Stellwerk Magazin

Rezension BRAIN AND BEAUTY

Vorwort

Angela Richter, die bereits mit KIPPENBERGER! und der Überarbeitung ihres Stücks ASSASSINATE ASSANGE am Schauspiel Köln zu sehen war, hat sich nun nach neuen Interviews mit Schönheits-Chirurgen rund um die Welt mit dem Thema Beauty auseinandergesetzt. Was dabei herausgekommen ist, lässt sich seit dem 16.04.2014 in der Halle Kalk begutachten. Ein bisschen mehr Tiefen und Falten hätten diesem Schauspiel aber sicherlich gut getan. So scharf waren die Skalpelle dann doch nicht.

Als die Zuschauer das Theater in der Halle Kalk betreten, schauen sie auf eine Bühne voller Schaufensterpuppen – Männer, Frauen, Kinder. Allgemeines Gemurmel, sie versuchen herauszufinden, ob sich auch Schauspieler dazwischen verstecken. Ja, die da, in dem geblümten Kleid, die ist echt! BRAIN AND BEAUTY ist ein Theaterabend, der abwechselnd plastische Chirurgen, deren Patienten, Models, Neurologen und Dermatologen zu Wort kommen lässt. Die Aneinanderreihung von Gesprächsausschnitten über Attraktivität, über Idealvorstellungen und verpfuschte OPs ersetzen eine kohärente Handlung. Hausregisseurin Angela Richter hat, wie schon für ihre erste Arbeit am Schauspiel Köln KIPPENBERGER!, im Vorfeld viele Interviews geführt, aus denen sich die Bühnenfiguren nun bedienen. Sie sprach unter anderem mit Schönheitschirurgen aus Köln, London und Beverly Hills.

Die erste Puppe erwacht zum Leben. Lebendig und doch puppenartig wirkt Melanie Kretschmann, die einen hautfarbenen Ganzkörperbody trägt. Glänzende, zu makellose Haut und lange rote Haare, eine Perücke - die jugendlich-aufreizende Maskerade lässt keinen Zweifel daran, dass sie ohne diese Verkleidung schöner wäre. "Kann man eigentlich auch mit einem Apfel am Tag leben, geht das?" Kretschmann verkörpert eine magersüchtige junge Frau. Sie erzählt, wie sie immer dünner wurde, ihre Tage ausblieben, die Typen auf sie standen, sie aber keine Lust mehr auf Sex hatte, und sich dennoch nach Wärme und Nähe sehnte. Sie erzählt ihre Geschichte. Davon sich "frei und erhaben" gefühlt zu haben, von dem Joint auf leerem Magen, der sie schließlich ins Krankenhaus brachte.

Dann Cut. Als nächstes löst sich die Erstarrung zweier hochgewachsener Männer. Polierte Schuhe, rosa Polohemd und süffisantes Lächeln. Yuri Englert und Malte Sundermann betreten als selbstgefällige Promi-Chirurgen das Geschehen. Im Zwiegespräch miteinander und mit dem stummen Publikum philosophieren sie über äußere und innere Schönheit.

"Manche Menschen haben den Vorteil, dass ihre Schaufensterauslage besser ist."

Die Phrase passt. Ein Leben hinter Schaufensterglas, unsere natürlichen Schönheitsattribute ausgestellt für eine Gesellschaft, die diese kritisch beäugt und Verbesserungsvorschläge anbringt. Verbesserungsvorschläge haben auch Englert und Sundermann, sie machen Werbung für ihr Metier und wissen doch, dass diese Werbung nicht nötig ist. "Schönheit kommt von Innen", das sei natürlich klar. Aber innere und äußere Schönheit seien nicht voneinander zu trennen.

"Schönheit kommt von Innen. Aber wie kommt sie da rein?"

Wer besser aussieht, der fühlt sich besser. Chirurgische Nachhilfe zum Wohlbefinden. Die Szenen werden von musikalischen Einlagen unterbrochen. Luftig-leichte Popsongs aus den Tiefgang-Charts. "I am beautiful"von Christina Aguilera oder "Body is Boss" von 2raumwohnung bringen Statisten und Schauspieler dazu, losgelöst zwischen den Puppen über die Bühne zu hüpfen. "Body is Boss. Wenn du liebst, wenn du lebst, wenn du stirbst."

Ein Mädchen in Blumenkleid und Haarreif ist die nächste Protagonistin. Julia Riedler bietet die unterhaltsame Darstellung einer Frau, die sich über die vielen Linien in ihrem Gesicht beklagt. Es sind wieder mehr geworden. "Ja, du bist älter geworden." Der Chirurg weiß, wovon sie spricht. Aber Julia Riedler sieht nicht alt aus, ihr Gesicht ist faltenfrei, sie sprüht vor blumig-mädchenhafter Energie. Was zunächst wie Persiflage wirkt, ist bittere Realität. So geht es weiter. Ärzte – Patienten – Ärzte – Patienten. Riedler, dieses Mal mit Gewichtsproblemen. Klagt hier die gleiche Frau über zu viele Kilos, die zuvor über zu viele Falten geklagt hat? Wahrscheinlich nicht. Möglich wäre es. "Meine Unsicherheit ist mein Gewicht. Jeder, der mich kennt, weiß das, ich rede ständig davon." Man kennt sie, diese Leute, die ständig vom Essen reden, ihr verdrehtes Verhältnis zum eigenen Körper ungewollt zur Schau stellen.

Es sind die immer gleichen Schauspieler, die mit immer neuen chirurgisch lösbaren Leiden vom Rande der Bühne zum Publikum sprechen. Der Zuschauer findet sich in der Position des fehlenden Interviewpartners wieder: "Bist Du zufrieden mit Dir?" Hier macht Angela Richter es den Zuschauern zu einfach. Es fehlt die Eindringlichkeit, es fehlt das Innerliche: Bin ich denn zufrieden mit mir? Und wie weit würde ich gehen, um noch zufriedener zu sein? Wir leben in einer sich ständig optimierenden Gesellschaft, wir rasieren, zupfen, lackieren, bügeln Falten und Haare, eifern nur in Modejournalen existierenden Wesen nach. Für die meisten von uns ist an der Grenze zum OP-Tisch Schluss; für das, was da auf der Bühne vor sich geht, fehlt das Verständnis. Die Absurdität dieses Schönheitswahns wird von Magda Lena Schlott auf die Spitze getrieben, die im Puppenspiel nun auch die Lebenden zu Marionetten des perfiden Spiels der magersüchtigen Tochter werden lässt. Schlott, selbst ausgebildete Puppenspielerin, glänzt dabei mit einer präsenten und eindrücklichen Darstellung. Doch BRAIN AND BEAUTY schafft es nicht, den Zuschauer zu verpflichten, ihn mit seinem eigenen Verständnis von Schönheitsplastik, mit seinem Beitrag zum Optimierungswahn zu konfrontieren. Er bleibt Zuschauender.

Angela Richters Theaterabend ist kurzweilig; es ist ihr einmal mehr gelungen, aus vielen einzelnen Interviewsituationen ein Ganzes zu basteln. Die Schauspieler überzeugen mit einer gelungenen, teils improvisierten Performance, das Bühnenbild Kathrin Bracks ist schön anzuschauen. Doch wer sich ein Stück erhofft hat, das Gesellschaftskritik besser und nachhaltiger transportiert als der sonntagabendliche Tatort, wurde enttäuscht. Zu viele Klischees wurden bemüht, zu viel Beauty, zu wenig Brain. Der Umgang des Verstands mit den Anforderungen an den eigenen Körper rückte in den Hintergrund. Welche Motive hinter den chirurgischen Eingriffen stecken, darüber wird der Zuschauer im Unklaren gelassen; intellektuelle oder kulturelle Hemmnisse der Patienten spielen im Stück kaum eine Rolle. Das Stück ist wie die Musik, die gespielt wird: Tiefgang ist im Ansatz vorhanden, verschwindet aber zu schnell zwischen poppig-leichten Rhythmen.

Foto: David Baltzer | Schauspiel Köln (v.l.n.r.: Daniel Calladine, Omid Tabari, Hilke Kluth, Melanie Kretschmann, Volker Eckhardt, Julia Riedler, Yuri Englert)