte und Bejo eine Auszeichnung als beste Darstellerin einbrachte.

Foto: Stellwerk

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