Stellwerk Magazin

Rezension WER HAT ANGST VOR VIRGINIA WOOLF?

Vorwort

Den Namen dieses Stückes hat vermutlich jeder schon einmal gehört, handelt es sich doch um eines der berühmtesten Stücke des 20. Jahrhunderts. Aber kennt man es noch als Theaterstück?

Mike Nichols verfilmte WER HAT ANGST VOR VIRGINIA WOOLF? 1966 mit Liz Taylor und Richard Burton in den Hauptrollen. Der heutige Klassiker räumte fünf Oscars ab. Filmgeschichte ward geschrieben. Taylor und Burton verschmolzen mit den ihren Filmfiguren Martha und George. Die verheirateten Mimen zelebrierten quasi ihr eigenes Eheleben vor der Kamera. Während der Lektüre des Stückes hat man seitdem eine aufgequollene Liz Taylor als Martha vor Augen, die sich beschwert, dass George sie nicht mehr küssen wolle. Das zu diesem Zeitpunkt schon berühmte Stück hatte seinen Weg zum Film gefunden. Eine Tatsache, die der Film weder kaschieren konnte noch wollte. Trotz filmischer Perspektiven- und Szenenwechsel bleibt das Gefühl einer gefilmten Theater-Inszenierung bestehen. Das Bühnenstück und die Kamera sind mit den Darstellern symbiotisch verwoben.

Reminiszenz an Liz Taylor

Dieses Moment wird auch in der Lippmannschen Inszenierung deutlich. Das Stück ist nun wieder auf der Bühne und es ist wieder ein Kammerspiel. Lippmann verzichtet komplett auf Szenenwechsel, so wie Albee es einst vorsah. Zwei Stunden bleibt der Blick auf Marthas Wohnzimmer gerichtet, anders als im Film. Und doch ist Julia Karl als Martha eine Reminiszenz an Liz Taylor. Nicht an Taylors Martha, sondern an die Taylor! Die Haare sind recht kurz, schwarz und stehen wild vom Kopf. Sie trägt ein Abendkleid, das auch Liz Taylor in den 70ern so hätte tragen können. Sie trinkt, nein sie säuft, auf der Bühne und prügelt sich mit George, dargestellt vom Regisseur selbst.

Die Darsteller schaffen die perfekte Illusion. Als Zuschauer sitz man zwei Stunden gebannt und angeekelt im Publikum und schaut Julia Karl zu, wie sie ihren Mann immer weiter bloßstellt und von Glas zu Glas abstoßender wird. Christina Schumacher als Honey trinkt, tanzt und torkelt letztlich ins Delirium, um so ganz nebenbei am Rande der Alkoholvergiftung in nur einem Satz die Tragödie ihrer Ehe zu verraten. Auch hier sind in der Darstellung der Figur eindeutige Filmparallelen zu erkennen.

Maxi von Mühlen glänzt als Nick

Generell bietet die Inszenierung jedoch wenig Neues, was die Interpretation des Stückes anbelangt. Das ist schade, denn so stellt sie sich in den Schatten des berühmten Filmklassikers. Sie ist aber sie solide und zieht in ihren Bann. Das Faszinierende ist hierbei der Ekel. Immer wieder möchte man als Zuschauer, ähnlich wie Marthas Gäste, gehen, will das "Drama" nicht mehr sehen. Und doch verharrt man auf seinem Stuhl. In einer Szene beschreibt Martha, wie sie sich mit George einmal einen Boxkampf lieferte. Mit einem Gefühl, das der damit einhergehenden Zerstörung gleicht, verlässt man als Zuschauer das Tiefrot. Herausragend in der Interpretation Lippmanns ist die starke Präsenz der Rolle des Nick. Maxi von Mühlen spielt den Biologieprofessor Nick und bringt genau durch diese Präsenz den Unterschied zur Verfilmung. Geht es im Film um Martha und George, so geht es auf der Bühne in vielen Momenten um Martha und Nick könnte man meinen. Ob dies gewollt ist oder der Präsenz der Darsteller geschuldet, lässt sich allerdings nur erahnen.

Foto: Claas Lauritzen

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